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Auf der Straße fiel mir auf, dass ich nicht den Todesmantel trug, sondern meinen dunkelgrünen Lochimantel, in dem ich vor kurzem in Gesellschaft von Sir Kofa um die Häuser gezogen war. Ich zuckte die Achseln. Zurückzukehren und mich umzuziehen, überstieg meine Kräfte, denn daheim lauerten bittere Erinnerungen, die zu frisch waren, um unversehens erneut auf sie zu stoßen. Aber im falschen Aufzug ins Haus an der Brücke zu gehen, gehörte sich auch nicht - das war mir klar.

Ach, dann spazier ich eben ein wenig durch die Stadt, beruhige mich dabei und schau mal, was sich ergibt, dachte ich und bog in die erstbeste Gasse ein.

Meine Beine trugen mich, wohin sie wollten, und ich mischte mich nicht ein. Orientierungssinn und Gedächtnis weigerten sich, an diesem Spaziergang teilzunehmen. Auch meine Gedanken verschwanden, und das war sehr angenehm. Ehrlich gesagt hatte ich mit diesem Erfolg gar nicht gerechnet.

Plötzlich unterbrach der Anblick einer Schale mit exotischem Obst mein herrlich weit- und selbstvergessenes Bummeln. Ich stolperte und stürzte auf den Gehsteig. Glücklicherweise hatte ich den Todesmantel nicht an, denn dieser Sturz hätte meinen unheilvollen Ruf ernsthaft beschädigen können. Unwillkürlich kamen mir alle Schimpfworte meiner alten Heimat in den Sinn. Zwei Männer, die gerade aus einem Lokal traten, sahen mich fasziniert an. Ich verstummte und begriff, dass ich schleunigst aufstehen musste. Den Magistern sei Dank -wenigstens war der Gehsteig trocken.

Ich erhob mich und studierte die Speisekarte des Wirtshauses, aus dem die neu gewonnenen Verehrer meines Mundwerks gekommen waren. Der Name des Lokals schien mir schicksalsträchtig, denn es hieß Nachtmahl des Vampirs. Ich lächelte bitter und trat kurz entschlossen ein. Das Innere entsprach meinen Erwartungen voll und ganz - es herrschte Halbdunkel, und die Silhouette des Wirts hinter der Theke erweckte schlimmste Vorahnungen. Der Mann hatte herrlich zerzaustes Haar und mit fluoreszierendem Makeup bemalte Lider und trug natürlich den Ohrring Ochola. Kaum hatte ich den Wirt gesehen, war ich wieder guter Laune. Hier hätten Melamori und ich uns streiten sollen! Wahrscheinlich wäre der Besitzer dieser Spelunke auf meiner Seite gewesen.

Ich nahm an einem mit roten Farbspritzern übersäten Tisch Platz, der offenbar den Eindruck erwecken sollte,

hier habe vor Minuten ein Blutbad stattgefunden, überlegte kurz und bestellte mir dann eine Spezialität der alten Küche. Unglück regt seit je meinen Appetit an - und ich hatte Glück.

Schnell bekam ich eine harmlos wirkende quadratische Pirogge serviert, die keine Spur von Vampirästhetik aufwies. Kaum aber hatte ich sie angeschnitten, explodierte sie wie ein Airbag, und auf meinem Teller lag eine luftige Masse, die so lecker war, dass ich gleich eine zweite Portion bestellte. Übrigens hieß das Gericht »Atem des Bösen«.

Ich fraß mich in einen Zustand angenehmen Stumpfsinns hinein, bestellte Kamra und begann, meine Pfeife zu stopfen, da ich meinen Zigarettenvorrat aufgeraucht hatte. So ist das bei mir immer - wenn's schiefgeht, dann auf der ganzen Linie.

Ich rauchte und sah mir dabei interessiert die Gäste an. Einer wollte gerade gehen. Er hatte die gleiche Frisur wie Kapitän Gjata, dessen Leben ich vor kurzem gerettet hatte: Sein Zopf reichte ihm bis zur Taille, und er trug einen wunderhübschen Bart. Ob er Matrose auf der Alten Jungfer war? Oder ein Schiffskoch, der sein Repertoire um ein paar Geheimnisse erweitern wollte? Jedenfalls musterte ich den Unbekannten sehr aufmerksam. Auf einmal zog er seinen Geldbeutel aus der Jacke. Sündige Magister! Für den Bruchteil einer Sekunde bekam ich einen perlmuttfarben schillernden Gürtel zu sehen! Noch ein Verzauberter! Ich musste etwas unternehmen!

Natürlich hätte ich ihn sofort verhaften können. Eigentlich war ich sogar dazu verpflichtet. Aber ich erinnerte mich zu gut an das Benehmen von Kapitän Gjata. Verzauberte können es sich in den Kopf setzen, eher zu sterben, als aufzugeben. Deshalb entschied ich mich, ihm lediglich zu folgen. Glücklicherweise war meine Kleidung unauffällig - warum sollte ich also nicht ein wenig hinter ihm herspionieren? Das war sicher angenehmer, als sich in Liebeskummer zu ergehen. Ich knallte eine Krone auf die auf blutig getrimmte Tischplatte. Das war viel Geld für zwei Piroggen, aber der Wirt war mir sympathisch. Der zerzauste Mann erblickte die Münze und sah mich begeistert an. Ich legte den Zeigefinger an die Lippen und verließ das Lokal. Mein bärtiger Freund bog gerade um die Ecke, und ich musste mich sputen, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren.

Offenbar war ich selten in diese Gegend der Stadt gekommen. Oder hatte die Nacht alles ins Unbekannte verfremdet? Auf jeden Fall hatte ich wenig Lust auf einen Ausflug und musste mich geradezu zwingen, dem Bärtigen zu folgen. Wohin würde er mich führen? Ich hatte schon die Wahnvorstellung, auf eine Menge verzauberter Gürtelträger zu treffen, denen Juffin und ich das Leben würden retten müssen. Auf keinen Fall allerdings wollte ich erneut ein Nahtoderlebnis wie bei Kapitän Gjata durchmachen.

Sündige Magister! Wer hätte gedacht, dass das bärtige Objekt meines Interesses mich ins Herz des Stadtteils Rendezvous führen würde! Ob verzaubert oder nicht -der Mann litt offenbar an Einsamkeit und wollte das Schicksal herausfordern. Ich lächelte herablassend: Hier irgendwo musste sich auch Lady Melamori herumtreiben, falls ihr nicht noch eine bessere Idee gekommen war, sich das Erlebnis mit mir aus dem Kopf zu schlagen. Und was sollte ich tun, wenn der Bärtige für eine Nacht sein Glück fände? Als flotter Dritter in die Zweisamkeit eindringen?

Dazu kam es glücklicherweise nicht. Der Unbekannte hielt plötzlich inne und drehte sich zu mir um.

»Du kommst zu spät, Jungchen«, sagte er mit dem starken Akzent der Leute aus Tascher. »Sieh mal, wie viele Menschen hier unterwegs sind. Wenn du auch nur einen Schritt näher kommst, rufe ich um Hilfe.«

Er hielt mich offenbar für einen Räuber! Wofür hätte ein reicher Ausländer den verdächtigen Typ, der ihm schon seit einer halben Stunde folgte, sonst auch halten sollen?

»Ich bin kein Verbrecher«, sagte ich mit strahlendem Lächeln, »sondern etwas viel Schlimmeres. Sie sind da in eine sehr üble Geschichte geraten. Ich bin Mitarbeiter des Kleinen Geheimen Suchtrupps des Vereinigten Königreichs. Haben Sie nicht Lust, mich ins Haus an der Brücke zu begleiten?«

Mich erfüllte eine seltsame Heiterkeit, und ich zwinkerte dem Bärtigen zu. Mich mit dem Verdächtigen ausgerechnet im Stadtteil Rendezvous zu unterhalten, ließ mich plötzlich an alle möglichen Anekdoten aus dem Leben unserer sexuellen Minderheiten denken. Also stemmte ich die Rechte kokett in die Taille und flötete honigsüß: »Diese Nacht bin ich dein Schicksal. Wie heißt du denn, Schätzchen?«

Das Schätzchen holte mit offenem Mund tief Luft. Anscheinend brachte ihn mein Manöver völlig durcheinander, doch seine Stimme blieb fest.

»Sir, ich kann Sie nicht begleiten. Und sollten Sie mich dazu zwingen wollen, werde ich mich wehren.«

Mit diesen Worten zog der Bärtige ein riesiges Messer aus der Jacke, das in Tascher bestimmt als gewöhnliche Waffe gilt.

»Niemand mag mich!«, jammerte ich. »Gut, dann müssen wir eben miteinander kämpfen. Umso besser für mich, denn ich kenne deine Schwachstelle, mein Freund. Ich muss dich nicht erst in Einzelteile zerlegen, sondern brauche bloß deinen Gürtel zu berühren und Zusehen, was passiert. Na, willst du es dir nicht doch noch anders überlegen?«

Die unangenehmen Erlebnisse der letzten vierundzwanzig Stunden ließen mich unerwartet tapfer sein. Ich staunte über mich selbst und glaubte wohl, ohnehin nichts mehr zu verlieren zu haben. Offenbar teilte mein Gegner diese Lebenseinstellung.

»Von wegen!«, rief er wütend und nahm das Messer in die andere Hand. »Kämpfen wir ruhig. Sie tun mir jetzt schon leid, Sir.«

Blitzschnell schleuderte er sein Messer, und die silberne Klinge landete in meinem Bauch - besser gesagt: Sie hätte dort landen sollen. Doch ich hatte keinen Bauch.