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»Warum nicht?«

Für einen Moment wusste ich nicht, was ich antworten sollte. Schließlich sagte ich trotzig: »Weil sie meine Mutter ist.«

»Die Ehe ist ein Gebot des Allmächtigen. Und es wird dir Leid tun, deine Mutter, wenn du verheiratet bist, allein zu lassen.« Er schwieg kurz. »Möge uns Gott auf den rechten Weg leiten.«

Als Scheich Marara gegangen war, stürmten die unterschiedlichsten Gedanken auf mich ein. Die Dinge hatten sich schlagartig geändert, ich malte mir ein düsteres Bild von der Zukunft aus. Dann hatte also meine Mutter meiner Heirat nur zugestimmt, weil sie die Frau des Scheichs werden wollte. Auch wenn nichts Schlimmes hinter meinem Rücken vorgegangen sein mochte, schnürte sich mir vor Wut die Kehle zu. Ich war hin und her gerissen, denn einerseits handelte es sich um die zwei Menschen, die ich am meisten liebte, andererseits beherrschten mich Zorn und das Gefühl von Scham. Aus tiefster Seele rief ich: »O Gott, Du mein Herr, lass mich nicht ungerecht und töricht handeln!«

Es gelang mir tatsächlich; ich sprang über meinen Schatten und versuchte, die Sache mit den Augen eines reifen, erfahrenen Menschen zu betrachten. Ich ließ den Dingen ihren gottgefälligen Lauf, und meine widerspenstige Seele beruhigte ich damit, dass jede Frau und jeder Mann das Recht haben zu heiraten. Dass meine Mutter eben nicht nur eine treu sorgende Mutter, sondern auch eine Frau ist. Dass wir erschaffen wurden, um die Wahrheit zu ertragen und ihr standzuhalten. Dass wir nicht nur unseren Anteil an Glück, sondern auch den an Schmerz mit dem Mut gläubiger Menschen auf uns nehmen müssen. Also schickte ich mich in mein Los und sprach eines Tages meine Mutter offen auf das Thema an.

»Oh, an so etwas hätte ich nie gedacht«, stammelte sie, scheinbar überrascht.

»Es ist dein gutes Recht«, erwiderte ich kühl.

»Ich brauche etwas Zeit, um nachzudenken.«

Für mich war diese Antwort ein erster Hinweis darauf, dass meine Mutter zustimmen würde; zu offensichtlich war der mangelnde Wille, Scheich Mara-ra eine klare Absage zu erteilen. Vor Enttäuschung brachte ich kein Wort heraus.

»Gott der Herr wirds richten«, flüsterte sie schließlich verschämt.

Mir ging durch den Kopf, wie oft wir unsere Wünsche mit frommen Sprüchen verzieren und unser Schamgefühl hinter der göttlichen Erleuchtung verstecken.

Es wurden die üblichen Hochzeitsvorbereitungen getroffen, für die Hochzeit meiner Mutter und meine eigene. Meine Mutter sollte in das Haus von Scheich Marara al-Gibaili ziehen, das durchaus stattlich war, und Halima sollte bei mir leben. Ich war entschlossen, mein Glück zu genießen und allen Kummer zu vergessen. Aber das Schicksal hatte es anders beschlossen, all unsere Pläne wurden zunichte gemacht. Der dritte Kammerherr des Sultans störte unser beschauliches Leben und brachte wie ein Orkan die Grundfesten ins Wanken. Er hatte Halima zu sehen bekommen und auf der Stelle beschlossen, sie zu seiner vierten Ehefrau zu machen. Ihr Vater war völlig verstört. »Es ist mir nicht möglich, ihn abzulehnen«, sagte er zu Scheich Marara al-Gibaili.

Am ganzen Leib bebend, löste ihr Vater die Verlobung auf, und von einem Tag auf den andern wurde Halima mit dem dritten Kammerherrn verheiratet. Ich zog mich in mich selbst zurück. Niedergeschmettert fragte ich mich, wie es wohl um Halimas Herz stand und was sie im Innersten fühlte. Teilte sie meinen Schmerz, oder berauschte sie sich am ungewohnten Reichtum? Ließ sie sich von der Pracht des Sultanshofs blenden? Einsam und verlassen wie ich war, stöhnte ich: »Alle haben mich betrogen -die Religion, meine Mutter, Halima. Möge Gottes Fluch dieses verräterische Land treffen!«

Ich empfand Widerwillen gegen jeden, angefangen beim geringsten Diener des Sultans wie Scheich Adli al-Tantawi bis hin zum Sultan höchstpersönlich. Ich wünschte mir eine Flut herbei, die die alte Welt dem Untergang weihte, damit an ihrer Stelle eine neue, reine Welt entstehen könnte. Das Mitleid meiner Mutter rührte mich nicht, die Weisheiten, die Scheich Marara von sich gab, erreichten mich nicht. Ich hasste diese Welt und konnte sie nicht mehr ertragen.

»Du solltest so schnell wie möglich heiraten«, erklärte meine Mutter. »Vielleicht meint es Gott dieses Mal ja besser mit dir.«

Ich schüttelte nur den Kopf.

»Du solltest anfangen zu arbeiten«, meinte Scheich Marara.

Wieder schüttelte ich den Kopf.

»Hast du einen anderen Plan?«

Als wollte ich all den Gefühlen, die in meinem Innern tobten, freien Lauf lassen, rief ich: »Ja, reisen !«

»Wieso reisen?«, fragte meine Mutter verständnislos. »Du bist gerade erst zwanzig Jahre alt.«

»Das ist das beste Alter dafür.« Ich schaute meinen Lehrer an. »Ich werde ins Maschrik-, Haira- und Halbaland ziehen, und ich werde mich von keinem Bürgerkrieg aufhalten lassen wie Sie, sondern auch das Aman-, Ghurub- und Gaballand besuchen. Wie viel Zeit werde ich dafür brauchen?«

Scheich Marara sah meine Mutter mitleidig an, dann murmelte er: »Ein Jahr, wenn nicht mehr.«

»Für jemanden, der nach Weisheit strebt, ist das nicht viel. Ich möchte viel erfahren und meinem kranken Heimatland ein Heilmittel bringen.« Meine Mutter wollte etwas sagen, aber ich kam ihr zuvor. »Es ist mein fester Entschluss, und ich werde mich davon nicht abbringen lassen.«

Ich flüchtete in meine Träume, um der Wirklichkeit zu entgehen. Das Gaballand erschien mir in meiner Fantasie wie ein angebeteter Stern, dessen Thron sich hinter den anderen Sternen erhob. Einmal entflammt, nährte sich der Wunsch aufzubrechen von der Glut nicht enden wollenden Leidens. Scheich Marara fügte sich ins Unvermeidliche und lud den Besitzer der Karawane zum Abendessen ein. Er hieß Al-Kani Ibn Hamdis und war mit seinen vierzig Jahren ein Mann, der nicht nur körperlich stark war, sondern auch über Weitsicht und Urteilsvermögen verfügte.

»Ich möchte, dass der Junge in deiner Obhut reist und auch wieder mit dir zurückkehrt.«

»Das hängt einzig und allein von ihm ab. Wir rasten in jedem Land zehn Tage. Wer sich irgendwo länger aufhalten will, bleibt zurück. Auf jeden Fall bricht die Karawane am zehnten Tag auf.«

»Zehn Tage müssten doch genügen«, meinte Scheich Marara und sah mich fragend an.

»Ich denke schon«, erwiderte ich.

Wie es denn um die Sicherheit bestellt sei, wollte meine Mutter wissen.

»Noch nie wurde irgendwo eine Karawane überfallen. Die Einwohner selbst genießen nur ein Hundertstel von dem Schutz, der den Fremden geboten wird.«

Unter der Anleitung von Scheich Marara begann ich mit den Reise Vorbereitungen. In eine Tasche legte ich alles Geld, in eine zweite verschiedene Kleidungsstücke, und in eine dritte Tasche tat ich all das, was man unterwegs so braucht — Bücher, Hefte und Stifte zum Beispiel. Ich hätte es gern gesehen, wenn meine Mutter und Scheich Marara vor meiner Abreise geheiratet hätten. Aber der Scheich zog gleich in unser stattliches Haus ein, damit es dort einen Mann gebe. Meine Stimmung hatte sich auf einen Schlag geändert, ich mühte mich nicht länger mit meinen Kümmernissen ab. Die Reise beherrschte mein ganzes Denken und Fühlen, vor mir tat sich ein unermesslich weites Feld auf, das die schönsten Hoffnungen zum Blühen brachte. 

Das Maschrikland

Meine Mutter bereitete mir einen innigen, tränenreichen Abschied. »Es wäre besser gewesen, Gott hätte uns das erspart, aber du willst es ja nicht anders«, sagte sie schluchzend.

Im tiefsten Innern war ich froh, dass sie nicht allein sein würde.

Scheich Marara wollte mich bis zum Zollplatz begleiten. Wir verließen das Haus noch vor Sonnenaufgang, und als wir den Platz erreichten, erblickten wir die Karawane im flackernden Licht der Fackeln. Am Himmel funkelten wachsam die Sterne, und es wehte eine leichte Frühlingsbrise.