Die nächsten Tage verbrachte ich einsam und untätig, aber dann traf die Nachricht ein, dass die Haira-Armee gesiegt habe und das Maschrikland als südliche Provinz dem Hairaland angegliedert worden sei. Die Leute drängten sich in den Gassen, und die Ärmsten der Armen feierten den Sieg, als wären sie es, die die Früchte ernten würden. Von Unruhe erfüllt, fragte ich mich, wie es nun wohl Arusa und den Kindern ergehen würde.
Es kam der Tag, an dem das siegreiche Heer zurückkehren sollte. Ich stand zeitig auf und stellte mich unweit des Gasthauses auf jene Straße, die vom Stadttor bis zum Palast des Königs führte. Es herrschte ein fürchterliches Gedränge, offenbar war niemand zu Hause oder an seinem Arbeitsplatz geblieben. Gegen Mittag hörten wir plötzlich Trommeln, und dann war es so weit — die Prozession näherte sich. Angeführt wurde sie von fünf Reitern, auf deren Speeren die Köpfe jener Männer aufgespießt waren, die über die Maschrikstädte geherrscht hatten. Da sah ich nun also zum ersten Mal den obersten Gebieter, dessen Kammerherrn ich aufgesucht hatte, um den Kauf von Arusa auszuhandeln. Nach den Reitern kam eine lange Kolonne von Gefangenen, von Soldaten flankiert. Sie waren nackt, und die Hände hatte man ihnen gefesselt. Als dann die Reiterei und die Fußtruppen aufzogen, brach ein Sturm von Hochrufen aus. Es war der Tag des Sieges und der Freude, doch was für blutige Spuren dieser Sieg hinterlassen hatte, das wusste nur Gott. Was für ein seltsames Treiben, das sich mit zwei Wörtern beschreiben lässt — Blut und Freudentriller. Nach den Truppen tauchte, wiederum von Soldaten bewacht, eine lange Schlange von gefangen genommenen Frauen auf. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, denn auf einmal stieg das Bild in mir auf, wie ich einst Halima zum ersten Mal gesehen hatte, damals, als sie ihren Vater in jene Gasse führte, die zum Zeugen meiner Geburt werden sollte. Fieberhaft suchte mein Blick die stumpfen Gesichter ab, glitt über die nackten Leiber, und plötzlich sollte meine Furcht zur traurigen Wahrheit werden — ich erblickte Arusa! Sie war es, sie und niemand anders, mit ihrem gertenschlanken Körper und diesem bildschönen, und nun, ach so traurigen Gesicht. Sie schritt dahin, bot mir das Bild der verkörperten Verzweiflung. Auf einmal wurde ich von einem nicht zu zügelnden Tatendrang ergriffen. Ich behielt Arusa fest im Blick und lief los. Es kümmerte mich nicht, ob ich jemanden anrempelte, ob jemand schimpfte oder ob man mich beschuldigte, den nackten Frauen hinterherzulaufen. Ich rief ihren Namen, immer wieder, obwohl mir klar war, dass meine Stimme gegen den tosenden Jubel nichts ausrichten konnte. Es wollte mir einfach nicht gelingen, sie auf mich aufmerksam zu machen, ihren Blick auf mich zu ziehen. Dann hielt mich die Wache auf; die Prozession hatte den Platz vor dem Palast erreicht, und den durften nur die betreten, die zu den besseren Schichten gehörten. Wie ein Stern war Arusa erschienen und verglüht, und ich — ich blieb zurück, verzweifelt und dem Wahnsinn nahe. Wo waren die Kinder? Lebten sie nun unter dem Schutz ihres Großvaters?
Um mir das Herz ein wenig zu erleichtern, vertraute ich dem Wirt, Herrn Ham, mein Geheimnis an.
»Möglicherweise wird die Frau auf dem Sklavenmarkt angeboten«, erklärte er.
Ich schaute ihn ungläubig an. »Aber das war doch ein Befreiungskrieg?«
»Nun ja, die Kriegsgefangenen werden gesondert behandelt.«
Ich empfand diese Scheinheiligkeit als einen Segen, zeichnete sich doch damit ein Fünkchen Hoffnung ab. Mehr denn je war ich entschlossen zu bleiben. Jeden Tag strich ich aufs Neue auf dem Sklavenmarkt herum, und der Traum, mit Arusa wieder vereinigt zu sein, trieb meine Verzweiflung auf den Höhepunkt.
Eines Abends empfing mich Herr Ham mit einem ermutigenden Lächeln. »Morgen werden die Gefangenen auf dem Markt angeboten.«
Ich schlief schlecht, wachte immer wieder auf. In aller Herrgottsfrühe machte ich mich auf den Weg, ich war der Erste auf dem Markt. Als Arusa aufgerufen wurde, stand für mich fest, dass ich bei der Versteigerung auf keinen Fall aufgeben würde. Zum ersten Mal sah ich sie in einem Kleid, es war grün. Trotz ihrer Traurigkeit sah sie wunderschön aus. Ihr Blick war nach innen gerichtet, auf ihr gebrochenes Selbst. Von dem, was um sie herum vorging, nahm sie nichts wahr, ganz zu schweigen davon, dass sie mich bemerkt hätte. Zum Schluss steigerte nur noch ein Kunde mit, der, wie ich es tuscheln hörte, der Vertreter des weisen Desing sein solle. Bei dreißig Dinar erhielt ich den Zuschlag. Man brachte sie zu mir, und kaum hatte sie mich erkannt, warf sie sich in meine Arme. Sie schluchzte so heftig los, dass uns die Umstehenden anstarrten. Da der Markt nicht der rechte Ort zum Reden war, führte ich sie eiligst fort. Als wir endlich auf der Straße standen, konnte ich mich nicht mehr beherrschen. »Wie gehts den Kindern, Arusa?«, fragte ich aufgeregt.
Sie war viel zu verstört, um antworten zu können. Also wartete ich ab, bis wir in meinem Zimmer allein waren. Da schloss ich sie inniglich in die Arme, bevor ich sie aufs Sofa setzte, damit sie wieder zu sich kam.
»Es drückt mir das Herz ab, dass du so leiden musstest«, sagte ich.
»Du weißt nicht, was geschehen ist. Du warst nicht dabei«, erwiderte sie, und ihre Stimme klang sehr seltsam.
»Erzähl mir alles, Arusa, ich werde sonst noch verrückt.«
Die Tränen flössen ihr übers Gesicht. »Was soll ich dir erzählen? Es war entsetzlich. Sie stürmten ins Zelt und töteten ohne jeden Grund meinen Vater. Dann packten sie mich. Wo sind die Kinder? Ich weiß es nicht. Haben sie sie getötet? Irren sie irgendwo herum? Ich bin es, die verrückt werden will.«
Angst überkam mich, ich versuchte dagegen anzukämpfen. »Warum sollten sie Kinder töten? Sie werden irgendwo sein, und wir werden sie schon finden.«
»Das sind wilde Tiere. Warum haben sie uns gequält, obwohl sie unsere Armee längst besiegt hatten? Es sind Wilde. Das alles geschah in der Nacht des Vollmonds, Gott war da. Er hat alles gesehen und gehört, aber nichts getan.«
Um sie ein wenig zu trösten, sagte ich: »Auf jeden Fall sind wir wieder beisammen. Mein Herz sagt mir, dass wir Erbarmen finden werden.«
»Es gibt kein Erbarmen! Ich werde meine Kinder nie wiedersehen!«
»Arusa, Liebste! Das Leben birgt viel Böses in sich, aber es bringt auch viel Gutes.«
»Das glaube ich nicht.«
»Du wirst sehen. Wir brechen mit der ersten Karawane ins Maschrikland auf und suchen die Kinder.«
»Wann zieht die Karawane los?«
»In zehn Tagen.«
Sie starrte traurig vor sich hin, und mein Herz war von solcher Zärtlichkeit erfüllt, dass es wie eine übermütig sprudelnde Quelle überzulaufen drohte.
Wir verbrachten die lange Zeit des Wartens damit, dass wir durch die Stadt spazierten, ihre Sehenswürdigkeiten betrachteten und uns, unsere Hoffnungen immer wieder heraufbeschwörend, auf die Reise vorbereiteten. Noch ahnte ich nicht, dass Herr Ham mit einer höchst unangenehmen Überraschung auf mich wartete. Eines Tages bat er mich, zu ihm zu kommen. Ich spürte, dass er nur ungern mit der Sprache herausrückte. Er druckste herum, schließlich sagte er: »Ich habe schlechte Nachrichten.«
»Habe ich nicht schon genug davon?«, spottete ich.
Er sah mich fest an. »Der weise Desing will dein Mädchen haben.«
Ich zuckte zusammen. »Ich möchte darum bitten, dass Sie das >Mädchen< als meine Frau betrachten«, erwiderte ich scharf.
»Er wird Ihnen das Geld zurückgeben.«
»Meine Frau ist keine Ware.«
»Desing ist ein mächtiger Mann«, sagte er mit warnendem Unterton. »Er gehört zu denen, die Gott sehr nahe stehen.«
Ich rang um Fassung. »Ich dachte immer, dass fremde Gäste in Ihrem Land sicher sind?«