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»Aus Sir Manga Melifaros Enzyklopädie natürlich -woher sonst? Ich lese immer darin, wenn ich nicht schlafen kann.«

»Dann müssen Sie aber oft an Schlaflosigkeit leiden.«

Ich zuckte nur die Achseln. Schließlich konnte ich Sir Kofa schlecht sagen, dass Hathor zu den wichtigsten tierähnlichen Göttinnen der altägyptischen Mythologie gehört.

In diesem Augenblick stellten zwei Kellner einen riesigen Teller vor uns hin, auf dem ein Stierkopf lag, zwischen dessen Hörnern sich eine knusprig gebratene Pute befand. Zuerst dachte ich, der Vogel stecke auf einem Spieß oder hänge an einem Bindfaden, doch dann bemerkte ich, dass er schwebte!

»Legen Sie die Pute bloß nicht auf den Teller«, flüsterte Sir Kofa mir zu. »Sie muss bleiben, wo sie ist. Sie können das Fleisch mit dem Messer schneiden und dürfen dabei gern die Gabel zu Hilfe nehmen, aber berühren Sie den Vogel auf keinen Fall mit der Hand. Sonst verderben Sie den Geschmack.«

Ich hörte auf ihn. Es wäre wirklich eine Sünde gewesen, den Geschmack eines so herrlich duftenden Tieres zu ruinieren.

Nach dem vierten Wirtshaus bat ich um Gnade. Ich fürchtete, auch bald - dem Vorbild manches Mitglieds der Familie Talabun getreu - ohnmächtig über meinen Teller zu sinken.

»Sie sind ja ein schlechter Esser! Das hätte ich nie gedacht. Aber ich möchte Ihnen gern noch ein nettes Lokal zeigen, wo es ausgezeichnete Desserts in wunderbar kleinen Portionen gibt - Ehrenwort!«

»Wenn's sein muss«, murmelte ich träge. »Aber das ist garantiert die letzte Spelunke für heute.«

Das Lokal hieß Gerb Iraschi.

»Wer war dieser Iraschi überhaupt?«, fragte ich benommen.

»Das gibt's doch nicht! Sie wissen, wer Hathor war, haben aber keine Ahnung, wie Ihr Nachbarstaat heißt?«

»Ich bin pappsatt und kann einfach nicht mehr klar denkend-

junge, Junge, war das peinlich! Abgesehen davon, dass die Enzyklopädie seit langem unaufgeschlagen am Kopfende meines Betts vegetierte, kannte ich mich in der Geografie dieser Welt miserabel aus.

Sir Kofa schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, und wir betraten das Gerb Iraschi.

»Hokota!«, rief uns der Barkeeper zur Begrüßung zu.

»Hokota!«, antwortete Sir Kofa gespreizt.

»Was haben Sie da gesagt?«, fragte ich neugierig.

»Ach, das gehört zu den Nettigkeiten des Lokals. Die Besitzer sind Nachkommen der Ureinwohner von Echo, kochen aber auf iraschische Art und versuchen deshalb, mit den Besuchern Iraschisch zu sprechen, soviel sie können. Iraschi gehört allerdings zu den wenigen Staaten, wo eine vollkommen andere Sprache gesprochen wird als in Echo. Aber für die hiesigen Snobs ist dieses Geschwätz der Gipfel der Raffinesse.«

»Ach so. Und Sie haben gerade eine Begrüßungsfloskel benutzt?«

»Natürlich. Aber sehen Sie den Kerl da drüben im dunkelblauen Lochimantel? Der ist seltsam gekleidet, finden Sie nicht?«

»Seltsam? Wie meinen Sie das, Sir Kofa?«

Aufmerksam musterte ich den ärmlich angezogenen Mann mittleren Alters, der über seine Tasse gebeugt war und auf die Theke stierte.

»Fällt Ihnen gar nichts auf? Nicht mal der Gürtel?«

»Von hier aus sehe ich keinen Gürtel, aber warten Sie ... Donnerwetter, was für ein schönes Stück!«

Unter dem dunkelblauen Lochimantel des Unbekannten sah ich nun tatsächlich einen breiten und sehr auffälligen Gürtel in allen Perlmutttönen schillern.

»Sündige Magister - so ärmliche Kleidung, aber so ein toller Gürtel! Seine Skaba ist an vielen Stellen geflickt, sehen Sie das, Sir Max?«

»Sie haben wirklich Adleraugen, Kofa.«

»Na ja, mitunter. Aber da kommt ja das Dessert.«

Unsere Portionen waren tatsächlich sehr klein. Wir bekamen eine winzige, munter wackelnde Pirogge, die allerdings nicht nach Götterspeise aussah und unverdrossen weiterzitterte, nachdem der Kellner sie längst abgesetzt hatte. Dazu bekamen wir so riesige Löffel, dass ich mir nicht vorstellen konnte, damit zu essen.

»Entschuldigung«, rief ich einem vorbeikommenden Kellner zu. »Das ist kein Löffel, sondern eine Kohlenschaufel! Können Sie uns kein passenderes Besteck bringen?«

»Chwara tonikai! Okir blad tu!«

Kaum hatte der Ober diese geheimnisvollen Worte ausgestoßen, verschwand er. Ratlos sah ich meinen Begleiter an.

»Was hat er gesagt?«

»Das mögen die Magister wissen! Ich bin doch kein Dolmetscher aus dem Iraschischen. Zuerst hat er sich entschuldigt, aber dann? Vermutlich hat er gesagt, er wird uns geeignete Löffel bringen. Aber Sie machen einen Fehler, Sir Max. Das seltsame Besteck verleiht dem Lokal nun mal das gewisse Etwas. So ein erlesenes Dessert - und dazu ein völlig unpassendes Besteck. Nirgendwo in Echo finden Sie etwas Vergleichbares.«

»Ich kann auch ohne diese Extravaganz leben«, entgegnete ich abwinkend. »Mit dieser Kohlenschaufel jedenfalls esse ich nicht - dann lieber mit den Händen. Warum habe ich meinen Todesmantel nur im Büro gelassen?! Wenn ich den trüge, hätte mir die Wirtsfamilie zum Dessert sicher ein silbernes Löffelchen gebracht. Ich schlag hier gleich Krawall.«

Tatsächlich aber hatte ich gute Laune, und auch Sir Kofa sah sehr zufrieden aus.

»Na ja, es ist eben nicht leicht, nur ein Normalsterblicher zu sein. Toben Sie ruhig - ich bin gespannt, was dabei rauskommt. Und jetzt werde ich essen, denn mir gefällt mein Löffel.«

Doch schon kam der junge Kellner angehetzt und winkte siegesgewiss mit einem Löffelchen, das mir für den Nachtisch wie geschaffen schien.

»Schopra kon«, sagte der Junge, verbeugte sich vor mir, wandte sich dann an Sir Kofa und murmelte pflichtbewusst: »Chwara tonikai! Pret!«

»Ist ja schon gut«, meinte Sir Kofa erstaunt. »Geh ruhig wieder.« Dann wandte er sich an mich: »Wissen Sie was? Sie brauchen keinen Todesmantel - die Leute haben auch so Angst vor Ihnen. Das ist bestimmt Instinkt. Für Sir Max haben sie gleich einen Löffel gefunden, für mich natürlich nicht. Wie ließe sich das sonst erklären?«

Ich war über meinen kleinen Sieg sehr glücklich, und auch der Nachtisch enttäuschte mich nicht.

»Sehen Sie mal, Sir Max«, meinte Kofa und stieß mich in die Seite. »Da ist schon der Zweite. Jetzt versteh ich gar nichts mehr. Ist das eine neue Mode?«

»Welcher Zweite? Ich weiß nicht ...«, begann ich, brauchte aber nur zum Eingang zu schauen, um Bescheid zu wissen. Ein hübscher junger Mann in prächtigem gelbem Lochimantel stand in der Tür. Als sich sein Mantel öffnete, sahen wir erneut eine schäbige Skaba und einen prunkvollen Gürtel aus Perlmutt.

»Ein lustiger Zufall«, kicherte Sir Kofa. »Zum ersten Mal sehe ich so einen auffälligen Gürtel - und dann gleich doppelt. Schauen Sie, jetzt haben sie einander bemerkt. Na so was!«

Die Gürtelbesitzer erstarrten und musterten sich von Kopf bis Fuß. Die Miene des Jüngeren im gelben Mantel verriet Staunen, Angst und anscheinend auch Mitgefühl. Er öffnete den Mund und machte einen kleinen Schritt Richtung Theke, drehte sich dann aber um und verließ das Lokal. Der andere hätte beinahe seinen Hocker an der Theke verlassen, winkte dann aber ab und bedeutete dem Barkeeper, ihm nachzuschenken. Gleich ruhte der Blick des Gürtelträgers wieder auf seiner Tasse.

»Was halten Sie davon, Sir Max?«

»Seltsame Sache«, meinte ich und zuckte ratlos die Achseln. »Aber wenn er geht, können wir uns ja an seine Fersen heften.«

»Bleiben Sie ruhig sitzen, Sie Held. Dem brauchen wir nicht zu folgen.«

»Warum nicht, Sir Kofa?«

»Na ja, wie soll ich Ihnen das sagen ...? Es schickt sich eben nicht für ein Mitglied des Kleinen Geheimen Suchtrupps, hinter dem Nächstbesten herzulaufen, der sich verdächtig benimmt. Prävention gehört nicht zu unseren Aufgaben. Wenn was passiert ist und man uns höflich bittet, uns damit zu beschäftigen, sieht die Sache natürlich ganz anders aus. Wir bleiben also gemütlich sitzen.«

»Na ja, Sie müssen es ja wissen.«

Offen gestanden war ich etwas enttäuscht.

»So ist es, mein Junge«, erklärte Sir Kofa und zwinkerte mir zu. »Aber verlieren Sie nicht den Mut. Vor Ihnen liegen noch viele grandiose Abenteuer und Verfolgungsjagden. Entspannen Sie sich jetzt und genießen Sie das Leben.«