»Soll das ein Witz sein? Für mich war das total unerklärlich.«
»Eben, Max. So ist das bei Leuten, die Talent haben. Ihr handelt, und erst dann versucht ihr herauszufinden, was in euch gefahren ist. Wir weniger Talentierten sind bescheidener. Aber jetzt müssen wir uns mit deinem Fang beschäftigen.«
»Soll ich ihn freilassen?«, fragte ich erwartungsvoll.
»Erzähl mir erstmal, wie er aussieht - schließlich habe ich nicht ihn, sondern dich beobachtet.«
Ich berichtete vom Äußeren des Mannes, mit dem ich am Vorabend im Stadtteil Rendezvous gewesen war. Als ich fertig war, bestürmten mich bittere Erinnerungen, und ich starrte gedankenverloren auf einen Fleck an der Wand.
»Ausgezeichnet, Max«, sagte Juffin und übersah meinen Schmerz demonstrativ. »Weißt du, wen du da gefangen hast? Agon, den Reeder der Alten Jungfer Dein unglaubliches Glück ist besser als jedes Amulett.«
»Tja«, sagte ich finster. »Und was soll ich mit Agon tun? Soll ich ihn zur Erinnerung an den gelungenen Abend in meiner Hand lassen?«
»Das wäre keine gute Idee. Ich glaube, der Reeder kann uns bei der Lösung des Gürtelrätsels helfen. Vielleicht besagt deshalb ja eins der vielen Verbote, denen die Träger dieser Gürtel unterliegen, es sei nicht erlaubt, mit Behördenvertretern zu reden. Nicht ausgeschlossen, dass er sofort stirbt, wenn er im Haus an der Brücke ans Licht kommt.«
»Wir könnten das Gleiche machen wie gestern«, schlug ich vor. »Ich kann den Tod mit ihm teilen und ihm dadurch das Leben retten.«
»Bist du dazu wirklich bereit? Ich würde dir davon abraten.«
Ich zuckte die Achseln.
»Warum sollte ich das nicht tun? Nie im Leben war ich so tapfer wie in den letzten sechsunddreißig Stunden. Also nutzen Sie die Gelegenheit.«
»Das fehlte mir noch«, murmelte mein Chef. »Soll ich dich etwa umbringen, um diesen Kerl aus dem äußersten Süden zu retten? Nein, heute sind wir klüger und fahren mit dem Gefangenen nach Jafach. Die Ordensfrauen des Siebenzackigen Blattes haben bestimmt eine clevere Idee, wie wir mit dem kleinen Mann in deiner Hand verfahren sollen - schließlich geht es letztlich um die Interessen ihres Chefs.«
»Um die Interessen von Magister Nuflin Moni Mach? Und gibt es im Orden des Siebenzackigen Blattes tatsächlich Frauen?«
»Warum sollte es anders sein?«, fragte Juffin erstaunt. »Sogar mehr Frauen als Männer. Das war schon immer in jedem Orden so. Wusstest du das wirklich nicht?«
»Woher hätte ich es wissen sollen? Ich hab noch nie einen Orden von innen erlebt. Und alle Großen Magister, von denen ich gehört habe, waren Männer.«
»Verstehe. Frauen sind verschlossener, weißt du? Wenn sie in einen Orden eintreten, ziehen sie sich von der Außenwelt zurück. Viele haben Zauberkräfte, doch nur selten hat eine Frau eine wichtige Ordensposition übernehmen dürfen. Aber lass uns jetzt fahren, Max, damit du dir selbst ein Bild machen kannst.«
»Warum geht es hier eigentlich letztlich um die Interessen von Sir Nuflin?«, fragte ich, nachdem ich mich ans Steuer des A-Mobils gesetzt hatte.
»Wo bleibt deine so gepriesene Intuition, Max? Denk doch mal nach: Ein junger Mann wird zum Gefangenen eines rätselhaften Gürtels. Später stiehlt er eine Kopie des Glänzenden Siebenblattes, die zu rein dekorativen Zwecken dient. Und plötzlich tauchen in Echo Leute auf, die den gleichen Gürtel tragen. Was meinst du, was diese Leute suchen könnten?«
»Das echte Amulett von Sir Nuflin Moni Mach!«
»Endlich ist der Groschen gefallen - gratuliere!«
»Interessant ist aber, dass diese Leute glauben, sie könnten einfach ein Juwel aus der Burg Jafach stehlen.«
»Das ist doch auch gar nicht so schwer, Max! Wenn es den Gürtelträgern gelänge, jemandem wie Sir Nuflin so einen Gürtel umzulegen, würde er ihnen alles geben, was sie wollen.«
»Aber das ist unmöglich. Der Große Magister lässt sich doch nicht so einen Gürtel anlegen!«
»Es ist auch gar nicht nötig, Max, dass er selbst ihn trägt! Der Orden des Siebenzackigen Blattes hat viele Mitglieder. Außerdem gibt es in Echo zahlreiche Orte, die mit der Burg durch geheime Korridore verbunden sind - unser Haus an der Brücke zum Beispiel. Es würde also reichen, ein Mitglied des Ordens dazu zu bringen, den Gürtel anzulegen, und das arme Opfer dadurch zu zwingen, alles Mögliche aus der Burg zu schmuggeln, sogar das Große Amulett. Das könnte jeder tun - selbst ich.«
»Das darf doch nicht wahr sein!«
»Ist es aber. Unter den rebellischen Magistern waren einige klüger als ich, doch manche waren nicht klug genug, um von dummem Aberglauben zu lassen.«
»Sie denken also, hinter all dem steckt ein rebellischer Magister?«
»Natürlich - wer sonst könnte so ein Amulett brauchen? Bei jedem Juwelier gibt es viel kostbarere Dinge. Doch wir sind da, Max.«
»Hoppla, tatsächlich. Aber es ist mitten am Tage, und die Tore werden nur morgens und abends geöffnet. Wie wollen wir jetzt in die Burg kommen?«
»Durch die Geheime Tür. Die Frauen des Ordens lassen sich ohnehin nur auf diesem Weg erreichen.«
Juffin stieg aus dem A-Mobil, und ich folgte ihm. Mein Chef ging gedankenverloren an einer hohen, dunklen Mauer entlang, drehte sich plötzlich zu mir um und schlug mit der Hand auf einen Stein, der ein wenig aus der Wand ragte.
»Mir nach, Junge. Mach aber besser die Augen zu - das schont die Nerven.«
Ohne mich noch mal anzuschauen, presste mein Chef sich durch den Schlitz in der Mauer.
Reflexhaft schloss ich die Augen und folgte ihm, spannte dabei aber die Muskeln in Erwartung eines Schlags intuitiv an. Doch nichts dergleichen geschah: Sekunden später zog Juffin mich am Arm, und ich entspannte mich ein wenig.
»Was hast du erwartet, Max?«, fragte er belustigt. »Wir sind schon da.«
Ich sah mich um. Wir befanden uns im dichten Gestrüpp eines alten, verwilderten Gartens.
»Guten Tag, Juffin - lebst du immer noch, du alter Fuchs?«, fragte eine angenehme, lebensfrohe Stimme. Ich zuckte zusammen und drehte mich um. Die Frau, die meinen Chef so lässig angesprochen hatte, sah aus wie die ideale Großmutter, denn es handelte sich um eine nicht eben große, rundliche und ergraute Lady, deren wohlwollendes Lächeln entzückende Grübchen auf ihre Wangen zauberte.
»Einen netten Jungen hast du dabei«, stellte sie fest und betrachtete mich voller Sympathie. »Du bist bestimmt Sir Max - herzlich willkommen.«
Die alte Frau umarmte mich überraschend, und ich hatte das Gefühl, nach langer Abwesenheit nach Hause gekommen zu sein.
»Max, das ist Lady Sotova Chanemer«, sagte mein Chef. »Sie gehört zu den gefährlichsten Wesen im Weltall - also sei nicht zu locker.«
»Nicht weniger gefährlich als du, Juffin«, kicherte Lady Sotova. »Aber gehen wir. Du musst dringend etwas essen, mein Lieber«, meinte sie, zu mir gewandt.
»Ausgezeichnete Idee«, stellte Juffin trocken fest.
»Ich weiß - du hast immer Hunger. Ich kenne dich und mag dich sogar dafür. Wo bist du eigentlich in letzter Zeit gewesen? Du hast mich schon lange nicht mehr besucht. Aber wenn ich dich jetzt so sehe, ist mir klar, dass irgendwas passiert sein muss.«
Lady Sotova ging uns zügig voraus, drehte sich mehrmals um und unterstrich fast all ihre Worte gestisch und mimisch. Die kleinen Hände fuhren rasch durch die Luft, ihr Lochimantel zitterte im Wind, und ihre Grübchen wirkten noch bezaubernder als zuvor. Sosehr ich mich auch bemühte - ich konnte mir kaum vorstellen, dass sie derart gefährlich war.
Schließlich landeten wir in einem hübschen kleinen Pavillon, der zugleich ihr Arbeitszimmer war. Dort trafen wir auf eine andere, genauso nette, aber erheblich jüngere Lady. Sie war ebenso groß und rundlich wie die ältere Frau und hatte ähnlich bezaubernde Grübchen.
»Sotova, du hast ja schon wieder Männer aufgegabelt -wann hört das endlich auf?«
Das Lachen meiner neuen Bekannten klang glockenhell.
»Natürlich gabele ich Männer auf, Reniwa. Wir haben das doch abgesprochen: Ich schaff sie ran, und du verpflegst sie. Also ab in die Küche.«