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Dann erschien Lady Melamori und beklagte sich schon auf der Türschwelle über ihr Leben.

»Max, Sie können sich nicht vorstellen ...«, begann sie und stockte. Die Arme hatte weiter ein Problem damit, ob sie mich duzen oder siezen sollte. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schlimm es ist, eine große Familie zu haben.«

»Natürlich kann ich das«, seufzte ich. »Im Moment döst bei mir ein unglückliches Opfer familiärer Verstrickungen. Viele seiner Verwandten glauben nämlich, er rettet gerade das Vereinigte Königreich.«

»Du meinst Melifaro? Dieser Glückspilz! Bei mir sieht es schlimmer aus. Meine Familie hat Macht genug, mich vom Dienst zu befreien, wenn meine Abwesenheit bei Familientreffen unangenehm auffällt. In so einem Fall kann mir niemand helfen. Nur gut, dass das Jahr bald zu Ende geht.«

»Nimm dir eine Tasse Kamra«, schlug ich vor. »Und bleib ein halbes Stündchen bei mir. Das wird zwar nicht das spannendste Abenteuer deines Lebens, aber du kannst dich immerhin erholen. Und vielleicht hast du ja noch Energie genug, dich zu kämmen.«

Melamori musterte ihr verzerrtes Spiegelbild auf der Außenwand ihrer Tasse.

«Wie peinlich! Du hast Recht, Max. Eine halbe Stunde normales Leben wird mir nicht schaden.« Sie zog den kleinen lila Turban ab und begann, ihre zerzausten Haare zu kämmen. »Das dauert nicht mehr lange. In ein paar Tagen ist alles vorbei.«

»Ich schlage vor, deine Stimmung durch einen Spaziergang zu bessern.« Ich hatte beschlossen, etwas Aufdringlichkeit könnte nicht schaden. »Belebte Plätze, beleuchtete Straßen und keine Gefahr.«

»Das muss nicht sein«, sagte Melamori und lächelte unerwartet. »Ich meine, die belebten Plätze müssen nicht sein. Wer könnte mich schon vor Sir Max retten, vor dem ganz Echo zittert? Doch nicht die Mitarbeiter von General Bubuta Boch? Aber ich finde es eine Unsitte, am Jahresende Versprechungen zu machen. Darum tu ich das nicht. Doch das neue Jahr kommt bestimmt.«

»Alles klar. Nächstes Jahr werde auch ich den verschiedensten Leuten möglichst viel versprechen. Dann werde ich mich zum Jahresende nicht mehr wie der Insasse einer Irrenanstalt fühlen, sondern wie alle anderen sein.«

»Vielen Dank für die Kamra, Max. Jetzt muss ich gehen. Meine Eltern haben ein gutes Wort eingelegt, damit ich drei Sorgenfreie Tage bekomme. Sorgenfrei sollen sie sein, aber trotzdem alltäglich. Und wenn sie erfahren, dass ich hierhergekommen bin, nur um Ihnen ... also dir Guten Tag zu sagen, statt meinen Sohnespflichten zu genügen ...«

»Tochterpflichten«, korrigierte ich sie.

»Was? Nein, nein, ich meine tatsächlich Sohnespflichten. Mein Vater Korwa Blinn hat sich unbedingt einen Sohn gewünscht und ist bis heute davon überzeugt, dass ich nur aus Dickköpfigkeit ein Mädchen geworden bin. Irgendwann werde ich in deine wilden Länder fliehen - das schwöre ich dir.«

Lady Melamori zog eine finstere Miene, machte eine wegwerfende Geste und verließ mein Büro und das Haus an der Brücke.

Ich gähnte - mehr aus Zerstreutheit als vor Müdigkeit. Anscheinend wurde die Welt langsam zur Hölle.

Nicht mal der unerschütterliche Sir Lonely-Lokley verweigerte sich einer Tasse Kamra. Zwar war die Arbeit am Jahresbericht, die ihm Juffin aufgeladen hatte, für Schürf eine reine Freude, weil sie seinem bürokratischen Naturell entsprach, doch auch bei ihm zu Hause warteten eine Menge Probleme, die sich im Lauf der Zeit angesammelt hatten. Und jeder Mensch muss schlafen - selbst Lonely-Lokley! Deshalb sah er alles andere als blendend aus. Zum ersten Mal bemerkte ich auf seinem leidenschaftslosen Gesicht einen menschlichen Ausdruck, der zeigte, dass auch er ziemlich angegriffen war.

Pedantisch trank er meine Kamra Tasse für Tasse aus und begann dann mit dem letzten Teil des Jahresberichts.

Ich war allerdings nicht der einzige normale Mensch in diesem Chaos. Das Leben von Sir Lukfi Penz zum Beispiel, unserem Obersten Wissenshüter, wies keine besonderen Veränderungen auf. Kurz vor Mittag erschien er bei mir, um zu plaudern. Na, wenn der für so was Zeit hat, muss mit ihm wohl alles in Ordnung sein, dachte ich.

••Offenbar sind Sie weder mit Versprechungen noch mit Schulden oder einer Familie belastet«, sagte ich und blickte vergnügt in sein lebensfrohes, jungenhaftes Gesicht.

»Wie kommen Sie denn darauf?«, fragte Lukfi frappiert.

»Weil Sie der Einzige sind, in dessen Miene der Jahreswechsel keine Ermüdungsspuren hinterlassen hat.«

»Wieso? Geht das Jahr denn schon zu Ende?«

»In drei Tagen«, bestätigte ich.

»Sündige Magister! Das hab ich ja total vergessen! Ich muss rasch mit Warischa reden. Vielleicht soll ich noch etwas tun. Vielen Dank, dass Sie mich daran erinnert haben, Sir Max.«

Lukfi sprang Hals über Kopf aus dem Arbeitszimmer und kippte dabei Tasse und Stuhl um. Die Kamra kroch über den grünen Teppich und schuf dabei ein merkwürdiges Muster. Ich konnte nur die Achseln zucken und einen Diener rufen.

Nach dem Mittagessen wurde ich müde und ärgerte mich langsam darüber, wie lange Melifaro sich bei mir ausschlief. Natürlich liebe ich es, Menschenleben zu retten, aber ab und zu brauche auch ich eine Pause.

Melifaro tauchte auf, ehe ich meinen gewaltigen Vorrat an Schimpfworten erschöpft hatte, und sah so gesund aus, dass ich mich wie ein Heiliger fühlte. Das war doch angenehmer, als die Bewohner von Echo mit dem Todesmantel zu verängstigen.

»Gelobt sei das Nachtantlitz, das so süße Träume schenkt!«, rief Melifaro schon auf der Türschwelle.

Er hätte seine Tirade ins Unendliche verlängern können - es wäre mir gleich gewesen.

»Ich geh mir jetzt selbst süße Träume spendieren. Und wehe, mich stört jemand dabei! Dann spucke ich - das sollen alle wissen!«, rief ich laut und stieg in mein A-Mobil. Ein zehnminütiger Spaziergang erschien mir in meinem Zustand keine besonders gute Idee. Ich war so bettschwer, dass ich mich schon im Auto auszuziehen begann. Aber wen hätte das am Jahresende noch in Erstaunen versetzen können.

Die nächsten Tage verliefen ähnlich, und die allgemeine Unruhe wuchs immer mehr. Am Morgen vor Neujahr aber merkte ich, dass sie nachließ.

Sir Juffin Halli erschien zur gewohnten Zeit, setzte sich hin und schwieg ungewöhnlich lange.

»Hast du noch immer nicht gelernt, Kamra zu kochen?«, fragte er mich plötzlich.

»Dazu habe ich einfach kein Talent. Erinnern Sie sich noch an meine ersten Versuche? Das Ergebnis war so furchtbar, dass ich mich entschieden habe, es nicht weiter zu probieren.«

»Aber jetzt bring ich es dir bei! Es bereitet mir nämlich ein schlechtes Gewissen, jemanden in eine fremde, unbekannte Welt gelockt und ihm ein neues Leben verschafft zu haben, ohne ihm die wichtigsten Dinge beizubringen.«

Ich war so erstaunt über sein Angebot, dass ich das Risiko einging, Ja zu sagen. Also zauberten wir über einer winzigen Kochplatte auf Sir Juffins großem Herd. Unser Erzeugnis schmeckte einigermaßen, konnte sich aber natürlich nicht mit den Köstlichkeiten aus dem Fressfass messen. Nach dieser Kostprobe bekam ich Lust, es allein zu wiederholen.

»Zum Teufel, Max«, brummte Juffin, als er mein Werk probierte. »Du wirst es nie lernen. Du bist ein hoffnungsloser Fall.«

»Ich bin ein Zugereister«, meldete ich trotzig. »Ein Barbar, ein Wilder, ein Flegel. Ich verdiene Mitleid, keine Kritik. Wenn Sie mir gleich gesagt hätten, dass Sie einen Koch brauchen, hätte ich sofort erklärt, dass Sie sich den Falschen ausgesucht haben.«

»Unwissenheit ist keine Sünde«, sagte Juffin seufzend. »Aber ich begreife trotzdem nicht, warum es bei dir nicht klappt. Du hast mit leichter Hand viel schwierigere Probleme gelöst.«

»Zu allem braucht man Talent«, antwortete ich entschieden. »Und fürs Kochen hab ich offenbar keins. Ihr Glück, Juffin, dass Sie mein Rührei nie probieren mussten. Von anderen Speisen ganz zu schweigen. Butterbrote sind das Äußerste, was mir gelingt.«