Sofort fiel uns ein Haus besonders ins Auge. Es sah aus wie eine alte Burg und war von einer hohen Mauer umgeben, an der Plakatreste klebten. Neben dem Hauseingang stand Melamori und stieß ungeduldig mit der Schuhspitze gegen den Bordstein. Sie schien merkwürdig gut gelaunt, und das kam mir seltsam vor.
»Er ist hier«, flüsterte die Verfolgungsmeisterin. »Als er merkte, dass ich ihm auf die Spur getreten war, war er erst traurig und hat dann die Reste seines Verstandes zusammengerafft. Juffin, es war ein Fehler, dass Sie mir befohlen haben, auf Sie zu warten. Ich hätte alles allein erledigen können. Aber jetzt gehe ich rein - mir nach!«
»Sie gehen nirgendwohin!«, rief Juffin energisch. »Lonely-Lokley geht vor - das ist seine Pflicht. Und es wäre besser, wenn Sie einfach im A-Mobil sitzen blieben. Wo ist Ihre berühmte Vorsicht, Lady?«
»Warum soll ich hierbleiben, obwohl ich ihn schon fast erwischt hatte«, rief Melamori zornrot. »Ich hab doch wohl ein Recht darauf, als Erste zu gehen!«
Ihre Stimme klang ungeduldig und außer Atem - so aufgebracht hatte ich sie noch nie erlebt. Selbst in unserer Liebesnacht hatten ihre Augen nicht so geglänzt wie in diesem Moment.
Warum glühst du bloß so, meine Liebe?, fragte ich mich. Dann begriff ich, was geschehen war.
»Melamori redet unter Zwang. Bestimmt hat sie keine Ahnung, was sie da sagt. Er hat sie gefangen, Juffin! Melamori ist Chroper auf die Spur getreten und daran kleben geblieben - ich weiß nicht, wie ich es anders sagen soll. Jedenfalls hat er sie in Bann geschlagen. Chroper glaubt, ihm sei nur eine Person auf den Fersen, und er möchte diese Person deshalb so schnell wie möglich beseitigen. Ich staune, dass Melamori überhaupt auf uns gewartet hat.«
Sir Juffin klopfte mir auf die Schulter.
»So ist das also? Donnerwetter! Melamori, hast du das jetzt auch durchschaut? Du willst doch wohl nicht, dass der Große Magister irgendeines dubiosen Ordens über dich verfügt? Also bleib hier!«
Lady Melamori sah uns überrascht an und schüttelte den Kopf.
»Ich kann nicht, wirklich nicht. Und ich bin mir sicher, dass wir so schnell wie möglich ins Haus eindringen müssen, damit es diesem Chroper nicht gelingt zu fliehen. Aber Sie haben Recht - was ich gerade sagte, wurde mir eingegeben. Ich hatte nicht warten wollen, und wenn ihr auch nur eine Minute später gekommen wärt ...«
In diesem Moment verließ Lonely-Lokley das A-Mobil und hob Lady Melamori mühelos vom Boden hoch.
»Das war's für Sie, Gnädigste. Geht's Ihnen jetzt besser?«, fragte er und setzte sie sich auf die Schultern. »Wir sollten dieses Problem später besprechen«, fügte er gelassen hinzu.
Wir sahen einander reihum an.
»Stimmt«, meinte Juffin, und alle stiegen aus.
»Sind Sie nun damit einverstanden, im A-Mobil zu warten?«
»Inzwischen bin ich mit allem einverstanden«, rief Melamori und klammerte sich verzweifelt an Lonely-Lokleys Kopf. »Ich hab nämlich furchtbare Höhenangst. Kann ich nicht vielleicht doch mitkommen? Ich will auch versuchen, brav zu sein. Es ist so blöd, allein im A-Mobil zu sitzen.«
»Na gut, kommen Sie mit. Aber ziehen Sie Ihre Schuhe wieder an. Sie brauchen auf keine Spur mehr zu treten und könnten sich einen Splitter fangen. Wisst ihr eigentlich, wem das Haus gehört? Hier lebt der alte Sir Gartoma Chatl Min. Vor hundert Jahren hat es in Echo schreckliehe Gerüchte über das Chaos in seinem Haus gegeben, aber allmählich ist dieses Thema langweilig geworden. Sir Schürf, setzen Sie Lady Melamori bitte beim A-Mobil ab, klemmen Sie sich Max unter den Arm und gehen Sie mit ihm voran - wir drei folgen euch.«
Lonely-Lokley warf mir einen taxierenden Blick zu und packte mich dann mit der Eleganz eines Lastenkulis an der Taille.
»Schürf, ich kann mich prima ohne Ihre Hilfe fortbewegen!«, rief ich. »Juffin hat sich nur missverständlich ausgedrückt!«
»Stimmt das, Sir?«, fragte Lonely-Lokley so interessiert wie gelassen.
»Sündige Magister, ihr macht mich noch verrückt! Natürlich hab ich das nicht so gemeint. So was soll ein Geheimer Suchtrupp sein, der Schrecken des Weltalls? Ein Zirkus ist das!«
Lonely-Lokley und ich traten die Tür ein und gelangten ins muffige Foyer des riesigen, heruntergekommenen Hauses.
»Und wie wollen Sie den Mann jetzt finden, Schürf?«, fragte ich angespannt. »Das ist ja ein Palast hier.«
»Stimmt - das Gebäude ist ziemlich groß«, sagte Lonely-Lokley nickend. »Nur nicht die Nerven verlieren, Sir Max. Selbst in einer so kniffligen Lage kann ich ihm auf die Spur treten. Auch ich nämlich habe ziemlich viel Erfahrung in solchen Dingen. Bevor Lady Melamori bei uns angefangen hat, mussten wir eine Zeit lang ohne Verfolgungsmeister auskommen. Für diesen Beruf braucht man eine seltene Begabung, und es ist schwer, geeignete Personen dafür zu finden. Unser vorletzter Verfolgungsmeister - Sir Totochata Schlom - ist in einer sehr ähnlichen Situation ums Leben gekommen. Nur war sein Gegner etwas ernster zu nehmen als dieser Chroper: Er trug ähnliche Handschuhe wie ich.«
Ich pfiff anerkennend durch die Zähne. Sir Lonely-Lokley zuckte nur die Achseln und fuhr fort: »Sir Totochata war ein brillanter Verfolgungsmeister, aber nicht eben vorsichtig. Wissen Sie, Sir Max, sein Verlust ist für mich bis heute sehr schmerzhaft: Wir hatten am selben Tag beim Kleinen Geheimen Suchtrupp begonnen und waren im Laufe der Zeit echte Freunde geworden. Hier müssen wir links abbiegen - passen Sie auf, der Splitter da durchdringt jede Sohle. Wegen solch tückischer Waffen hab ich Lady Melamori ja gesagt, auch Orden, die nicht allzu mächtig sind, könnten sehr gefährlich sein. Sie war tatsächlich in großer Gefahr. Aber jetzt weiter.«
Lonely-Lokleys weißer Mantel schimmerte in der Dunkelheit. Sir Schurfs rechte Hand, deren taschenlampenartiges Leuchten nicht den Tod, sondern nur Erstarrung brachte, huschte über das erschrockene Gesicht eines am Boden liegenden Greises.
Ich trat zu dem hageren Alten, der einen verschossenen Lochimantel trug. Seine Hände waren hinterm Kopf verschränkt, seine Beine in den Knien abgewinkelt.
»Ist das der Große Magister?«
Lonely-Lokley schüttelte den Kopf. »Nein, Max, das ist Sir Gartoma Chatl Min, der Besitzer des Hauses. Sehen Sie, er trägt den gleichen Gürtel wie die übrigen Opfer. Sir Chroper hat es geschickt vermocht, einen Unbeteiligten in die Falle zu locken. Wenn Verfolgungsmeister nahe am Ziel sind, wird ihnen alles andere egal. Deshalb darf auch Lady Melamori im Dienst nie allein unterwegs sein, es sei denn, sie verfolgt unbescholtene Bürger. Selbst diese Regelung allerdings ist meiner Meinung nach leichtfertig.«
»Was kann so ein alter Mann schon ausrichten? Wie ein Kämpfer sieht er nicht gerade aus.«
»Urteilen Sie nicht übereilt, mein Freund. Wer gelernt hat, eine Armbrust zu gebrauchen, verlernt es nicht so schnell. Und ein Kopfschuss kann jeden töten, auch Verfolgungsmeisterinnen. Sehen Sie, was er da in der Hand hat?«
Mir schwindelte. Melamori wäre fast durch einen Armbrustpfeil in einem muffigen Korridor gestorben! Zu den Magistern mit meinem Liebeskummer, dachte ich. Melamori kann tun, was sie will, sogar heiraten wie meine Exfreundinnen - Hauptsache, sie bleibt am Leben! Ob Juffin mit seiner Devise »Freundschaft ist wichtiger als Leidenschaft« Recht hat, weiß ich nicht, aber das Leben ist zweifellos erstrebenswerter als der Tod.
»Sir Schürf, gehen wir weiter«, sagte ich heiser. »Bringen Sie Chroper um, und zwar möglichst schnell.«
Lonely-Lokley erhob keinen Einspruch, und wir schoben uns weiter vor. Am Ende des Flurs erreichten wir eine Treppe und landeten in einem Kellerraum.
»Halten Sie sich hinter mir, Sir Max«, sagte Lonely-Lokley mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. »Heute ist ein ziemlich unruhiger Tag, und wir müssen mit unangenehmen Überraschungen rechnen. Dieser Chroper ist hier irgendwo.«
Lonely-Lokleys schneeweiß und lebensgefährlich strahlende Hände wirkten bizarr.
»Was machen Sie da eigentlich, Sir Schürf?«
»Wen man aufspüren will, den treibt man am besten in die Enge. Denken Sie, ich bin nur gut im Töten? Im Gegenteil! Mein Beruf verlangt eine vielseitige Ausbildung. Sehen Sie, da ist er ja. Mein Zauberspruch wirkt immer, jedenfalls bei Menschen. Jetzt aber!«