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»Wer unterstützt den Präsidenten in seiner Arbeit?«

»Er hat Ratgeber, und natürlich steht ihm auch die Führungsgruppe, die ihn gewählt hat, mit Rat und Tat bei. Aber letztlich ist seine Meinung ausschlaggebend. Auf diese Weise sind wir vor Chaos und zögerlichem Entscheidungswillen geschützt.«

»Aber dann ist er doch viel zu mächtig, um bei einem Fehler verantwortlich gemacht werden zu können?«

Zum ersten Mal wirkte er aufgebracht, denn in ziemlich scharfem Ton entgegnete er: »Hier herrscht das Gesetz, und das ist heilig.« Bevor ich etwas sagen konnte, fügte er hinzu: »Schauen Sie sich doch die Natur an, da herrschen auch Gesetz und Ordnung, und nicht die Freiheit.«

»Aber im Unterschied zu den Kreaturen hat sich der Mensch schon immer nach Freiheit gesehnt.«

»Alles nur purer Wahn und fleischliche Begierden. Wir haben herausgefunden, dass die Herzen der Menschen nur dann ruhig schlagen, wenn Gerechtigkeit herrscht. Deshalb bauen wir unser System darauf auf. Die Freiheit dagegen steht bei uns unter Kontrolle.«

»Verlangt das eure Religion von euch?«

»Wir beten die Erde an, denn sie hat die Menschheit erschaffen und spendet ihr alles, was sie braucht.«

»Die Erde?«

»Gewiss, weil sie uns gelehrt hat, unseren Verstand zu benutzen, und das ist der Schlüssel zu allem anderen.« Er warf sich stolz in die Brust. »Wir sind das einzige Land, in dem Sie auf keinerlei Aberglauben oder sonstige Wahnvorstellungen stoßen werden.«

Tief im Innern bat ich Gott wieder und wieder um Vergebung. Man konnte vielleicht für das heidnische Maschrikland eine Entschuldigung finden, ebenso für das Hairaland, aber wie konnte es sein, dass das Amanland, das über eine dermaßen hoch entwickelte Kultur verfügte, die Erde anbetete? Was für ein seltsames Land! Es rang mir die allerhöchste Bewunderung ab, aber im gleichen Maß verspürte ich auch Widerwillen. Doch keines dieser Gefühle setzte mir so stark zu wie der Schmerz um mein eigenes Land, in dem der islamische Glaube tief gesunken war. Wo das Kalifat nicht weniger despotisch herrschte als der Präsident des Amanlands. Der beging seine Verstöße gegen die Freiheit wenigstens öffentlich, während der Islam still und leise von Heuchelei und schwachsinnigem Aberglauben zersetzt wurde. Und das Volk litt unter Unwissenheit, Armut und Krankheit. Gelobt sei der Erhabene, der Einzige, den man in der Not preisen kann.

In jener Nacht schlief ich schlecht, unangenehme Träume quälten mich. Dann brach der Tag des Fests an, und da niemand arbeiten musste, machte die Stadt auf einmal einen warmen, lebendigen Eindruck. Fluka führte mich zu, dem Platz, an dem der Palast stand. Es war ein gewaltiger Bau, ein Meisterwerk der Architektur. Der Platz selbst besaß riesige Ausmaße, Zigtausende konnten sich dort gut und gern aufhalten. Wir stellten uns in der Mitte hin. Die Menschen strömten in Scharen herbei. Verwundert schaute ich zu, wie sie geordnete Reihen bildeten, eine nach der anderen. Was für ein eintöniges Bild sie boten — die gleiche Kleidung, das gleiche Grau der Gesichter, die gleiche Statur. Keins dieser Gesichter hatte die Sonne je verbrannt, die Körper waren kräftig und dennoch abgezehrt, die Mienen, wegen des Fests zu einem Lächeln verzogen, die doch sonst, an allen anderen Tagen, düster dreinblickten. Ohne jeden Zweifel besaßen die Menschen im Halbaland eine Schönheit, die man bewundern konnte, aber ins Staunen geriet man auch hier, und zwar wegen der völligen Gleichartigkeit. Vielleicht war das der Grund, warum ich in den Augen eine tief empfundene Zufriedenheit las, die allerdings auch etwas Geheimnisvolles barg, etwas wie Gleichgültigkeit oder Abgestumpftheit.

Eine Trompete schmetterte zum Auftakt. Dann näherte sich aus der Richtung, die dem Palast gegenüberlag, eine Prozession von jungen Mädchen. Sie hielten Blumensträuße in den Händen und schritten in vier Reihen auf den Palast zu. Als sie vor dem großen Tor angekommen waren, bildeten sie aus zwei Blöcken ein Spalier. In diesem Moment stimmte die Menge eine Hymne an, und der Gesang war so mächtig und so schön, dass ich vor Rührung erschauerte. Diese Masse von Stimmen, harmonisch vereinigt und getragen von gemeinsamen, vertrauten Erinnerungen. Als der Gesang endete, begannen alle zu klatschen. Nach ungefähr zwei Minuten hielten sie inne. Fluka stieß mich mit dem Ellbogen an und flüsterte mir ins Ohr: »Der Präsident kommt…«

Ich schaute zum Palast. In der dunklen Tiefe des langen Gangs, der zum Tor führte, konnte ich schemenhaft eine Gruppe Männer ausmachen. Erst als sie näher kamen, waren die Gesichter zu erkennen. Allen voran ging der Präsident; die Männer, die ihm folgten, gehörten offenbar zur Führungsgruppe. Der Präsident schritt die Reihen ab, hob hier und da grüßend die Hand. Als er an mir vorbeiging, war er ein paar Handbreit von mir entfernt. Er war von mittlerer Größe, sehr dick und mit einem grobschlächtigen Gesicht. Sein Gefolge stand ihm, was die Beleibtheit betraf, in nichts nach, ein Umstand, der mich aufmerken ließ. Ich war überzeugt, dass der Präsident und seine Männer in den Genuss von Speisen kamen, die der Masse des Volks verwehrt blieben. Es fiel mir nicht schwer, mir vorzustellen, was Fluka zu dem Thema zu sagen hätte: Für Menschen, die in der Arbeit oder der Wissenschaft überdurchschnittliche Leistungen brächten, gebe es durchaus bestimmte Privilegien, und da sei es ja wohl klar, dass zu diesem Kreis allen voran der gewählte Präsident und seine Männer gehörten. Die Grenzen dieser Privilegien seien aber so eng gezogen, dass von Klassenunterschieden nicht die Rede sein könne. Jeder Vergleich mit den Privilegien von Familien, Stämmen, Klassen in den Gesellschaftssystemen, die von Unterdrückung und Korruption beherrscht wurden, sei begreiflicherweise völlig fehl am Platz. In der Tat schienen mir diese Vorrechte kein Verstoß gegen das Gesetz der Gleichberechtigung zu sein, und genauso wenig sah ich keinerlei Ähnlichkeit mit den Zuständen in den anderen Ländern, allen voran dem Land des Islam, wo das Leben der Menschen von erschreckender Ungleichheit geprägt war. Es schien mir, als sähe ich die Dinge deutlicher als je zuvor. Das System im Halbaland hatte ein klares Ziel, das es strikt verfolgte, und genauso entschlossen verwirklichte man im Amanland das gestellte Ziel. Im Land des Islam hingegen sprach man zwar lautstark von einem Ziel, aber in Wirklichkeit scherte man sich nicht darum; man tat es leichtfertig und schamlos ab, und keiner kam je auf den Gedanken, Rechenschaft zu fordern. Das vollkommene System — würde ich es im Gaballand finden?

Der Präsident stieg auf die Tribüne, die vor dem Palast aufgebaut worden war, und begann mit seiner Rede. Er sprach über den historischen Verlauf der Revolution, den siegreichen Kampf und über die Errungenschaften, die in den verschiedensten Lebensbereichen erreicht worden waren. Mich interessierte vor allem, wie die Menschen reagierten. Zweifelsohne war ihre Begeisterung echt, und alle fühlten sich von einer gemeinsamen Hoffnung und Vision getragen. Nein, das war kein unterdrücktes, entmündigtes Volk, das waren durchaus selbstbewusste und anständig erzogene Menschen. Und trotzdem schien ihnen etwas Wesentliches zu fehlen, denn wirklich glücklich sahen sie nicht aus. Aber wie dem auch sei, das Volk stand geschlossen hinter einer Botschaft, die einem wie auch immer gearteten Glauben nahe kam.

Kaum hatte der Präsident seine Rede beendet, da preschte ein berittener Trupp mit Lanzen über den Platz. Ein grässlicher Anblick bot sich mir — auf jeder Lanze war ein Kopf aufgespießt. Vor lauter Entsetzen drohte mir das Herz stillzustehen. Ich sah Fluka an.