Ich blieb mit dem dösenden Kurusch zurück und war über meine Großzügigkeit selbst frappiert.
Nach einer Stunde musste ich den klugen Vogel allein lassen und zu einem Wirtshaus am Rande der Altstadt eilen. Es hatte den bizarren Namen Kukonins Grab. Von dort hatte Sir Kofa Joch mich per Stummer Rede um Hilfe gerufen.
Die Sache war kaum ernst zu nehmen und schien mir eher ein »Vorfestliches Feuerwerk« zu sein. Ein gewisser Herr Ploss - Stammgast im Giab - stand vor der unangenehmen Aufgabe, seine Schulden bezahlen zu müssen. Für das ganze Jahr natürlich. Und selbstverständlich hatte er kein Geld bei sich. Herr Ploss hätte nur den nächsten Tag abwarten müssen, um sein Gehalt zu bekommen und die Schulden abzubezahlen.
Wenn er dies dem Wirt sofort gesagt hätte, wäre alles in Ordnung gewesen, denn in Echo sind die Leute friedlich und verständnisvoll. Aber der Mann hatte viel getrunken, war übermütig geworden und wollte sparen. Vermutlich war es ihm unangenehm, vor seinen Nachbarn über das Stunden seiner Schulden zu sprechen.
Herr Ploss hatte sich für einen riskanten Zaubertrick entschieden, der Magie zwölften Grades erforderte, also verboten war. Er hatte den armen Wirt zu denken gezwungen, all seine Rechnungen seien bereits beglichen. Der betrogene Wirt hatte sogar begonnen, sich für seine Zerstreutheit zu entschuldigen, und sie mit der Arbeitsüberlastung am Jahresende erklärt. Großzügig hatte der Gauner ihm verziehen.
Dieser Streich hätte in der besonderen Atmosphäre am Jahresende glücken können, hätte nicht ein böser Wind Sir Kofa Joch in Kukonins Grab geweht. Unser Meister des Verhörs hat das seltsame Talent, dort aufzutauchen, wo er den Menschen das Leben am wirksamsten verderben kann. Der Magieanzeiger in seiner kleinen Tabakdose meldete ihm gleich, dass jemand verbotene Magie angewendet hatte. Den Zauber zu finden, war nur noch eine Frage der Technik.
Als der unglückliche Herr Ploss begriffen hatte, dass sein harmloses Spielchen und seine Sparwut ihn vierzig Jahre im Cholomi-Gefängnis kosten konnten, dachte er, er habe ohnehin nichts mehr zu verlieren. Schnell kippte er noch ein Glas Dschubatinischen Säufer und beschloss, bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen und keinesfalls aufzugeben. Bis heute frage ich mich, ob Tapferkeit oder Dummheit sein Verhalten bestimmte. Jedenfalls verschwand er in der Toilette und erpresste die Anwesenden von dort aus mit der Behauptung, er kenne sich gut genug in esoterischen Dingen aus, um sie alle in Schweine verwandeln zu können und für schweres Geld an ein benachbartes Wirtshaus zu verkaufen.
Die Anwesenden glaubten ihm, und der Wirt begann, Sir Kofa anzuflehen, seine Familie nicht vor Jahresende zugrunde zu richten. Daraufhin und nach zahlreichen Bitten der Gäste hatte Sir Kofa Joch sich per Stummer Rede bei mir gemeldet. Unser Meister des Verhörs konnte mit mindestens einem Dutzend solcher Zauberamateure wie Ploss fertig werden, nicht aber mit einer flehenden Menge.
Ich hüllte mich in meinen schwarzgoldenen Todesmantel, schnitt eine dazu passende furchtbare Grimasse und machte mich auf den Weg in das unheilschwangere Lokal. Die Glöckchen an meinen Schuhen läuteten ein mir aus der Heimat bekanntes Lied, und wider Willen musste ich lächeln und mit den Augen zwinkern. Ich war nicht der Tod im königlichen Dienst, sondern eher ein Opfer der vorfestlichen Stimmung. Aber der Wirt von Kukonins Grab seufzte sichtbar erleichtert. Seine Mitarbeiter sahen mich an, wie halbwüchsige Jungen Arnold Schwarzenegger anschauen mögen. Was ein guter Ruf alles bewirken kann!
Ich blieb auf der Treppe zur Toilette stehen und meldete mich per Stummer Rede bei dem unglücklichen Verbrecher: »Ich bin's, mein Junge - Sir Max. Komm lieber freiwillig raus, ehe ich anfange, mich zu ärgern. Provozier den Tod lieber nicht. In Cholomi wirst du fantastisch bekocht.«
Es funktionierte. Zu meinem Erstaunen kam Herr Ploss aus seinem Versteck. Er war so erschrocken, dass Sir Kofa und ich ihn beruhigen mussten. Danach ruinierte ich mich sogar noch, indem ich ihm ein Glas Dschubatinischen Säufer spendierte. Es mag seltsam klingen, doch er hat mir viel Vergnügen bereitet. Ich glaube, der Wirt von Kukonins Grab bewahrt noch immer die Münze auf, die ich ihm damals gegeben habe, und ist überzeugt, sie sei sein stärkstes Amulett.
Schließlich trafen die von Sir Kofa Joch gerufenen Beamten des Cholomi-Gefängnisses ein. Wir übergaben ihnen unsere Beute, die sich inzwischen in hoffnungslosem Dämmerzustand befand. Zum ersten Mal sah ich, wie jemand verhaftet wurde. Auch das verschaffte mir wieder neue Eindrücke.
Einer der Ankömmlinge - der Vollzugsmeister vom Dienst - hielt dem Verhafteten einen kleinen, aber deutlich sichtbaren Stab über den Kopf. Ich fürchtete schon, er werde den Armen umbringen, doch es kam anders. Vor meinen Augen ereignete sich Magie, keine platte Urteilsvollstreckung. Der Stab berührte den Kopf des Verbrechers, und kurzzeitig erschien in der Luft eine flammende 21. Diesen Grad an Magie hatte auch schon Sir Kofa Joch ermittelt.
Im Licht der Flamme schwebte ein schwerer Band des Chrember-Gesetzbuchs mit schneeweißem Schutzumschlag. Kaum waren Kofa und ich sowie der Wirt und drei Küchenhilfen vor dieser Bibel des Vereinigten Königreichs auf die Knie gefallen, erblickten wir ein überdimensioniertes Feuerwerk. Normalerweise reicht dafür ein einziger Zuschauer, doch wenn es mehrere gibt, neigen die Mitarbeiter der Abteilung Schnelle Vollstreckung zur Übertreibung. Viele Zuschauer gelten dem Chef als Zeichen für den Diensteifer seiner Vollstrecker. Ein üblicher Reflex im Beamtenmilieu.
Der arme Ploss, der nach der ganzen Prozedur sichtbar verwirrt war, wurde abgeführt. Ich freute mich sehr, Sir Kofa wiederzusehen, und hätte diesen Augenblick gern verlängert, aber ...
»Am Jahresende gibt es immer viel zu tun, Sir Max«, antwortete unser Meister des Verhörs auf meinen leichthin geäußerten Vorschlag, zusammen ins Haus an der Brücke zu gehen und dort bei einer Tasse Kamra ausgiebig zu plaudern. »Irgendwas sagt mir: -Geh in die Trunkene Flasche, Kofa«, und so einer Stimme darf ich mich nicht widersetzen.«
»Alles klar, Sir Kofa, gehen Sie ruhig. Was kann ich schon gegen Ihre innere Stimme ausrichten? Aber vielen Dank, dass Sie mich - den Alptraum - nicht vergessen haben. Warum lachen Sie? Ich spreche nur von dem Eindruck, den ich bei meiner Ankunft erweckt habe.«
»Was reden Sie denn da, Max! Das war hübsch gruselig. Wie in den guten alten Zeiten. Vor Freude wäre ich beinahe in Tränen ausgebrochen.«
Ich kehrte ins Haus an der Brücke zurück.
Nach einer Stunde meldete sich Kofa Joch bei mir: »Sir Max, ich hatte Recht. Es wurde schon wieder Magie eingesetzt, diesmal siebten Grades. Eine Lady hat versucht, eine Ein-Kronen-Münze als Ein-Dutzend-Kronen-Münze auszugeben. Auch sie wollte also die Bilanz des fast vergangenen Jahres frisieren. Ich gehe mich jetzt ein bisschen im Buckligen Itulo vergnügen. Mein Herz spürt, dass es dort womöglich hoch hergeht.«
Ich staunte.
»Das ist doch der vornehmste Schuppen von Echo. Da gehen doch nur die anständigsten Vielfraße hin, die nicht mehr wissen, wo sie ihr Geld sonst lassen können. Meinen Sie, die beschäftigen sich auch mit krummen Sachen?«
»Jahreswechsel ist Jahreswechsel, Sir Max. Halten Sie sich auf alle Fälle bereit. Ende.«
Alle Geheimagenten hatten das dumme »Ende« übernommen und die Stumme Rede dadurch in ein Pseudo-Walkie-Talkie-Gespräch verwandelt.
An diesem Abend brauchte Sir Kofa meine Hilfe nicht mehr. Das bedeutete allerdings nicht, dass die Bewohner von Echo zur Vernunft gekommen waren. Sie trieben bloß bei ihrer Verhaftung keinen Unfug mehr und konnten daher hoffen, dass die ganze Sache straflos und mit einer strengen Verwarnung enden würde.
Juffin erschien schon vor Tagesanbruch und nur auf einen Sprung im Büro. Er trank nicht mal eine Tasse Kamra, und das war so ungewöhnlich wie ein Weltuntergang. Er nahm viele Pakete aus der Schublade, raunte mir zu, er drehe bald durch, und verschwand mit einer Geschwindigkeit, von der nicht mal Melifaro in seinen besten Tagen hätte träumen können.