Ihr Vater wunderte sich. »Du bist hier nun schon das zweite Jahr«, sagte er, »und sie liebt dich noch immer. Bist du ein Zauberer, Fremder?«
Arusa wurde zum zweiten Mal schwanger. Sie gebar einen Sohn, den sie Am Ibn Arusa nannte. Das dritte Kind, wieder ein Junge, hieß Lam Ibn Arusa. Als sie zum vierten Mal schwanger wurde, hielten die Leute unsere Beziehung für unnatürlich. Es hieß, ich würde Arusa mit Zauberei an mich binden, weil ich im Land des Islam die Magie erlernt hätte.
Innerlich fühlte ich mich dazu verpflichtet, meinen ersten Sohn, Ram, nach islamischen Grundsätzen zu erziehen. Er war größer und stärker als seine Altersgenossen, was zweifelsohne daran lag, dass ich für ihn besonders sorgte und ihn gut ernährte. Für mich zeigteer geradezu beispielhaft, was aus den hiesigen Kinderni hätte werden können, wenn sie nicht als Sklaven lebenmüssten. Mit seiner Erziehung zum Moslem versuchte ich wohl, die Vernachlässigung meines Glaubens wieder gutzumachen, zu der ich mich, aus Achtung für mein Gastland, gezwungen sah. Arusa beobachtete mein Treiben mit größtem Missfallen. »Du erziehst ihn zur Gottlosigkeit«, warf sie mir vor, »und bescherst ihm damit in diesem Land ein elendes Leben.«
Freundlich, aber bestimmt erwiderte ich: »Ich rette einzig und allein seine Seele, so wie ich es mir für dich gewünscht hätte.«
»Ich werde das nicht länger dulden.«
In der darauf folgenden Zeit verhielt sie sich dermaßen widerspenstig und abweisend, dass ich um unsere Liebe fürchtete. Als wir ihren Vater besuchten, erzählte sie ihm, dass sie sich wegen Ram Sorgen mache. Der Alte geriet außer sich und schrie mich an: »Halte dich fern von unserem Sohn, Fremder!«
Offenbar hatte sich die Geschichte herumgesprochen, obwohl nur wir davon wussten. Zeigte ich mich auf der Straße, trafen mich empörte Blicke. Das Gebäude droht einzustürzen, dachte ich voll Furcht.
Meine Vermutung sollte sich als richtig erweisen. Fam kam zu mir und bat mich, ihn in sein Zimmer zu begleiten. Ein Offizier wartete auf mich. »Sind Sie Kindil Mohammed al-Innabi?«
Der Mund wurde mir trocken. »So ist es.«
»Es hat sich herausgestellt, dass Sie Ihren ältesten Sohn zur Gottlosigkeit erziehen.«
Beklommenen Herzens fragte ich: »Wer behauptet das?«
»Wir kennen unsere Pflichten und wissen, was zu tun ist. Ich bin nicht hier, um mit Ihnen herumzustreiten. Unser Gebieter hat befohlen, dass Sie sich von Ihrer Gefährtin und den Kindern zu entfernen haben. Sie werden das Land mit der nächsten Karawane verlassen.«
Ich wollte etwas sagen, aber da schnauzte er mich an: »Schluss, kein Wort! Sie stehen unter meiner Aufsicht, bis die Frau mit ihren Kindern zum Vater gezogen ist. Bis zur Abreise der Karawane haben Sie Hausarrest.«
»Bitte, lassen Sie mich wenigstens von meiner Familie Abschied nehmen«, flehte ich.
»Seien Sie dankbar, dass Sie keine schlimmere Strafe getroffen hat«, fuhr er mich barsch an.
Eine Stunde später durfte ich in meine Kammer gehen, mein Gefängnis. Nichts war mehr da — keine Arusa, keine Kinder, keine Liebe, keine Hoffnung. Schwermut überkam mich, hatte mich doch das Leben jeglichen Traums, jeglicher trügerischen Hoffnung beraubt. Fam, der mich begleitet hatte, sah mich voller Mitgefühl an. »Trag dein Schicksal mit der Würde, die eines Reisenden geziemt.«
»Ich bin sehr, sehr traurig, Fam«, sagte ich mit bebender Stimme.
Er schaute mich lange an, dann murmelte er: »Lass deinen Tränen ihren Lauf, auch Männer weinen manchmal.«
Bemüht, nicht laut loszuschluchzen, seufzte ich: »Verflogen sind die Freuden des Lebens…«
»Es wird neue Freuden geben, bei denen du Trost findest.« Er legte mir die Hand auf die Schulter und fuhr fort: »Du solltest wissen, dass man sich als Reisender besser auf keine festen Beziehungen einlässt.«
Noch vor Morgengrauen brach die Karawane auf. Mein Herz sehnte sich zurück, und meine Kehle war vor Trauer und Tränen wie zugeschnürt. Sterne übersäten den Himmel; sie schauten auf uns herab, und wir starrten zu ihnen empor. Nirgendwo zeigte sich auch nur die kleinste Spur von Trost. Da hatte ich vor fünf Jahren wegen des Verrats von Mutter, Geliebten und Herrschenden die Heimat verlassen, und nun brach ich wieder auf, um ferne Lande zu erkunden. Aber wo blieb das Herz? Wo der Verstand? Die Sterne schienen mir in greifbarer Nähe zu sein, Arusa und die Kinder hingegen unendlich fern. Karawanen über Karawanen ziehen mit Reichtümern und Hoffnungen ihrer Wege, welche aber trägt den Schmerz mit sich fort?
Die Dunkelheit wich, Licht brach herein, und eine schier endlose Wüste erstreckte sich vor uns, unermesslich wie das Entschwinden ins Nichts. Was würde man wohl zu Hause über mich reden? Warum war ich Al-Kani Ibn Hamdis nicht noch einmal begegnet? Sei es, wie es sei, sagte ich mir, das Beste, was du jetzt tun kannst, ist, genau hinzusehen und zuzuhören und alles zu notieren. Lass dich nicht auf unliebsame Erfahrungen ein, kehr zurück zu deinen Träumen vom Gaballand, bring deiner Heimat die Mittel, die seine Wunden heilen können.
Die Entfernung zwischen Maschrik und Haira legten wir in vier Wochen zurück. In der Nähe der Zamam-Oase machten wir bis zum Abend eine Rast. In der Dämmerung gingen wir weiter und erreichten gegen Mitternacht die Stadtmauer von Haira. Im funkelnden Licht der Sterne rückten wir auf das große Tor zu. Von Fackeln erleuchtet, zeichnete sich der Umriss eines Mannes ab, der, bekleidet mit Helm, Brustpanzer und kurzem Lendenschurz, offenbar der für den Zoll zuständige Kommandant war. Mit donnernder Stimme erklärte er: »Willkommen in Haira, der Hauptstadt des Hairalands! Ihr werdet überall Polizisten antreffen, die ihr nach allem, was euch interessiert, fragen könnt. Um unliebsame Zwischenfälle zu vermeiden, solltet ihr euch an die polizeilichen Anweisungen genauestens halten.«
Begrüßung und Warnung in einem, dachte ich. Das Tor öffnete sich, wir betraten die Stadt. Die Kaufleute zogen in Richtung des Markts, weil sich dort ihre Unterkunft befand; mich geleitete ein Führer zu einem Gasthaus für fremde Reisende. Hier und da erhellten Fackeln die Finsternis. Auch der Eingang des Gasthauses wurde von Fackeln erleuchtet. Ich stand vor einem großen, eingeschossigen Ziegelsteingebäude, und hinter einigen Fenstern brannte Licht. Ein Diener übernahm mein Gepäck, ich eilte ihm nach. In meinem Zimmer angekommen, sah ich mich um: In dem Raum, er war von mittlerer Größe, gab es ein kleines Sofa, einen Kleiderschrank und ein Bett, dessen Liegefläche sich ungefähr eine Elle hoch über dem Boden erhob. Die purpurfarbene Schlafdecke war genau das Richtige für die milden Herbsttemperaturen. Auf dem Boden lag ein fein gewebter Teppich, und ein Leuchter mit einer dicken Kerze spendete Licht. Zweifelsohne gab es hier eine gewisse Kultur, der Unterschied zum Maschrikland war jedenfalls gewaltig. Kaum hatte ich meine Reisekleidung abgelegt und das Nachthemd angezogen, da stolzierte, bekleidet mit einer leichten Abaja, ein mittelgroßer, dunkelhäutiger Mann herein; meiner Meinung nach musste er so an die fünfzig Jahre alt sein.
»Mein Name ist Ham, ich bin der Besitzer des Gasthauses.«
Ich reichte ihm die Hand und stellte mich vor. »Möchten Sie zu Abend essen?« »Nein, danke, ich habe unterwegs gegessen.« Er lächelte mich freundlich an. »Pro Nacht kosten Zimmer und Verpflegung einen Dinar, es wird im Voraus bezahlt.«