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Ehrlich gesagt begreife ich bis heute nicht, was mir damals widerfahren ist. Ich hätte wie der Held eines Low-Budget-Films auf dem Gehsteig des Stadtteils Rendezvous zusammenbrechen und theatralisch zitternd verenden sollen. Warum geschah das nicht? Schwer zu sagen. Ich schätze, in diesem Moment wirkte ein Schutzzauber von Sir Juffin, mit dem er mich ohne mein Wissen ausgestattet haben musste.

Das Messer drang nicht in meinen Unterleib, sondern fiel klirrend auf den Mosaikgehsteig. Ich versuchte zu begreifen, was geschehen war, und merkte, dass ich physisch nicht vorhanden war. Nirgendwo. Auf merkwürdige Weise hatte ich mich in Luft aufgelöst - freilich nur für eine Sekunde. Dann war ich wieder da, und zwar rechtzeitig, um auf das Messer zu treten - und auf die Hand meines Gegners, die gierig danach griff.

»Hoppla!«, rief ich amüsiert. »Soll ich dir den Gürtel jetzt schon abnehmen, oder gehen wir dazu ins Haus an der Brücke? Entscheide du - heute ist schließlich dein großer Tag.«

Der Bärtige mobilisierte plötzlich so enorme Kräfte, dass ich befürchtete, meine Chancen in diesem Kampf seien fast null. Der Todesmantel und das viele gute Essen hatten aus mir einen trägen, unvorsichtigen Jungen gemacht. Der bärtige Polarfuchs begann, mich niederzuringen, und das gefiel mir nicht.

Ich wollte ihn nicht bespucken, denn sein Tod wäre nutzlos und dumm gewesen. Und vielleicht kannte er das eine oder andere aufschlussreiche Geheimnis. Andererseits aber hatte es keinen Sinn, mit diesem starken Mann zu kämpfen. In körperlichen Auseinandersetzungen war ich noch nie besonders gut. Vor harmlosen Plänkeleien fürchte ich mich nicht, doch auf einen Kampf um Leben und Tod mag ich mich nicht einlassen. Trotz der Warnungen von Sir Juffin, einander überlagernde Magie könne sich neutralisieren, riskierte ich eine Zauberei.

Den Magistern sei Dank! Mein Lieblingstrick klappte fabelhaft, und der aufgebrachte Bärtige verschwand zwischen Daumen und Zeigefinger meiner lässig ausgestreckten Linken.

Erschöpft setzte ich mich auf den Bürgersteig und legte den Kopf auf die angezogenen Knie. Ich muss Juffin meinen Fang übergeben, dachte ich. Aber vorher erhole ich mich ein wenig.

Alle Erlebnisse, die in den letzten vierundzwanzig Stunden auf mich eingestürmt waren, schienen nun ihren Tribut zu fordern. Die Müdigkeit sank tonnenschwer auf mich nieder, und ich wusste mich nicht dagegen zu wehren.

Eine fremde Hand berührte mich an der Schulter.

»Ist etwas passiert, Sir? Wir haben Lärm gehört. Brauchen Sie Hilfe?«, fragte eine hübsche platinblonde Lady im gemusterten Lochimantel.

Ihr düsterer, breitschultriger Begleiter hockte sich neben mich und sah mich fragend an. Was sollte ich den Leuten sagen? Dass ich Sir Max war, bis vor kurzem der leichtsinnigste Mitarbeiter des Kleinen Geheimen Suchtrupps?

»Alles in Ordnung«, meinte ich lächelnd. »Ich war nur mit einem Freund unterwegs, und der Dummkopf wollte plötzlich nicht mehr ins Haus der Begegnungen. Erst hat er mir die halbe Nacht vorgejammert, wie einsam er ist, und als wir hier waren, hat er gekniffen. Da hab ich ihn drängen wollen, sein Glück zu suchen, und er hat mir einen Kinnhaken verpasst und ist verschwunden.«

»Na so was!«, meinte die Platinblonde kopfschüttelnd. »Wie kann man Angst vor seinem Schicksal haben?«

»Wie sollte man keine Angst davor haben?«, seufzte ich philosophisch und betrachtete gedankenverloren meine Linke, in der der Verhaftete saß. »Mit mir jedenfalls ist alles in Ordnung. Vielen Dank und Gute Nacht!«

»Werden wir haben«, meinte die Lady lächelnd.

Auch ihr Begleiter ließ endlich von mir ab und nahm die Blonde bei der Hand.

»Zu den Magistern mit Ihrem seltsamen Freund! Warum suchen nicht Sie stattdessen Ihr Glück? Die Nacht ist lang«, strahlte die junge Frau und zwinkerte mir zum Abschied zu.

Als ich wieder allein war, betrachtete ich die Tür des Hauses der Begegnungen. Vielleicht hatte die platinblonde Unbekannte mich verzaubert. Jedenfalls wollte ich plötzlich dort hinein. Schließlich hatte ich in dieser Welt noch immer keine Freundin - außer im Traum natürlich, aber das zählte nicht.

Ich beobachtete, wie sich ein hoch gewachsener junger Mann in legerem Lochimantel vom Gehsteig erhob. Anscheinend war ich es selbst. Auf alle Fälle nahm ich mich erst wieder wahr, als ich schon im Gebäude stand. Nervös durchsuchte ich die Taschen meines Mantels nach zwei Kronen Eintrittsgeld. Das Haus lag in dem Bereich, der suchenden Männern - die doppelt so viel Eintritt entrichten mussten wie suchende Frauen - Vorbehalten war. Ich zahlte, ohne zu wissen, was ich danach tun sollte. Die Erklärungen von Melifaro waren mir nicht präsent. Sündige Magister, dachte ich panisch, wohin bist du mit deinem Verhafteten geraten! Dann merkte ich, dass ich in der anderen Hand eine Keramikkugel mit einer 19 hielt. Wie und wann ich dieses fragwürdige Etablissement wieder würde verlassen können, war mir ein Rätsel.

Gedankenverloren betrachtete ich die riesige Glasvase, die neben dem Eingang auf dem Boden stand. Sie war voller kleiner Keramikkugeln. Irgendwann hatte ich offenbar eine Nummer gezogen. Und jetzt? Ich zitterte vor Angst und konnte mich nicht erinnern, das Haus betreten zu haben, um »mein Glück zu suchen«, wie die Platinblonde gesagt hatte. Ich wollte nur eins: keine Dummheiten mehr machen. Für eine Nacht hatte ich genug Mist gebaut.

»Worauf warten Sie noch, Sir?«, fragte mich ein lächelnder Mann freundlich erstaunt. »Sie haben Nummer 19. Gehen Sie also Ihrem Schicksal entgegen!«

»Ja, natürlich«, gab ich nicht minder lächelnd zurück. »Danke, dass Sie mich an den Zweck meines Besuchs erinnert haben. Mitunter bin ich etwas zerstreut.«

Jetzt wusste ich, was ich zu tun hatte, und betrat den Raum, in dem die einsamen Damen warteten. Manche waren sehr hübsch, doch leider nicht alle. Ein verrückter Gedanke schoss mir durch den Kopf: Bestimmt bin ich der einzige Geheimagent, der sich je eine Geliebte gesucht hat, während die von ihm verhaftete Person in seiner Hand schmort. Ich kicherte nervös und begann zu zählen.

»Eins, zwei, drei ...« Inzwischen waren die Gesichter aller Frauen für mich zu einer einzigen Fratze verschwommen. Ich ging mit dümmlichem Lächeln weiter. »... sechs, sieben ... schade, dass Sie nicht Nummer 19 sind ... zehn, elf... ich muss leiderweiter ... achtzehn, neunzehn! Sie sind es also, Lady!«

»Bist du echt, oder zauberst du schon wieder«, fragte mich eine bekannte Stimme. »Das ist nutzlos, Max. Mit dem Schicksal kann man nicht streiten.«

Nun erst sah ich genauer hin. Das unbekannte Gesicht nahm langsam vertraute Züge an, und Lady Melamori musterte mich vorsichtig. Anscheinend konnte sie sich nicht entscheiden, was besser war - sich mir um den Hals zu werfen oder die Flucht zu ergreifen.

»Das gibt's doch nicht!«, rief ich, setzte mich auf den Boden und begann, schallend zu lachen. Was kümmerten mich in diesem Moment Anstand und Sitte?

Mein hysterischer Anfall schien Lady Melamori davon überzeugt zu haben, dass ich die peinliche Situation nicht durch magische Tricks herbeigeführt hatte.

»Komm, wir gehen, Max«, bat sie, hockte sich neben mich, streichelte meinen verwirrten Kopf und flüsterte dazu: »Mit deinem Lachen erschrickst du nur die Betreiber des Hauses. Komm - auf der Straße kannst du lachen, so viel du willst. Steh auf.«

Gehorsam griff ich nach ihrer kleinen, aber starken Hand. Sündige Magister - die zierliche Lady Melamori zog mich mit einer enormen Kraft auf die Beine!

Die kühle Nachtluft ernüchterte mich.

»In letzter Zeit sind viele seltsame Dinge passiert«, meinte ich und verstummte dann. Was hätte ich auch noch sagen sollen.

»Max«, entgegnete sie, »es ist mir sehr peinlich, aber bei dir im Schlafzimmer ... Inzwischen weiß ich, dass ich dort Unsinn geredet habe. Ich habe einfach den Kopf verloren.«

»Das ist nur zu verständlich«, meinte ich achselzuckend. »Im eigenen Bett einzuschlafen und woanders -mag der Teufel wissen, wo! - zu erwachen ...«