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»Was wünschen Sie zu speisen?«, fragte Lady Reniwa mit hochgezogenen Brauen, fuhr dann aber fort, ohne unsere Antwort abzuwarten: »Schon gut, ich kümmere mich um das leibliche Wohl deiner Besucher. Das geht aber alles auf deine Rechnung.«

Sie verließ den Pavillon, und wir waren wieder zu dritt.

»Na, Max, erschrocken?«, fragte Lady Sotova amüsiert. »Hast du Sorgen, der verrückte Juffin habe dich zu genauso verrückten Frauen geführt? Schweig ruhig - ich sehe die Antwort in deinen Augen. Jetzt gib mir die Hand, na los, hab keine Angst.«

Verlegen blickte ich meinen Chef an. Er machte ein finsteres Gesicht und nickte energisch. Ich streckte der Lady die feuchte Linke entgegen, in der seit vielen Stunden der Reeder Agon - der unerschrockene Händler aus Tascher - schmorte. Die freundliche Alte strich vorsichtig über meine Finger, zögerte einen Moment, schaute kurz finster drein, lächelte dann aber wieder und bekam erneut ihre herrlichen Grübchen.

»Das ist aber einfach, Juffin. Das hättest du auch allein geschafft.«

»Für dich ist alles einfach«, murmelte der Ehrwürdige Leiter.

Lady Sotova schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, griff plötzlich nach meinem Handgelenk, als wollte sie mir den Puls fühlen, drückte aber viel stärker zu. Ich schrie vor Schmerz und spreizte dabei die Finger. Der arme Reeder landete auf dem Boden, und Lady Sotova wedelte triumphierend mit seinem perlmuttfarbenen Gürtel.

»Das war's, Juffin. Na, wie gefällt dir dieses Spielzeug?«

»Übertreib es bitte nicht, Unvergessliche. Ich kenne noch ein paar Zaubertricks, über die du staunen würdest.«

»Tatsächlich?«, fragte Sotova mit gespielter Überraschung und wandte sich an mich. »Hat's dir gefallen, Herzchen?«

Ich nickte verwirrt und starrte meinen ehemaligen Gefangenen an. »Lebt er noch, Lady?«

Sie winkte lässig ab.

»Was sonst? Ich kann ihn jederzeit wieder zu Bewusstsein bringen, aber ich warte besser ab, bis ihr euch wieder auf den Heimweg macht. Wir müssen jetzt essen, und den da will ich nicht bewirten.«

Nach dem Essen, das auf mich wie ein starkes Beruhigungsmittel wirkte, beugte sich Lady Sotova über Agons reglosen Körper.

»Wie lange willst du denn noch schlafen, du Faulpelz?«, rief sie mit schriller, verärgerter Stimme, und prompt bewegte der Mann sich ein wenig.

»Eins kann ich dir verraten, Juffin«, sagte unsere Gastgeberin lächelnd. »Du kannst jeden zu Bewusstsein bringen, wenn du ihm einen Satz ins Ohr brüllst, den er als Kind oft gehört hat. Wie du siehst, hat die Mutter dieses Mannes ihren Ärger nicht im Zaum halten können - genauso wenig übrigens wie meine Mutter. Erinnerst du dich noch an sie? Friede ihrer Asche! Ich glaube, ihre rauen Erziehungsmethoden haben aus mir eine so gute Zauberin gemacht, denn ich habe früh lernen müssen, meine Haut zu retten. Aber jetzt nehmt diesen Mann und verschwindet. Ihr habt zu arbeiten - und ich auch. Das Leben ist schließlich kein Zuckerschlecken.«

Wir stiegen mit unserem Gefangenen ins A-Mobil. Was ich auf Burg Jafach erlebt hatte, verblüffte mich noch immer so, dass ich Juffin nichts zu fragen vermochte.

»Wie hat dir dieses Wunder der Natur gefallen?«

Ich hätte nicht vermutet, dass die Stimme meines Chefs so finster klingen konnte.

»Ein starker Auftritt - ich mag gar nicht daran denken, wozu die übrigen Frauen des Ordens fähig sein mögen.«

»Die sind nicht so gefährlich. Sotova ist die bei weitem beste Zauberin. Vor ihr fürchtet sich sogar der Große Magister Nuflin. Max - hab ich jetzt bei dir an Autorität eingebüßt?«

»Wie kommen Sie denn darauf? Diese Sotova ist allerdings wirklich unglaublich.«

»Sie ist meine Landsmännin - hast du das bemerkt? Hier in Echo sind wir sogar beste Freunde, obwohl wir uns eigentlich nur beruflich treffen. Vor über zweihundert Jahren, als wir noch in Kettari lebten, hatten wir eine leidenschaftliche Affäre. Allerdings hatten die Bewohner dort viel Vergnügen, als ich Sotova nach einem Streit im Namen des Gesetzes verhaftet und durch die ganze Stadt zum Haus am Wege - dem dortigen Haus an der Brücke - geführt habe. Das war vor über zweihundert Jahren - stell dir das mal vor! Nach diesem Skandal setzte Sotova sich in den Kopf, in einen Orden einzutreten. Dafür ist sie in die Hauptstadt gezogen. Ihr Entschluss kam für mich ganz überraschend, doch sie hat sich offensichtlich richtig entschieden. Im Orden ist sie gut aufgehoben.«

Ich sah Juffin fragend an. »Warum erzählen Sie mir das?«

»Damit du weißt, warum Lady Sotova so respektlos mit mir umgegangen ist. Sonst kommst du noch auf die Idee, jede unverheiratete Frau, die älter als dreihundert Jahre ist, könnte mit mir umspringen, wie es ihr gefällt.«

Im Haus an der Brücke trafen wir auf Melifaro.

»Juffin«, flüsterte er traurig, »ich verstehe gar nichts mehr. Lady Melamori hat sich in meinem Büro eingeschlossen und lässt niemanden rein. Ich glaube, sie weint.«

»Soll sie ruhig«, sagte mein Chef ungerührt. »Warum soll der Mensch nicht weinen, wenn's ihm schlecht geht? Mach, was du willst, aber versuch nicht, sie zu trösten. Sonst will sie dich womöglich umbringen, und ich kann dir nicht helfen, weil ich beschäftigt bin. Treib Lonely-Lokley auf und richte ihm aus, er soll alles stehen und liegen lassen, herkommen und warten. Und du kommst auch wieder her. Lady Melamori kannst du ausrichten, dass uns in einer halben Stunde viel Arbeit erwartet. Wenn sie dabei sein will, soll sie sich jetzt beruhigen und wieder herrichten. Gehen wir, Sir Max.«

Juffin hakte den Reeder Agon unter und ging rasch in sein Arbeitszimmer. Ich folgte den beiden.

»Max, ich hasse es, mich in die Angelegenheiten anderer einzumischen«, begann mein Chef, nachdem er den Gefangenen auf einen Stuhl bugsiert hatte. »Aber manchmal komme ich nicht umhin, das zu tun - jetzt zum Beispiel. Unternimm nichts mehr, sonst machst du alles nur noch schlimmer. Lady Melamori geht es genauso schlecht wie dir. Aber anders als du hat sie sich von Anfang an keine Illusionen über den heutigen Morgen gemacht. Sie weiß einiges, wovon du keine Ahnung hast. Zum Beispiel, was mit Leuten passiert, die mit den Traditionen brechen und ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen wollen. Über solche Dinge redet man nicht, weil alle - bis auf ein paar Zugereiste - davon wissen.«

»Über welche Dinge?«, fragte ich hastig.

»Wenn ein Paar, das sich im Stadtteil Rendezvous kennen gelernt hat, gegen das Verbot verstößt, sich nach der Liebesnacht wiederzusehen, wird einer der beiden sehr bald sterben. Wer von den beiden das sein wird, lässt sich im Vorhinein nicht sagen, aber ich vermute, es würde Lady Melamori erwischen. Frag nicht, warum - glaub mir einfach. Du hast ohnehin viel mehr Glück als sie. Das ist die Lage.«

»So was hör ich zum ersten Mal«, brummte ich. »Und verzeihen Sie, aber das ist doch billigster Aberglaube! Wenn nicht gar ein primitives Tabu!«

»Seit einiger Zeit ist dein Leben voller Aberglauben -ob du es willst oder nicht. Und warum sollte ich dich anlügen? Haben wir uns etwa im Stadtteil Rendezvous kennen gelernt?«

»Das nicht«, lächelte ich bitter. »Aber all das gefällt mir trotzdem nicht. Ich dachte, die Lady würde einfach an Schauergeschichten glauben, und ich brauchte nur Zeit, um sie dazu zu bringen, ihre unsinnigen Ängste abzulegen.«

»Wenn du dich darum bemühst, schaffst du das vermutlich. Aber ich rate dir davon ab. »Sie ist leider nicht meine Freundin« klingt besser als »Sie ist meine leider verstorbene Freundin«. Wahre Freundschaft verlangt beiden Seiten manches Opfer ab. Das müsst ihr noch begreifen. Damit ist dieses Thema für mich erledigt.«

Schockiert starrte ich Juffin an. Er zuckte nur die Achseln, als wollte er sagen, er habe die Naturgesetze schließlich nicht gemacht.

»Ich hoffe, du erwürgst mich nicht, wenn ich unserem armen Gefangenen ein paar Tröpfchen von deinem Lieblingsgetränk gebe?«, fragte mich Juffin leichthin.

»Vorausgesetzt, ich bekomme auch einen Schluck davon. Ich bin nämlich sehr müde.«