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Noch etwas Merkwürdiges fiel mir auf: An einem künstlich angelegten See saß ein etwa achtzigjähriges Pärchen, von dem man hätte glauben können, es verbringe hier seine Flitterwochen. Im Schatten der großen Bäume, deren Grün sich auf dem Wasser widerspiegelte, ließen die beiden Alten die Beine im Wasser baumeln. Ich konnte mich nicht satt sehen, doch schließlich meinte Fluka, wir sollten weitergehen und uns den Park für die Kinder anschauen.

Zwischen dem Park für die Alten und dem für die Kinder erstreckte sich ein riesiger Platz, auf dem man gut und gern eine kleine Stadt hätte errichten können. Schon von weitem war das Gejauchze und Geschrei der Kinder zu vernehmen. Der Park war unendlich groß. Mir kam er wie ein eigenes, kleines Land vor, das den Kindern und Jugendlichen gehörte. Es gab viele Spielstätten, aber ich sah auch Plätze, die, wie mir schien, dem Unterricht und der Erziehung dienten. Es wimmelte von Erziehern, und zwar weiblichen wie männlichen. »Spielen die Kinder hier nur, oder werden sie auch unterrichtet?«, fragte ich Fluka.

»Man macht beides. Hier werden die unterschiedlichen Fähigkeiten geprüft, und jedes Kind erhält je nach Begabung seinen Ausbildungsplan. Die Erzieher nehmen die Stelle der Eltern ein, weil diese ihrer Arbeit nachgehen.«

»Aber die Liebe von Mutter und Vater kann doch niemand ersetzen?«

»Solche Sprüche und Redensarten haben in unserem Land ausgedient.«

Mittlerweile war es fast Mittag geworden, also beschlossen wir, ins Gasthaus zurückzukehren und zu essen. Es gab Fleisch, Blumenkohl, Brot und Äpfel. Nach dem Essen ruhten wir uns ein wenig aus, und kurz vor Sonnenuntergang machten wir uns wieder auf den Weg. Fluka führte mich auf einen großen Platz, und als wir unter einer der zahlreichen Weißpappeln standen, sagte er: »Es ist Zeit, dass Sie die anderen Bewohner des Amanlands kennen lernen.«

Auf den Platz mündeten vier breite Straßen. Kaum schickte sich die Sonne an unterzugehen, begannen die Straßen und der Platz zu leben. Es war, als hätte die Stunde der Auferstehung geschlagen. Aus jeder Straße strömten Massen von Männern und Frauen herbei, und da alle die gleiche schlichte Kleidung trugen, hatte ich den Eindruck, es marschiere eine Armee auf. Ein Meer von Menschen ergoss sich auf den Platz, aber es gab kein Gedränge und kein Geschrei. Die Leute unterhielten sich ganz leise, flüsterten fast, und ein jeder schritt weit aus, als steuerte er auf ein bestimmtes Ziel zu. Es gab zwei Ströme, je nachdem, ob man den Platz erreichen oder ihn wieder verlassen wollte. So konnte kein Durcheinander entstehen, aber es war auch kein Lachen zu hören. Die Gesichter sahen ernst und erschöpft aus. Dieses Bild der verkörperten Gleichheit, Ordnung und Ernsthaftigkeit weckte nicht nur mein Erstaunen, sondern erfüllte mich auch mit Angst. Kaum hatte der Aufzug der Menschen seinen Höhepunkt erreicht, begann er sich, ohne ins Stocken zu geraten, aufzulösen. Bei Einbruch der Nacht lag der Platz wieder wie ein verwaistes Königreich da.

»Wo gehen die Menschen jetzt hin?«, fragte ich Fluka.

»Nach Hause.«

»Und dann? Kehren sie wieder zurück, um noch ein bisschen zu feiern?«

»Nein, sie bleiben zu Hause. Die Vergnügungsstätten werden nur an dem freien Abend am Wochenende geöffnet.«

»Soll das heißen, dass wir jeden Abend im Gasthaus verbringen müssen?«

Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Das Gasthaus verfügt über einen Saal, in dem die Fremden ganz nach Belieben trinken und sich Tanz- und Gesangsdarbietungen ansehen können.«

Wir verbrachten den Abend tatsächlich dort. Der Tanz war seltsam, der Gesang für meine Ohren neu, und es wurden auch ein paar Zauberkunststücke geboten. Alles in allem unterschieden sich die Darbietungen nicht grundsätzlich von denen, die ich in Halba gesehen und gehört hatte.

Am nächsten Tag besuchten wir Fabriken, Handelsund Ausbildungszentren und Krankenhäuser. An Größe, Ordnung und Disziplin standen diese Einrichtungen denen in Halba in nichts nach, und ich war zutiefst beeindruckt. Mehr noch, meine feste Überzeugung, dass das Land des Islam allen anderen Ländern hinsichtlich der Kultur und der Erzeugung von Gütern überlegen war, geriet sichtlich ins Wanken. Was mir aber überhaupt nicht gefiel, das waren die düsteren, verschlossenen, abweisenden Gesichter der Menschen. Genau dieser Gesichtsausdruck war es, der es mir unmöglich machte, an Fluka, meinem mir aufgezwungenen Begleiter, Gefallen zu finden.

Wir besichtigten eine historisch denkwürdige Zitadelle, deren Mauern mit Inschriften und figürlichen Darstellungen verziert waren. »Hier, auf dieser Zitadelle«, erklärte Fluka, »fand die letzte Schlacht statt, die mit der Niederlage des tyrannischen Königs und dem Sieg des Volks endete.« Danach brachte er mich zu einem Gebäude, das wie ein Tempel aussah. »Das ist das Gericht der Geschichte, hier wurden die Feinde des Volks angeklagt und zum Tod verurteilt.« Auf meine Frage, um wen genau es sich da gehandelt habe, sagte er: »Großgrundbesitzer, Fabrikherren, despotische Gouverneure. Dieser Staat wurde in einem langen, bitteren Krieg erkämpft.«

Mir fiel ein, dass mein verehrter Lehrer Scheich Marara al-Gibaili vom Abbruch seiner Reise erzählt hatte, weil im Amanland ein Bürgerkrieg geherrscht hatte. Ich erinnerte mich auch daran, wie viel Blut im Halbaland um der Freiheit willen geflossen war. Aber hatte die Geschichte des Islam in meinem Land etwa weniger Blut und Tränen aufzuweisen? Was war dem Menschen wichtig? Gab es einen einzigen großen Traum, oder gab es genauso viele Träume wie Länder und Regionen? Würde ich tatsächlich im Gaballand die ersehnte Vollkommenheit finden?

»Möchten Sie den heutigen Abend wieder im Saal verbringen?«, fragte Fluka.

Ich gab keine Antwort, verspürte ich doch nicht die geringste Lust dazu.

Offenbar bemüht, mich aufzumuntern, sagte er: »Morgen wird im ganzen Land der Tag des Siegs gefeiert, das ist ein großer Tag.«

Nach dem Abendessen setzten wir uns in die Eingangshalle und genossen die angenehm frische Sommerbrise. »Wie Sie wissen«, sagte ich zu ihm, »bin ich auf Reisen. Und da es in meinem Land üblich ist, die verschiedenen Eindrücke aufzuschreiben und allen zugänglich zu machen, darf ich mich nicht mit Besichtigungen begnügen, sondern muss so viel Informationen wie möglich sammeln.« Er unterbrach mich nicht, sondern hörte gleichmütig zu. »Deshalb würde ich sehr gern«, fuhr ich fort, »einen der Weisen dieses Landes treffen. Könnten Sie mir dabei behilflich sein?«

»Die Weisen des Amanlands sind voll und ganz in ihre Pflichten eingebunden. Ich bin durchaus in der Lage, Ihnen jegliche Auskunft zu erteilen.«

Ich schluckte meine Enttäuschung schnell hinunter, war ich doch entschlossen, ihn auf die Probe zu stellen. »Gut, dann würde ich gern wissen, wie die politischen Machtverhältnisse aussehen. Wer regiert euch?«

Ohne zu zögern, erwiderte er: »Es gibt einen Präsidenten, der von der Führungsgruppe des Landes gewählt wird. Das sind die Kräfte, die die Revolution herbeigeführt haben. Zu dieser Gruppe gehören Gelehrte, Weise, Männer der Industrie, der Landwirtschaft, der Armee und der Sicherheit. Der Präsident wird auf Lebenszeit gewählt, aber wenn er Fehler macht, wird er abgesetzt.«

Das erinnerte mich an die Kalifat-Ordnung im Land des Islam, und damit war untrennbar verbunden, dass ich auch an die Tragödien unserer blutigen Geschichte denken musste. »Welche Vollmachten hat der Präsident?«

»Er besitzt die Oberhoheit über die Armee, die Sicherheitsorgane, die Landwirtschaft, die Industrie, die Wissenschaft, die Kunst. Es gehört alles dem Staat, die Menschen sind also Angestellte, die auf ihrem jeweiligen Gebiet tätig sind. Von daher gibt es keinen Unterschied zwischen einem Straßenkehrer und dem Präsidenten.«