Выбрать главу

Schließlich kehrte ich ratlos in mein Büro zurück. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich unterwegs mit Schichola, dem ehemaligen Leutnant der Stadtpolizei, zusammenstieß. Nach der schnellen Rettung von Bubuta Boch war er zum Hauptmann befördert worden, was er - anders als manche seiner Kollegen - schon lange verdient gehabt hätte.

Der Aufprall brachte Schichola ins Wanken, warf ihn aber nicht um.

»Haben Sie sich gerade unsere Beute angesehen, Sir?«, fragte mich der Gerempelte und massierte sich das Kinn.

»Ja, aber etwas stimmt damit nicht«, gab ich zurück und sah ihn nachdenklich an.

»Das glaube ich auch. Sir Kofa Joch hat ihn sich als Erster angeschaut, dann der Ehrwürdige Leiter und jetzt Sie. Dieser Vagabund scheint eine starke Anziehungskraft zu besitzen.«

»Vagabund!?«, fragte ich erstaunt.

Der teure Lochimantel und die eleganten Schuhe des Toten jedenfalls widersprachen der Behauptung, es handele sich um einen Stadtstreicher. Dann begriff ich! Unter der teuren Kleidung trug der Verstorbene eine alte, mehrfach geflickte Leinenskaba, die mich schon am Vortag stutzig gemacht hatte. Anscheinend hatte er sie jahrelang nicht abgelegt. Und genau das war das Widersprüchliche an der Leiche.

»Natürlich, er ist ein Vagabund!«, rief ich und ließ Hauptmann Schichola grußlos stehen.

»Und - was sagst du dazu?«, fragte Juffin und lächelte dabei so wohlwollend, als habe er mir mit dem Mustern der Leiche ein Geburtstagsgeschenk machen wollen.

»Nichts Besonderes. Der Mann ist recht eigenwillig angezogen, was mir allerdings erst nach einiger Zeit aufgefallen ist. Ich habe den Eindruck, er hat seine Skaba seit Jahren nicht gewechselt. Wer hat ihm eigentlich den Gürtel abgenommen - der Mörder oder Sie?«

»Wir jedenfalls nicht - leider.«

»Und woran ist er gestorben? Ich habe keine Wunden entdeckt. Ist er etwa vergiftet worden?«

»Durchaus möglich. Bisher konnten wir wenig ermitteln. Ist dir vielleicht sonst noch was aufgefallen?«

»Nichts.«

»Gar nichts?«

»Na ja, als ich ihn mir vorhin angeschaut habe, hat mein Herz plötzlich merkwürdig gepocht. Gestern dagegen, als ich ihn mit Sir Kofa in einem Lokal gesehen habe, hat mein Herz ganz normal geschlagen.«

»Mich interessiert allein dein Herz. Würdest du mehrere davon haben, würde ich sie unter deinen Kollegen verteilen, und sie würden besser arbeiten als alle Magiezeiger. Stell dir vor - auch Sir Kofa und ich haben nichts Besonderes gespürt, dafür aber dein neuer Freund.«

»Und wer soll das sein? Hauptmann Schichola?«

»Du hast ja ein ziemlich kurzes Gedächtnis«, sagte mein Chef lächelnd. »Ich meine den Großen Magister Nuflin Moni Mach. Er hat vor einer Stunde verlangt, wir sollen uns mit diesem Fall besonders ernsthaft beschäftigen. Er hat die merkwürdige Ahnung, dass mit dem Toten etwas nicht stimmt, aber er weiß nichts Genaues. Bist du vielleicht mit Nuflin verwandt?«

»Das wissen Sie besser als ich«, seufzte ich. »Schließlich sind Sie der Schöpfer meiner Biografie. Dürfte ich ein wenig Kamra bekommen? Erst hab ich nicht ausschlafen können, und dann hab ich mir auch noch eine Leiche ansehen müssen - mein Leben ist wirklich ziemlich scheußlich.«

»Tatsächlich? Macht dein Kopfkissen etwa Zicken?«, fragte mein Chef lachend. »Kamra kannst du dir selbst machen. Das hab ich dir schließlich beigebracht. Und knirsch bitte nicht so Unheil verkündend mit den Zähnen, sondern biete auch Sir Kofa davon an, damit er deine frisch erworbene Brühkunst kennen lernt.«

»Gegen diesen Befehl bin ich machtlos«, sagte ich folgsam. »Aber ein Despot sind Sie schon, Sir Juffin.«

»So ist das eben.«

Obwohl ich alle Handgriffe beinahe automatisch erledigte, schmeckte meine Kamra so gut wie nie zuvor. Auch Sir Kofa nickte schon nach dem ersten Schluck anerkennend.

Meine Gastfreundlichkeit brachte die düsteren Ahnungen, die mich seit dem Besuch der Leichenhalle begleitet hatten, kurzzeitig zum Verschwinden. Ich zog eine Schachtel Zigarettenstummel aus der Tasche meines Todesmantels. Die älteren Kollegen verzogen darüber das Gesicht, doch das war mir schnuppe. Bedauernswert, wer dazu verdammt war, das hiesige Kraut zu rauchen!

»Woher stammen eigentlich diese auffälligen Gürtel, Sir Kofa? Das wissen Sie doch sicher?«

»Gute Frage, Max, aber bisher habe ich es nicht herausfinden können. Aus Echo jedenfalls kommen sie nicht. Deshalb will ich möglichst bald aufs Zollamt. Wenn wir uns nämlich »besonders ernsthaft« mit dem Fall beschäftigen sollen, sind wir auf Nuli Karifs Hilfe angewiesen, zu dessen Pflichten es gehört, alles über Importe und Exporte zu wissen. Ich habe Sie vorhin übrigens geweckt, damit Sie mir dabei Gesellschaft leisten.«

»Hat sie Ihnen gestern etwa gefallen?«

»Wer soll mir gestern gefallen haben?«

»Na - meine Gesellschaft.«

»Wie hätte mir unsere gastronomische Expedition letzte Nacht nicht gefallen sollen? Es war doch sehr lustig -besonders Ihr heroischer Kampf um den Löffel«, meinte Sir Kofa kichernd.

»Sie, Sir Kofa«, erklärte ich und seufzte heuchlerisch, »Sie sind abgrundtief böse. Ich verlasse Sie und desertiere zu General Bubuta - das ist ein einfacher und guter Mensch.«

Sir Nuli Karif - der Leiter des Zollsuchtrupps des Vereinigten Königreichs - erwies sich als in jeder Hinsicht bemerkenswerte Persönlichkeit. Er war sehr klein, sehr gesprächig und meines Erachtens auch sehr jung. Eine Nickelbrille krönte seinen bezaubernden Anblick.

»Sir Kofa, sind Sie's? Dann müssen Sie Sir Max sein? Das ist ja toll! Was gibt's? Wenn Sie auftauchen, ist garantiert etwas passiert - sonst würden Sie sich bestimmt nicht durch die ganze Stadt schleppen. Wie geht's Sir Melifaro? Was hört man von seinem älteren Bruder, dem Piraten? Hat er vor, demnächst nach Echo zu kommen? Es heißt, Melifaro habe Tschemparkaroke den Ohrring Ochola mit so starken Zaubersprüchen eingesetzt, dass niemand ihn mehr rausnehmen kann - nicht mal Mitglieder des Ordens des Siebenzackigen Blattes. Auch bei uns ist jede Menge passiert! Sir Kofa, erinnern Sie sich an Kafa Chani? Er hat bis vor kurzem noch bei uns gearbeitet; dann aber hat er ein Schiff gechartert und ist damit verschwunden - die Magister mögen wissen, wohin. Traurig, aber wahr. Haben Sie schon viele Leute umgebracht, Sir Max? Sehr viele, vermute ich - und das ist auch gut so! Stimmt das denn nun mit Melifaro und Tschemparkaroke? Ist überhaupt etwas passiert, Sir Kofa, oder schauen Sie tatsächlich nur mal so vorbei?«

Es gelang Kofa Joch, den schier unendlichen Monolog des Zollbeamten zu unterbrechen.

»Sollen wir noch länger in der Tür stehen, Sir Nuli? Oder dürfen wir in Ihr Arbeitszimmer kommen?«

»Arbeitszimmer? Das ist eher eine Abstellkammer als ein Büro - sehen Sie selbst! Hier liegt mehr als die Hälfte der beschlagnahmten Waren, weil es zu gefährlich wäre, das Zeug in irgendeinem Lager aufzubewahren, und für die Leute aus der Burg Jafach sind die Sachen nicht interessant genug. Ein Teufelskreis! Hier ist es inzwischen so voll, dass ich meine Besucher bald auf dem Flur empfangen muss. Am besten stelle ich meinen Schreibtisch gleich dorthin. Sie wissen vielleicht, dass unser Sir Kafa Chani unter die Kapitäne gegangen ist. Ich vermute, er wird Pirat und endet irgendwann im heißen Tascher oder im entfernten Kalifat Schinschisch am Galgen. Tja, so ist das. Meine Herren, setzen Sie sich bitte, wo Sie Platz finden. Sir Max, haben Sie schon mal auf dem Tisch eines Leitenden Zollbeamten gesessen? Vermutlich nicht -also probieren Sie es aus. Oder nehmen Sie meinen Sessel, und ich sitze auf dem Tisch. Das ist ein guter Platz, auf dem ich mich selbst mitunter niederlasse. Wissen Sie, in letzter Zeit kommt ein Schiff nach dem anderen, und alle bringen neuartige, manchmal auch verbotene Waren nach Echo. Aber so ist das Leben. Was hätte es für einen Sinn, als Matrose zu arbeiten, ohne ein wenig zu schmuggeln? Das wäre wirklich dumm. Sir Kofa, ich freue mich sehr über Ihren Besuch, doch Sie sind sicher nicht ohne Grund gekommen. Irgendwas ist passiert -stimmt's, oder hab ich Recht?«