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»Wir werden Sie als Bürger des Halbalands betrachten, weil Sie dort arbeiten und eine Familie gegründet haben.« Da ich nicht widersprach, fuhr er fort: »Sie können zehn Tage bleiben, das reicht für einen Reisenden.«

»Und wenn es mir hier gefällt und ich länger bleiben möchte?«

»In diesem Fall müssen Sie ein Gesuch stellen, das wir prüfen. Entweder wir stimmen zu, oder wir lehnen es ab.«

Ich nickte, in der Hoffnung, der Beamte würde dies als Zeichen meines Einverständnisses auffassen und mir meine Verwunderung nicht anmerken.

»Wir werden Ihnen einen ständigen Begleiter zur Seite stellen.«

»Muss ich dem zustimmen, oder darf ich es ablehnen?«

»Das ist hier so üblich und dient dem Wohl des Reisenden.« Er klatschte in die Hände, und es kam ein kleiner, etwa sechzigjähriger Mann herein, der die gleiche Kleidung trug wie die anderen — eine Jacke, die aussah wie eine kurze Gubba, eine Hose, die bis zu den Knien reichte, die Füße steckten in Sandalen, und auf den Kopf hatte er wie einen Helm ein Käppi aus Leinen oder Baumwolle gestülpt.

Der Beamte schaute uns einen nach dem anderen an und sagte: »Das ist Kindil Mohammed al-Innabi, das ist Fluka, Ihr ständiger Begleiter.«

Damit war ich entlassen. Draußen auf der Straße ging dieser Fluka stumm hinter mir her. Er kam mir wie mein Schatten vor, und mich beschlich das Gefühl, dass ich, meiner Freiheit beraubt, auf große Abenteuer nicht hoffen durfte. Er beschleunigte den Schritt, kam an meine Seite, und gemeinsam stapften wir durch die Dunkelheit, die von den Fackeln der Wachleute und den Sternen ein wenig durchbrochen wurde.

»Wir sind auf dem Weg zum Gasthaus«, sagte er kurz angebunden.

Wir überquerten einen viereckigen Platz und hatten unser Ziel erreicht. Das Gasthaus war ein beeindruckender Bau und genauso prächtig wie das in Halba. Mein Zimmer war zwar etwas kleiner als dort, auch etwas schlichter eingerichtet, aber es fehlte nichts, um sich wohl zu fühlen. Und es war peinlich sauber. Überrascht bemerkte ich, dass es zwei Betten gab, sie standen dicht nebeneinander. »Was soll das zweite Bett?«, fragte ich beunruhigt.

»Das ist für mich«, erwiderte Fluka gelassen.

»Wollen Sie etwa mit mir in einem Zimmer schlafen?«

»Na sicher. Warum soll man zwei Zimmer mieten, wenn eins reicht?«

»Aber ich würde gern allein in meinem Zimmer sein«, erklärte ich empört.

Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Das ist so üblich bei uns.«

»Soll das heißen, dass ich mich nur im Bad frei bewegen kann?«

»Dort auch nicht.«

»Das ist nicht Ihr Ernst?«

»Für Späße haben wir keine Zeit.«

Ich starrte ihn wütend an. »Da ist es wohl am besten, gleich wieder abzureisen.«

»Die nächste Karawane bricht erst in zehn Tagen auf.« Er zog sich aus, schlüpfte in ein Nachthemd und ging zu einem der Betten. »Es ist alles neu und ungewohnt für Sie. Am besten vergessen Sie möglichst schnell Ihre alten Gewohnheiten.«

Angesichts der unabänderlichen Situation gab ich auf. Ich legte meine Kleidung ab und streckte mich in meinem Bett aus. Aufgeregt wie ich war, fand ich lange keinen Schlaf, aber schließlich siegte die Müdigkeit.

Am nächsten Morgen überkam mich wieder der alte Groll, trotzdem tat ich, als nähme ich alles gleichgültig hin. Fluka brachte mich in den Speisesaal, wir nahmen an einem kleinen Tisch Platz. Das Frühstückbestand aus Milch, Brot, Eiern und kandierten Früchten. Es schmeckte ausgezeichnet, und es war auch alles reichlich vorhanden. Ich aß tüchtig, nur das Glas Wein, das auf dem Tisch stand, rührte ich nicht an.

»Wein gibt es bei jeder Mahlzeit, das ist so üblich.«

»Ich brauche keinen.«

»Aber ich kenne viele Moslems, die auf Wein ganz versessen sind.« Da ich nur lächelte und nichts sagte, fragte er:

»Meinen Sie wirklich, dass sich Ihr Gott darum kümmert, ob Sie Wein trinken oder nicht?« Offenbar sah er meinem Gesicht an, wie ungehalten ich war, denn er entschuldigte sich tatsächlich. — Wir brachen zu unserem ersten Spaziergang auf. Kaum stand ich draußen vor der Tür, bekam ich einen Schreck. Der Platz vor dem Gasthaus, die Straßen, die davon wegführten — es war alles leer. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich in einer verlassenen, ausgestorbenen Stadt befand. Dabei sah alles unglaublich sauber und elegant aus; es gab prächtige Gebäude und hoch aufragende Bäume. Aber nirgendwo regte sich Leben. Aufs Äußerste beunruhigt, fragte ich: »Wo sind die Menschen?«

»Sie sind bei der Arbeit, Männer wie Frauen«, erwiderte er, ohne eine Miene zu verziehen.

Ich sah ihn verblüfft an. »Es muss doch Frauen geben, die nicht arbeiten? Und Leute, die keine Arbeit haben?«

»Jeder hat Arbeit, Männer wie Frauen. Kinder und alte Leute können Sie in den Parks sehen.«

»Aber Halba zum Beispiel quillt über vor Betriebsamkeit, in den Straßen herrscht ständiges Gedränge…«

Er überlegte ein Weilchen, dann sagte er: »Unser System unterscheidet sich grundsätzlich von allen anderen Systemen. Jeder erhält eine Ausbildung, dann arbeitet er. Jeder bekommt einen angemessenen Lohn. Wir sind das einzige Land, in dem es keine Reichen und keine Armen gibt. Es herrscht hier ein Maß von Gerechtigkeit, das andere Länder nicht einmal im Ansatz erreichen.«

Wir gingen los und zogen von einer leeren Straße in die nächste.

»Sehen Sie sich die Gebäude an, sie sind alle gleich. Es gibt keine Paläste und keine einzeln stehenden Häuser, keine riesigen Bauten und keine Hütten. Die Löhne unterscheiden sich nur wenig, das hängt von der Arbeit ab, die man leistet. Aber selbst der niedrigste Lohn reicht für ein menschenwürdiges Leben, jeder kann sich Wohnung, Ernährung, Kleidung, Ausbildung, Kunst, Kultur und Unterhaltung leisten.«

Es fiel mir schwer, das zu glauben, deshalb brachte ich auch nur ein paar Floskeln heraus. Aber die Gebäude beeindruckten mich, sie waren genauso stattlich wie die in Halba. Wir gingen über eine Brücke, die über einen breiten Fluss führte, und plötzlich standen wir in einem großen Park. Solch eine riesige Anlage, mit einer derart vielfältigen Pracht an Bäumen und Blumen hatte ich noch nie gesehen.

»Hier halten sich die Menschen auf, die ihr Arbeitsleben hinter sich gebracht haben.«

Die alten Menschen, Frauen und Männer, gingen spazieren, saßen auf den Bänken und unterhielten sich, manche sangen auch, und einige nahmen an leichten sportlichen Übungen teil.

»In jeder Stadt gibt es solch einen Park.«

Ich hörte seiner Stimme an, wie stolz er war. Insgeheim musste ich mir eingestehen, dass ich dieses System gut fand. Eine ähnliche Fürsorge war mir in keinem anderen Land begegnet. Mir fiel auf, dass viele dieser alten Menschen, vorsichtig geschätzt, über achtzig Jahre alt waren. Als ich Fluka gegenüber mein Erstaunen äußerte, sagte er: »Der Grund dafür liegt in der Art, wie wir uns ernähren. Wir bevorzugen natürliche Nahrungsmittel und vermeiden jegliche Schwelgerei. Außerdem gibt es während der Arbeit Pausen, in denen Sport getrieben wird.«