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»Das ist ein besonderes Lokal. Früher befand sich dort die Sommerresidenz des Ordens des Geheimen Krauts. Damals war Echo noch viel kleiner, wie du sicher schon gemerkt hast. Komm, wir sind da. Es gefällt dir bestimmt.«

Wir betraten einen langweiligen Garten, doch der erste Eindruck täuschte. Rasch ging die Anlage in eine angenehm verwilderte Obstplantage über, die viele Glaskugeln bläulich beleuchteten. Dort gab es keine Tische, sondern nur kleine, lauschige Bänke, die zwischen Kach-Sträuchern aufgestellt waren. Die Pflanzen erinnerten mich an Wacholderbüsche. Die Luft im Garten war erstaunlich kühl und klar und wirkte herrlich erfrischend, ohne uns frieren zu lassen. Ich fühlte mich verjüngt und hatte den Eindruck, die Welt um mich her berge viele Geheimnisse. Und so war es ja sicher auch.

Ich strahlte Lady Melamori an.

»Stimmt - hier ist es wirklich hübsch.«

»Danke, aber bestell besser keine Kamra - die schmeckt hier erbärmlich. Wenn schon, dann lieber etwas Stärkeres. Solche Getränke sind schwer zu verderben.«

»Etwas Stärkeres? Lieber nicht - ich hatte bis vorhin noch Kopfschmerzen von meinen Ermittlungen zum Jahreswechsel.«

»Pech für dich. Ich kann mich richtig volllaufen lassen - ich hab ja Urlaub.«

»Na dann prost. Ich hoffe, hier gibt es auch Mineralwasser. Das ist es nämlich, was ich jetzt brauche.«

Leider gab es in dem Gartenlokal kein Wasser. Deshalb musste ich eine Schale Kompott bestellen. Ich glaube, Melamori und ich bildeten ein seltsames Paar: eine kleine, zerbrechlich wirkende Dame, die Dschubatinischen Säufer trank, und ein gesund aussehender junger Mann im Todesmantel, der sich an einem Dessert gütlich tat.

»Wenn wir uns schon unterhalten müssen, dann am besten hier«, stellte Melamori, deren Wangen vom Alkohol leicht gerötet waren, plötzlich fest, schwieg aber sogleich wieder, als habe ihre Stimme sie erschreckt. Ich wollte sie schon ermuntern, weiterzureden, doch sie fuhr von selbst fort: »Was meine Ängste angeht, Max, weiß ich jetzt Bescheid. Sag mir doch bitte, welche Farbe deine Augen haben.«

»Ich glaube, sie sind braun, oder?«

Ich war völlig verwirrt. Sündige Magister - was war mit meinem Gedächtnis los? Wie konnte ich meine Augenfarbe vergessen?

»Eben!«, rief Lady Melamori triumphierend. »Du weißt es selbst nicht! Schau her«, sagte sie, zog einen kleinen Spiegel aus der Tasche ihres Lochimantels und hielt ihn mir vor die Nase.

Ich sah in vor Erstaunen weit aufgerissene graue Augen.

»Wieso bin ich bloß so vergesslich?«

»Vergesslich? Als wenn es so einfach wäre! Gestern waren deine Augen grün, morgen sind sie womöglich hellbraun. Und als ich drei Tage vor Jahreswechsel im Haus an der Brücke war, hattest du stahlblaue Augen. Ich dachte damals, du hättest die gleiche Augenfarbe wie mein Großvater Kima.«

»Wie nett, dass du auf solche Kleinigkeiten achtest, Melamori. Was du mir gerade gesagt hast, ist aber so neu für mich, dass ich es kaum glauben kann. Hast du nicht vielleicht etwas durcheinandergebracht?«

»Willst du etwa mit mir wetten?«, fragte Melamori lächelnd. »Du solltest dich in einer Stunde noch mal anschauen. Dann haben deine Augen sicher schon wieder eine andere Farbe.«

»Ich habe nicht vor, mit dir zu wetten«, murmelte ich und gab ihr den Spiegel zurück. »Du willst mich nur an den Bettelstab bringen. Aber eins verstehe ich nicht: Warum macht dir das solche Angst? Soll meine Augenfarbe sich doch ändern! Alle Mitglieder deiner Familie gehören zum Orden des Siebenzackigen Blattes - da bist du doch ganz andere Dinge gewöhnt!«

»Das ist es ja. Ich weiß viel, doch von so einem Fall hab ich noch nie gehört. Als ich das gestern Abend begriff, fragte ich gleich meinen Großvater nach diesem Phänomen. Dabei habe ich nicht dich erwähnt, sondern behauptet, der Mann mit der changierenden Augenfarbe sei ein Bote, doch mein Großvater hat die Diskussion rasch beendet und kategorisch festgestellt, ein solcher Augenfarbenwechsel sei unmöglich. Ich wollte keinen Streit mit ihm riskieren und habe darum lieber heute Morgen Sir Juffin gefragt, was es mit deiner ständig wechselnden Augenfarbe auf sich hat. Und weißt du, was er sagte?«

»Lass mich raten. Vielleicht: »Die Welt ist voller Wunder, Mädchen«? Oder: »Gib dich nicht mit solchem Kleinkram ab, Melamori«? - Hab ich richtig getippt?«

»Beinahe«, antwortete Lady Melamori seufzend. »Sir Juffin hat gekichert und gesagt, das sei nicht dein einziger Vorzug. Außerdem hat er gemeint, in der Stadt gebe es genug normale Leute, die keine Besonderheiten aufweisen und sich deshalb auch nicht für die Arbeit in unserer Dienststelle eignen.«

»Nett, das zu hören«, sagte ich lächelnd. »Bei Gelegenheit muss ich mich dafür bei ihm bedanken.«

»Max, das klingt alles sehr lustig, aber ... Bist du sicher, überhaupt ein Mensch zu sein?«

»Eigentlich nicht«, antwortete ich und brach in Lachen aus. »Aber darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht.«

»Sir Juffin hat das Gleiche gesagt und auch gelacht. Was soll ich jetzt tun? Kündigen, um dir aus dem Weg zu gehen? Oder mir vor jedem Treffen mit dir Mut antrinken? Ich frage das ganz im Ernst, Max.«

Eine ausweichende, aber beruhigende Antwort wäre taktisch sicher besser gewesen, doch Melamori gefiel mir so sehr, dass ich keine Lust hatte, sie anzulügen oder ihr auszuweichen.

»Ich weiß es wirklich nicht«, wiederholte ich. »Ich hab immer geglaubt, es wäre schwierig, einen normaleren Menschen zu finden als mich. Man darf mich nur nicht an der Nase herumführen. Meine bescheidene Menschenkenntnis sagt mir, dass du längst kein so großer Angsthase bist, wie du behauptest.«

»Na ja, ein Angsthase bin ich nicht gerade. Ich bin nur unter besonderen Menschen aufgewachsen, Max. Mein Vater war in der Traurigen Zeit für den Thron vorgesehen, falls einer der beiden Könige namens Gurig verunglückt wäre. Mein Großvater und meine Tanten gehören zum Orden des Siebenzackigen Blattes. Ich habe auch Verwandte mütterlicherseits, die eng mit der alten königlichen Dynastie verbunden sind. Du kannst dir so eine Umgebung doch bestimmt gut vorstellen. Ich bin gewöhnt, etwas Besonderes zu sein. Ich weiß alles, verstehe alles und kann jeden dazu bringen, mir aus der Hand zu fressen. Na ja, fast jeden. Ich hab mich schon damit abgefunden, dass Sir Juffin mehr weiß als ich, weil er die Traurige Zeit nicht nur aus Büchern, sondern aus den Erzählungen von Zeitzeugen kennt. Das kann er dir selbst berichten, falls er es noch nicht getan hat. Aber ich will nicht, dass mir jemand gefällt, der ...«

»... dir nicht aus der Hand frisst?«, fragte ich verständnisvoll.

»Genau. So bin ich nun mal erzogen. Wenn ich etwas nicht verstehe, macht es mir Angst. Die Devise des Ordens des Siebenzackigen Blattes lautet: Vorsicht und Erkenntnis. Und zwar in dieser Reihenfolge. Und weil ich ziemlich viel weiß und mir beinahe alles erklären kann, bin ich auch kein Angsthase. Aber ich brauche dich nur anzuschauen, Max, und bin ganz verwirrt.«

»Da hilft nur eins«, antwortete ich. »Du musst mich besser kennen lernen. Schieb die ewige Vorsicht beiseite und lass dich auf mich ein. Dann siehst du bald, dass ich ein ganz normaler Langweiler bin, und alles wird gut. Aber beeil dich damit, denn beim nächsten Vollmond verliere ich meine menschliche Gestalt.«

Ich konnte mich nur amüsieren, weil ich diese Art Probleme mit Mädchen noch nie gehabt hatte. Die hatten sich an ganz anderen Dingen gestört. Deshalb nahm ich optimistisch an, es würde leicht sein, Melamoris Ängste zu zerstreuen. Wenn sie mich besser kennen gelernt hätte, würde sie begreifen, dass ich alle möglichen Gefühle wecken konnte, keinesfalls aber Angst.

Der Abend endete mit einem ausgezeichneten Wein im Gästezimmer von Lady Melamori. Dort landeten wir nicht allein, sondern in Gesellschaft ihrer - man stelle sich das vor! - acht Freundinnen. Eine war hübscher als die andere, und sie zwitscherten so laut, dass ich Kopfschmerzen bekam.

Melamori übertrieb reichlich mit starken Getränken, und darum bekam ich zum Abschied einen ernsthaften, beinahe echten Kuss. Ich war so verwirrt, dass ich beschloss, mich einfach darüber zu freuen. Egal, was danach käme.