»Weiß Kofa zufällig, in welchem Zimmer Bubuta gegessen hat?«
»Ich frage ihn gleich.«
Melifaros Miene versteinerte erneut, aber diesmal nicht lange.
»Nicht schlecht«, meinte er dann. »Die Leute merken sich alles, wenn's um eine bekannte Person geht. Manche haben Bubuta mehrmals das letzte Zimmer verlassen sehen.«
»Ausgezeichnet«, sagte ich erfreut. »Ich habe Lust, auch dorthin zu gehen. Und du, Melifaro?«
»Das fragst du noch? Gehen wir gleich oder nach dem Essen?«
»Das ist mir egal. Hauptsache, es geschieht unauffällig.«
»Warum?«, fragte Melifaro erstaunt. »Es wäre doch interessant zu sehen, wer uns davon abzuhalten versucht.«
»Das würde ohnehin niemand tun. Aber ich möchte mich ungestört umsehen. Warum, weiß ich nicht. Wir Bewohner der Grenzgebiete sind rätselhafte Wesen.«
»Besonders, wenn sie mit Kachar-Balsam übertrieben haben. Na gut, Max - ich bin damit einverstanden, dass wir uns das Zimmer heimlich anschauen. Und wie sollen wir das deiner Meinung nach einfädeln?«
»Zuerst klopfen wir vorsichtig per Stummer Rede an, um sicherzugehen, dass es leer ist. Anderenfalls warten wir, bis die Gäste verschwunden sind. Jedenfalls müssen wir uns sputen, damit uns niemand erwischt. Überprüfst du das für mich?«
»Weil du es bist«, meinte Melifaro und meldete kurz darauf: »Dort sitzt ein Junge - offenbar eine echte Trantüte. Er hat nichts bemerkt und nicht mal gezuckt.«
»Glück gehabt! Dann können wir vorher ja noch was essen.«
»Das will ich hoffen, denn schon im Großen Archiv wäre ich vor Hunger fast gestorben. Und was sollen wir danach machen?«
»Nichts Besonderes. Wir warten ab, bis die finstere Kellnerin in der Küche oder irgendwo anders verschwindet, und gehen dann rüber, um nachzuschauen, wonach es dort riecht.«
»Wonach es dort riecht? Dann glaubst du also ...?«
»Ich glaube gar nichts. Wir müssen uns dort nur umschauen.«
Die finstere Kellnerin balancierte zwei Tabletts auf den muskulösen Armen. Genüsslich begannen wir zu essen. Das vom Wirt so gepriesene Raffinement des Einfachen war kein leeres Versprechen gewesen. Das merkte selbst ich.
»Versuch, dich ein wenig zu beherrschen«, bat ich Melifaro. »Iss bitte nicht alles auf, sondern lass was auf dem Teller.«
»Wieso das denn? Ach, ich verstehe: Du meinst, wir müssen länger bleiben. Keine Panik, die Transuse von Gast wird bald gehen. Ich beobachte ihn schon die ganze Zeit.«
»Prima. Dann darfst du unbeherrscht sein.«
»Vielen Dank«, antwortete Melifaro mit vollem Mund. »Ich glaube, wir können langsam rübergehen. Oder nein, warten wir noch ein wenig. Er ist im Korridor stehen geblieben. Umso besser. Ich wollte ohnehin noch einen Bissen zu mir nehmen. Jetzt aber los, Max. Die Gelegenheit ist günstig.«
Wir landeten im Flur und standen schon Sekunden später in dem Zimmer, in dem der berühmte General Bubuta Boch so oft gespeist hatte.
»Sündige Magister - der Geruch kommt ja direkt von hier!«, flüsterte Melifaro erstaunt. »Diese Trantüte hat womöglich den König von Bandscha verspeist, oder wie immer das Gericht heißen mag. Der Tisch ist längst abgeräumt, doch es riecht wie in der Küche.«
»Hier ist die Küche, Melifaro!«
»Nein, Max - die ist gleich rechts vom Eingang! Du hast doch gesehen, wohin der Wirt mit unserer Bestellung verschwunden ist.«
»Dann gibt es zwei Küchen«, murmelte ich. »Denk doch mal nach: So stark, wie es hier riecht, muss hier gekocht worden sein. Sag mir lieber, ob du klug genug bist, die Tür zu finden, die ein Dummkopf wie ich bis übermorgen suchen würde.«
»Die Geheimtür? Mal sehen, was sich machen lässt.«
Melifaro schloss die Augen und ging unsicheren Schritts durchs Separee. Mir stockte der Atem, weil ich jeden Moment damit rechnete, dass er gegen Tisch oder Stühle stoßen würde. Aber nein - er wich dem, was im Wege stand, akkurat aus, landete an der gegenüberliegenden Wand, ging dort auf alle viere und setzte seine Suche fort.
»Hier«, rief er schließlich und wandte mir sein lächelndes Gesicht zu. »Komm, Max, ich zeig dir was.«
Ich zuckte ein wenig zusammen, weil seine geschlossenen Lider im Halbdunkel grünlich schimmerten.
»Ich hoffe, es ist nichts Schlimmes«, sagte ich, denn seine flimmernden Augen jagten mir so große Angst ein, dass ich auf Nummer sicher gehen wollte.
»Schlimm ist es nicht, aber unvermeidlich. Und jetzt komm.«
Ich ging zu ihm, beugte mich vor und untersuchte die Fläche, vor der er kniete.
»Und?«, fragte ich. »Das ist ja nur ein ganz normaler Fußboden ... Allerdings ist er ein wenig warm«, meinte ich dann und stellte erstaunt fest, dass er an einer Stelle sogar fast heiß war.
»Ein wenig warm? Hast du noch alle Tassen im Schrank?«, fragte Melifaro empört. »Such deine Tür doch nächstes Mal selbst.«
»Wozu wärst du dann noch nutze? Denk lieber daran, wie viel Zeit ich an deiner Stelle gebraucht hätte. Deine Methode ist einfach viel besser. Aber was hat es eigentlich mit dem heißen Fleck hier auf sich?«
»Den spürst du? Donnerwetter!«, rief Melifaro beeindruckt.
Ich konnte natürlich nicht zugeben, bisher nichts von dieser Fähigkeit gewusst zu haben.
»Soll ich die Tür jetzt auch aufmachen?«, fragte Melifaro leicht gereizt.
»Das wäre in deinem Interesse. Hat Juffin dir nicht erzählt, wie ich mal versucht habe, eine Schatulle zu öffnen, in der sich ein Geschenk des Königs befand?«
»Natürlich hat er mir das erzählt. Er hat uns alle gerufen und gesagt: »Liebe Leute, wenn ihr am Leben bleiben wollt, dürft ihr Sir Max nicht erlauben, in eurer Gegenwart auch nur eine Konservendose zu öffnen.« Darüber haben wir uns sehr erschreckt und lange geweint.«
»Eine Konservendose? Hast du Konservendose gesagt?«
Ich fand es erstaunlich, zugleich aber lustig, dass es auch in Echo solche Dosen gab. Na ja - wo hätte ich auch auf sie stoßen sollen? Bisher hatte ich schließlich vor allem in Restaurants oder bei Freunden gegessen.
»Worüber staunst du denn jetzt schon wieder?«, fragte Melifaro, winkte dabei aber schon ab und schob das heiße Stück Fußboden Richtung Wand.
Wir starrten in die Dunkelheit, aus der uns der leckere Geruch entgegenschlug.
»Also los«, sagte ich und seufzte. »Schade, dass das nicht der getarnte Eingang zur Küche des Wirtshauses ist.«
»Wie bei der Pforte zum Obstgarten des Siebenzackigen Blattes? Schön wär's, Max.«
Ich stieg eine schmale Treppe hinunter. Melifaro folgte mir auf dem Fuße und hielt nur kurz inne, um das heiße Stück Fußboden wieder über den Einstieg zu schieben.
»Du hast hoffentlich keine Orientierungsprobleme?«, wollte ich wissen.
»Wieso? Hast du welche?«
»Ich glaube schon. Und ehrlich gesagt sehe ich nichts.«
»Na schön. Dann gib mir die Hand, mein Unglück.«
Wir hielten uns an den Händen und kamen dem Ursprung des Geruchs immer näher. Allmählich merkte ich, dass mir irgendwie klar war, wann ich die Richtung wechseln musste, um nicht gegen eine Wand zu laufen, und wann ich die Beine zu heben hatte, um nicht gegen unsichtbare Hindernisse zu stoßen.
»Soll das ein Scherz sein?«, fragte Melifaro schließlich und versuchte dabei, mir seine Pranke zu entwinden. »Für solche Intimitäten ist jetzt nicht die richtige Zeit.«
»Schon lange träume ich davon, mit dir Hand in Hand zu gehen, und jetzt habe ich endlich einen Grund dafür gefunden. Aber jetzt Schluss damit. Ich habe wirklich keine Ahnung, ob ich mich im Dunklen zurechtfinden kann oder nicht. Was solche Dinge anlangt, weiß ich von mir nichts im Voraus.«
»Dafür bist du ein Glückspilz, weil du ein interessantes Leben führst. Aber bleib stehen - wir sind da. Jetzt bräuchten wir etwas Licht. Du rauchst doch, oder?«