»Diese Nacht wird nichts Aufregendes passieren, Max. Sir Kofa und ich werden versuchen, möglichst viel herauszufinden, und darauf warten, dass Kapitän Gjata wieder zu Bewusstsein kommt. Ich hab auch Melamori freigegeben, selbst Lonely-Lokley ist nach der Durchsuchung im Hafen nach Hause gegangen, und Melifaro hat Feierabend, sobald er die Identität des Toten ermittelt hat. Wäre dieser Fall nicht dazwischengekommen, hättest du mindestens ein Dutzend freie Tage gekriegt. Tödlicher Gefahr knapp entronnen zu sein, ist ein guter Urlaubsgrund, und heute wärst du fast gestorben. Also ab nach Hause. Das ist ein Befehl. Kannst du überhaupt aufstehen?«
»Nach drei Schluck Kachar-Balsam kann ich auf jeder Party tanzen!«, rief ich selbstbewusst, erhob mich und krachte stracks zu Boden. Meine Beine hatten versagt.
»Das hab ich mir gedacht. Also lass dir helfen.«
»Seltsam - im Sitzen hab ich mich prima gefühlt«, meinte ich betrübt und stützte mich auf Juffins Schulter.
»Keine Sorge - das geht schnell vorüber«, beruhigte mich mein Chef. »Morgen bist du wieder völlig in Ordnung. Komm bitte mittags um zwölf wieder.«
Erleichtert setzte Juffin mich in den Fond eines Dienst-A-Mobils, befahl dem Fahrer, mich nach Hause zu bringen, und verschwand mit knappem Gruß wieder im Haus an der Brücke.
Ich konnte das Dienst-A-Mobil ohne Hilfe des Chauffeurs verlassen und mich ins Haus schleppen. Offenbar war ich doch nicht so erschöpft, wie befürchtet. Per Stummer Rede gab ich im Gesättigten Skelett eine Bestellung auf, humpelte dann ins Bad und hatte kurz darauf alle Mühe, auf das ungeduldige Klingeln des Boten zu reagieren.
Doch nach einer Stunde war ich wieder topfit, badete, zog mich um und aß mit herzhaftem Appetit. Meine Erschöpfung ging langsam in eine angenehme Müdigkeit über, und ich legte mich ins Bett. Noch vor Mitternacht war ich eingeschlafen. Bin ich wirklich ein Nachtmensch?
Wieder einmal träumte ich meinen süßen Traum: Lady Melamori erschien am Fenster und näherte sich langsam. Ich wollte mich bewegen, doch wie immer konnte ich den Oberkörper nur ein paar Zentimeter von der Matratze heben und sank dann kläglich in die Kissen zurück. Melamori kam noch näher und setzte sich ans Bett. Ich hob die Hand und wollte die vertraute Traumgestalt umarmen. Sie leistete keinen Widerstand.
Ich weiß nicht, ob das gerade überstandene Abenteuer oder die Überdosis Kachar-Balsam mir zusätzliche Kräfte eingeflößt hatte, doch diesmal gehorchte mein Körper. Als Melamoris Traumgestalt unter der Bettdecke landete, gratulierte ich mir in Gedanken.
Dann aber passierte etwas absolut Unpassendes: Ich musste mich kratzen, weil ein scharfkantiges Medaillon, das ich im Traum trug, meine Brust an einer Stelle wund gescheuert hatte. Einen Augenblick betrachtete ich erschrocken einen Blutstropfen auf meiner Hand, erwachte und ... bekam einen ungeheuren Fußtritt in den Bauch.
»Das ist ja eine bodenlose Schweinerei, Max!«, rief die leibhaftige Lady Melamori und holte mit dem Fuß aus, um mir noch einen Tritt zu verpassen.
Sie zielte dorthin, wo ein Mann unter keinen Umständen getroffen werden möchte. Um das zu verhindern, griff ich unwillkürlich nach ihrem Fuß und lenkte den Stoß seitlich ab. Melamori stürzte und kroch in eine Ecke des Schlafzimmers.
»Du bist ein widerwärtiger Hexenmeister«, zischte sie. »Ich hab dich mehrmals gebeten, damit aufzuhören, aber du hast nur die Zähne gefletscht und mit deinen Dummheiten weitergemacht. Du bist schlimmer als die Magister der Ordensepoche! Die haben wenigstens nicht gelogen, wenn sie ihre Tricks anwandten!«
»Niemand hat dich belogen«, antwortete ich ruhig, obwohl ich sehr aufgebracht war. »Versteh doch - ich bin genauso erstaunt wie du! Und ich hab nichts ausgefressen! Ich hab nur von dir geträumt und mich darüber gefreut. Du hast wirklich keinen Grund, auf mich einzuprügeln. Du solltest dich freuen, dass dir ein solches Wunder widerfahren ist.«
»So dämliche Wunder brauch ich wirklich nicht«, grollte Melamori.
Ich war erstaunt, wie viel Wut in die kleine Lady gefahren war.
»Ich lass mir doch von einem blöden Vampir nichts aufzwingen! Das ist abscheulich! Ich bin in meinem Bett eingeschlafen und plötzlich neben einem Geschöpf erwacht, das man kaum als Menschen bezeichnen kann. Ekelhaft ist das! Du widerst mich an, Max! Weißt du, was ich jetzt mache? Ich gehe in den Stadtteil Rendezvous und hoffe sehr, dort einen richtigen Mann zu treffen, der mich diesen ganzen Alptraum vergessen lässt. Ich würde dich umbringen, wenn ich könnte - merk dir das! Du hast wirklich Glück, dass ich nur Menschen töten kann.«
Ich kochte vor Wut. Wem so was an den Kopf geworfen wird, dem helfen nicht mal Atemübungen!
»Du bist ja hysterisch!«, brüllte ich. »Ein feiges Weib bist du! Nimm dir doch eine Torte und schmeiß sie an die Wand! Du suchst ja nur einen Mann, um deine Launen an ihm abzulassen! Na los, tritt irgendeinem armen Kerl auf die Spur, und er ist hinüber! Ich sag's dir noch maclass="underline" Ich hab keinen einzigen Zauberspruch angewandt. Unsere Traumbegegnungen waren ein Wunder, du dumme Göre!«
»Das wagst du mir zu sagen? Nach allem, was du angerichtet hast?«
»Ich hab ganz und gar nichts angerichtet! Ich bin ins Bett gegangen, hab die Augen geschlossen und dich gesehen. Mehr hab ich nicht verbrochen. Aber du brauchst mir nicht zu glauben.«
Als mir klar wurde, wie viel mir mein so furchtbar entgleister Traum bedeutet hatte, tat mir der Magen weh, und eine neue Welle des Zorns überkam mich. Ich spürte, wie sich in meinem Mund ein zäher, giftiger Schleim sammelte. Lady Melamori hatte wirklich Glück, dass ich mich zu beherrschen vermochte. Ich spuckte auf den Boden, atmete tief ein und wandte mich von ihr ab. Sie blieb weiter in ihrer Ecke hocken, und ihre Hände zitterten. Ich war verlegen und traurig zugleich. Mein Leben hatte sich wieder mal als Abfolge unglaublicher Unsinnigkeiten erwiesen.
«Melamori, verzeih mir! Wir haben uns furchtbare Dummheiten an den Kopf geworfen. Nimm bitte mein A-Mobil und fahr nach Hause. Wir sollten uns später weiter unterhalten.«
»Wir haben uns nichts mehr zu sagen«, erklärte Melamori, erhob sich ängstlich und schlich - den Rücken zur Wand - zur Tür. »Aber wenn du nicht gelogen hast, ist es noch schlimmer. Dann hast du nämlich keine Kontrolle darüber, andere im Schlaf herbeizuzitieren. Doch das macht nichts - ich finde schon ein Gegenmittel. Niemand kann mich zu etwas zwingen, kapiert?«
Sie knallte die Tür so heftig zu, dass ein kleiner Schrank von der Wand fiel und sein Innenleben scheppernd auf dem Fußboden verteilte. Ich fasste mir an den Kopf - das alles war zu viel für mich.
Ich stand auf und ging hinunter ins Wohnzimmer. Wir ekligen Vampire haben die Angewohnheit, literweise Kamra zu trinken, nachdem wir ehrenwerte Ladys zu den schrecklichsten Dingen gezwungen haben. Dazu rauchen wir stinkende Glimmstängel aus einer anderen Welt, die uns die Illusion geben, wir seien seelisch einigermaßen im Gleichgewicht. Doch diese Täuschung ist leider nicht von Dauer. Ich war so aufgeregt, dass meine körperliche Schwäche wie weggeblasen war. Adrenalin verleiht Bärenkräfte!
Das Schlimmste war jedoch meine Ungeduld. Wenn in meinem Leben etwas schiefgegangen ist, kann ich einfach nicht den passenden Moment abwarten, um es wieder gutzumachen, sondern handle überstürzt, am besten sofort und natürlich ohne Atemübungen ... Das ist zwar ausgesprochen dumm, aber der Impuls ist stärker als ich. Banges Warten ist für mich der sicherste Weg in den Wahnsinn. Meiner Meinung nach ist es in solchen Situationen das Beste, in die Stadt zu gehen und Unfug zu treiben, denn das gibt einem die Illusion, stärker als die unbarmherzigen Umstände zu sein. Man muss etwas unternehmen - das ist ein Schutzreflex, eine instinktive Körperreaktion. Dazusitzen und zu zittern wie das Kaninchen vor der Schlange - so was hasse ich wirklich.
Also kehrte ich ins Schlafzimmer zurück und zog mich an. Ich war entschlossen, mich wieder an die Arbeit zu machen. Ich gehe zum Haus an der Brücke - irgendeine Arbeit hat Juffin bestimmt für mich, dachte ich. Und morgen früh trinke ich noch ein Schlückchen Kachar-Balsam und fühle mich wie neugeboren.