Richtig wach wurde ich erst gegen Mittag. Ein neckischer Sonnenstrahl, wie es ihn nur im Frühling gibt, stahl sich vorwitzig durch den Vorhang. Gedankenverloren betrachtete ich mein festgenähtes Kissen und dachte: So ein Quatsch! Mit einem Schlag konnte ich mich an alles erinnern.
Liebe Leserinnen und Leser! Dreimal dürfen Sie raten, was ich nun tat. Natürlich habe ich sofort die Hand in die angebliche Ritze zwischen den Welten geschoben und vor Spannung zu atmen aufgehört. Doch es ist nichts passiert.
Bestimmt sah das ziemlich dumm aus. Ein nackter Mann auf allen vieren, der die Hand unter dem Kissen hat und auf dessen Miene die Erwartung steht, es werde ein Wunder geschehen! Gut, dass ich die Vorhänge zugezogen hatte.
Nach einer Viertelstunde bekam ich langsam das Gefühl, Sir Maba Kaloch habe mich reingelegt. Vielleicht handelte es sich wirklich nur um einen Witz, eine kleine, aber elegante Rache dafür, dass ich ihn bei Sir Nuflin enttarnt hatte. Aber er hatte doch selbst gesagt, es werde recht lange dauern, den Wechsel der Welten zu erlernen. Und da die Hoffnung zuletzt stirbt, nistete sie sich bis auf weiteres in der dunkelsten Ecke meines Herzens ein, in der linken Kammer nämlich.
Zehn Minuten später schliefen mir die Beine ein, mein Ellbogen bat um Erbarmen, und die Hoffnung lag in den letzten Zügen. Dann begriff ich, dass meine rechte Hand nicht mehr unter dem weißen Kissen lag, sondern verschwunden war. Zwar konnte ich die Finger noch bewegen, brauchte dafür aber viel mehr Willenskraft als sonst.
Ich war so erschrocken, dass ich die Welt um mich herum vergaß. Meine eingeschlafenen Beine und meine verkrampfte Schulter waren plötzlich unwichtig. Mich interessierte allein, was mit der rechten Hand geschehen war. Ich brauche keine Zigaretten, ich kann wunderbar mit dem hiesigen Tabak leben, doch bitte gebt mir meine Hand zurück! Obwohl - gegen eine Zigarette lässt sich auch nichts einwenden ...
Ich zuckte so heftig nach vorn, dass ich das Gleichgewicht verlor. Zum Glück hat man es auf allen vieren ja nicht weit bis zum Boden. Ich lächelte nervös. Meine Hand war wieder da. Und sie hielt zwischen Zeige- und Mittelfinger eine glühende, halb aufgerauchte Zigarette, an deren Filter Lippenstiftspuren zu sehen waren. Offenbar hatte ich im Aschenbecher einer Frau gewildert. Über dem Filter las ich die bläuliche Zahl 555. Sündige Magister - ob das was zu bedeuten hatte? Ich nahm einen Zug, und mir wurde schwindelig vor Entzücken.
Der Mangel ließ mich zum Geizhals werden. Nach ein paar Sekunden drückte ich die Zigarette vorsichtig aus und ging mich waschen. Dann wärmte ich die Reste der Kamra vom Vortag auf, setzte mich in den Sessel und rauchte die Zigarette andächtig zu Ende. Welch seltsamer Tagesbeginn - als wäre ich in einem Märchen!
Ich muss gleich hinzufügen, dass ich mein Schlafzimmer bis zum Sonnenuntergang nicht verließ. Nicht einmal der Wunsch, Lady Melamori zu sehen, konnte mich dazu bewegen, vorzeitig im Haus an der Brücke zu erscheinen.
Die nächsten Versuche, in anderen Welten zu landen, kosteten mich viel mehr Zeit. Aber immerhin wusste ich jetzt, wofür ich litt. Als ich das Haus verließ, um zur Arbeit zu gehen, war ich stolzer Besitzer von vier irdischen Zigaretten, von denen drei schon angeraucht, die vierte aber noch jungfräulich war. Sie alle hatte ich behutsam in die Tasche meines Todesmantels gesteckt. Über all meinen Experimenten hatte ich völlig vergessen, etwas zu mir zu nehmen.
Ich hatte damit gerechnet, dass sich schon einen Tag nach der historischen Änderung des Chrember-Gesetzbuchs eine Schlange von Besuchern vor der Tür des Hauses an der Brücke einfinden würde. Doch ein Massenandrang von Köchen auf das heiß ersehnte Privileg, in der Küche die bisher verbotene Magie fünften bis zwölften Grades einzusetzen, blieb zu meiner Überraschung aus. Weder auf der Straße noch im Korridor waren Besucher zu sehen. Nicht mal im Saal der allgemeinen Arbeit, der als provisorisches Wartezimmer hätte dienen können, saß jemand herum. Melifaro thronte in seinem Büro und hatte das gelangweilte Gesicht eines allzu gut erholten Menschen. Sir Juffin kam mir aus seinem Zimmer entgegen.
»Du treibst mich noch in den Wahnsinn, Max. Heute bist du mal wieder auf die Minute pünktlich gekommen, nicht drei Stunden zu früh. Was ist bloß los mit dir?«
»Wissen Sie das noch nicht? Ich hab von Sir Maba geträumt.«
»Ach so. Und das war so schön, dass du gleich drei Stunden später gekommen bist als gestern?«
»Wissen Sie was? Er hat mir gezeigt, wie ich an Zigaretten kommen kann. Ich muss einfach nur unter mein Kissen langen.«
»Schau an - so fürsorglich ist unser Sir Maba! Das hätte ich nicht erwartet. Ist das denn wirklich passiert? Natürlich - es steht dir ja groß ins Gesicht geschrieben. Dabei war Maba nie ein guter Pädagoge. Er ist einfach zu ungeduldig, um sich mit Anfängern zu beschäftigen. Melifaro, wir unterhalten uns hier nur über Dummheiten - du brauchst also gar nicht zuzuhören«, meinte Juffin dann, weil ihm das neugierige Gesicht seines Tagesantlitzes aufgefallen war. »Du Ärmster wirst demnächst jede Menge arbeiten müssen, weil Max sich jetzt bestimmt nur noch mit seinem Kissen beschäftigt.«
»Das leuchtet ein«, sagte Melifaro nickend. »Warum sollte man sich auch mit Unsinn abgeben? Vielleicht bist du irgendwann so weit, dich auch mal mit deiner Kleidung zu beschäftigen.«
Diese Anspielung überhörte ich mit der Generosität des glücklichen Menschen.
»Bevor ich aber die Welt fliehe, können wir uns noch etwas mit den laufenden Geschäften befassen. Verrate mir doch bitte, wo die Köche geblieben sind. Bin ich vielleicht zu spät dran? Ist die ganze Meute schon heute Morgen aufgetaucht?«
»Hier war fast niemand«, meinte Melifaro und gähnte. »Nur Tschemparkaroke, der Wirt vom Alten Dorn. Das war vielleicht ein Anblick! Er hat schon auf der Schwelle gerufen, er habe sein Spezialgericht Rekreationssuppe immer ohne Magie gekocht. Sonst hätte er es ja gleich den Schweinen vorsetzen können. Dann meinte er, der Ohrring Ochola sei sehr schick und werde sicher all seinen Kunden gefallen. Dieser komische Kauz wollte den Ohrring unbedingt vor dem Spiegel gestochen bekommen, um alles genau zu sehen. Ich wollte mich ein wenig amüsieren und hab alle jüngeren Mitarbeiter gerufen. Sie haben sich im Kreis um Tschemparkaroke aufgebaut, und jeder hielt einen Spiegel, damit der Koch die Prozedur von allen Seiten beobachten konnte. Ich hab ihm den Ring ins Ohr gesteckt und dabei eine abstruse Zauberformel gemurmelt, die ich mir mindestens zur Hälfte spontan ausgedacht habe. Aber er war überglücklich! Er hat sich eine halbe Stunde vor dem Spiegel im Korridor gedreht und sogar die Polizisten aus der anderen Gebäudehälfte gerufen, damit sie sein Schmuckstück bewundern. Dann ist er wieder zu mir gekommen und hat mir vorgeschwärmt, wie sehr ihm der Ohrring gefalle. Und dann ist er endlich gegangen. Wie ich gehört habe, rennen ihm die Gäste inzwischen das Lokal ein.«
»Also ist nur ein einziger Koch aufgetaucht? Und das nicht mal wegen der Magie, sondern nur wegen des Ohrrings? Was ist bloß los, Juffin?«, fragte ich verwirrt. »Sie haben alles so schön vorbereitet und den alten Nuflin zur Änderung des Gesetzbuchs gebracht, und jetzt bleiben diese Dummköpfe einfach weg.«
»Weil sie keine Dummköpfe sind, Max, sondern vernünftige und vorsichtige Leute. Hast du wirklich gedacht, sie würden alle schon am ersten Tag angelaufen kommen? So ein Ohrring ist kein Spaß, sondern zieht Konsequenzen nach sich. Weißt du, was mit Köchen passiert, die beispielsweise Magie einundzwanzigsten Grades benutzen und zugleich den Ohrring tragen? Sie müssen schlimme Schmerzen erleiden. Und die berühmten Küchenzauberer sind schließlich auch nur Menschen, die nicht immer bereit sind, sich mit einer Beschränkung ihrer Künste auf Magie zwölften Grades abzufinden. Jeder Koch, der gegen das Gesetz verstieß, durfte bisher hoffen, das bliebe uns mit etwas Glück verborgen. Selbst die Aussicht, im Cholomi-Gefängnis zu landen, war nicht so schlimm - schließlich hat mehr als die Hälfte der wichtigsten Persönlichkeiten des Königreichs dort eine Zeit lang gesessen. Wer aber den Ohrring trägt, gerät gar nicht erst in Versuchung, das Gesetz zu überschreiten.«