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Sir Juffin schnupperte an seinem Krug Kamra, nickte zufrieden und goss sich etwas ein.

»Um mal was Neues auszuprobieren, hab ich die Kamra nicht aus dem Fressfass, sondern aus dem Dicken Mann in der Kurve kommen lassen. Ich wollte nämlich erfahren, wie die Frau unseres guten Sir Lukfi ihren Lebensunterhalt verdient. Es hat sich gezeigt, dass sie das gar nicht schlecht macht. Bist du schon mal in ihrem Gasthaus gewesen?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Das ist schlimm, wenn nicht gar unkollegial. Die Wirtin dort ist doch die Ehefrau unseres Mitarbeiters Penz. Also sind wir quasi moralisch verpflichtet, ab und an bei ihr einzukehren. Aber setz dich, Max. Von mir aus hättest du gern in Ruhe zu Ende essen können. Offen gesagt verstehe ich dich nicht: Du ziehst die Arbeit anscheinend kulinarischen Genüssen vor.«

»Sie sind gut informiert«, stöhnte ich. »Sie wissen wirklich alles über mich. Sogar, was ich auf dem Teller liegen lasse.«

»Ich weiß nicht alles, Max - nur das Wichtigste. Aber jetzt muss ich mal ernsthaft mit dir reden. Ich will dich mit einem neuen Fall überraschen.«

»Na endlich«, sagte ich erwartungsfroh und fischte in meiner Tasche nach dem Päckchen Zigaretten, das ich mir zum Glück durch die praktische Ritze zwischen den Welten hatte angeln können, die sich unter meinem Kopfkissen befand.

Das pädagogische System von Sir Maba Kaloch lässt sich so zusammenfassen: Es gibt viele kleine Zuckerbrote und weit und breit keine Peitsche. Und dieses System funktioniert bestens. Der Geschmack des hiesigen Tabaks widerte mich an, und ich befasste mich tagsüber fast nur damit, Zigaretten aus meiner alten Heimat zu organisieren, ohne mir den Kopf darüber zu zerbrechen, wie das eigentlich funktionierte.

»Von Anfang hat hatte ich diese Aufgabe für dich reserviert«, begann Juffin. »Aber ich dachte, wir würden viel mehr Zeit brauchen, bis du dich an unsere Welt gewöhnt hättest. Inzwischen hat sich allerdings herausgestellt, dass du dich wunderbar eingelebt hast.«

»Das sehe ich auch so«, meinte ich und nickte bekräftigend.

»Tja«, sagte Juffin und zuckte die Achseln, »dein Tempo ist mir geradezu unheimlich. Und obwohl ich seit langem weiß, wie flink du bist, staune ich noch immer. Aber ich bin überzeugt, du schaffst es. Auch der Moment ist günstig. Eine kleine Reise ans Ende der Welt ist genau das, was du jetzt brauchen kannst, stimmt's?«

»Juffin«, bat ich leise, »spannen Sie mich nicht länger auf die Folter. Sie haben mich so neugierig gemacht, dass mir der Kopf schwirrt.«

»Ich will dich nicht auf die Folter spannen, Max. Ich warte bloß, bis du dich gesetzt und dir noch etwas Kamra genommen hast. Mach es dir bequem, rauch eine Zigarette und sei auf eine lange und komplizierte Geschichte gefasst.«

»Ich liebe lange und komplizierte Geschichten, Sir.«

»In meiner Heimatstadt Kettari geht etwas Merkwürdiges vor.«

Mir klappte die Kinnlade runter. So einen Anfang hatte ich wirklich nicht erwartet. Juffin lächelte verständnisvoll.

»Deine Kenntnisse der Geografie des Vereinigten Königreichs scheinen mir nicht besonders sattelfest.«

»Sir, Sie brauchen meine Eigenliebe nicht zu schonen -die lasse ich immer zu Hause. Und von der hiesigen Geografie habe ich absolut keine Ahnung.«

Juffin nickte und breitete eine Karte aus, die ich fasziniert studierte. Die hiesige Kartografie ist eine Kunst für sich. Mit dem kurz geschnittenen Nagel seines rechten kleinen Fingers tippte mein Chef auf einen kleinen Fleck, der irgendwo im Westen in den Bergen lag.

»Das ist Kettari. Und hier ist Echo, siehst du?«, meinte er und zeigte mit dem Fingernagel auf einen anderen Fleck am unteren Kartenrand. »Das ist nicht allzu weit, aber auch nicht nah. Weißt du, was dieses runde Zeichen hier bedeutet?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Dass sich die Bewohner der Stadt vor allem mit Kunsthandwerk beschäftigen. Seit eh und je ist Kettari für seine Teppiche berühmt. Auch in meiner Jugend waren sie unnachahmlich, obwohl es auf der Welt damals viel mehr hübsche Dinge gab als heute. So schöne Teppiche wie dort werden noch immer nirgendwo sonst gefertigt. Natürlich gibt es zwischen Echo und Kettari rege Handelsbeziehungen, denn hier schätzt man Luxuswaren.«

»Der große bernsteinfarbene Teppich in Ihrem Wohnzimmer ist aus Kettari, stimmt's?«

»Richtig. Wie bist du darauf gekommen?«

»Am Rand ist Made in Kettari eingestickt«, meinte ich lachend. Juffin lachte natürlich auch.

»Jetzt aber genug, Junge. Willst du meine Geschichte überhaupt hören?«

»Selbstverständlich«, rief ich, schenkte mir Kamra nach und bemühte mich um eine konzentrierte Miene. »Bitte erzählen Sie weiter!«

»Vor einigen Dutzend Jahren ist in Echo die Sitte aufgekommen, in großen Karawanen nach Kettari zu reisen. Das ist bequem, und darum hat sich keiner über diese Neuerung gewundert. Schon damals fiel mir auf, dass jede Karawane von einem Mann aus Kettari geführt wurde, doch wenn sich meine Landsleute etwas dazuverdienen wollen - so dachte ich -, sollte ich sie daran nicht hindern. Natürlich wollten nicht alle zum Einkäufen mit einer großen Karawane unterwegs sein und für die Dienste eines Führers bezahlen. Manche Tölpel aus der Hauptstadt allerdings konnten den Weg nach Kettari allein nicht finden, kehrten unverrichteter Dinge zurück und verbreiteten das Gerücht, die Stadt sei zerstört. Man sollte darüber nicht staunen: Es gibt viele Tröpfe, denen jede Behauptung recht ist, um ihre Dummheit zu bemänteln. Solche Vorfälle überzeugten die hiesigen Händler, der Obolus für den Karawanenführer sei das kleinere Übel. Schließlich will niemand seine Zeit oder sein Hab und Gut verlieren und zum Gespött aller werden.«

»Einigermaßen aufgeweckte Erwachsene haben also den Weg nach Kettari nicht finden können?«, fragte ich erstaunt. »Sind die Straßen hier wirklich so schlecht?«

»Gute Frage, Max. Schon viele haben darüber gestaunt, wie es möglich war, den Weg zu verfehlen. Die Grafschaft Schimara ist nicht die am weitesten entfernte Provinz und Kettari beileibe kein Dorf. Die Karawanenführer haben die Schwierigkeiten mancher Reisender damit erklärt, dass viele Kleinstädte rund um Kettari in der Traurigen Zeit zerstört wurden. Da diese Städtchen wirtschaftlich von den Provinzsitzen der zahlreichen Orden abhängig waren, hatte es keinen Sinn, sie nach Auflösung der Orden wieder aufzubauen. Die Karawanenführer berichteten auch von zerstörten Straßen. Das fand ich schon damals überaus seltsam. Ich habe noch nie davon gehört, dass in der Traurigen Zeit Straßen zerstört wurden. Warum hätte man das tun sollen? Allerdings gab es mal einen lustigen Vorfall mit dem Großen Magister des Ordens vom Geheimen Kraut, der übrigens ein naher Verwandter von Sir Melifaro ist. Nachdem er Echo verlassen hatte, hatte er das Gefühl, er werde verfolgt, und hat daraufhin die Straße so verschoben, dass sie direkt in den Himmel führte. Das war kein schlechter Anblick: Man fuhr so vor sich hin und merkte plötzlich, dass die Straße in die Wolken zielt. Ich habe dem Großen Magister Nuflin Moni Mach vorgeschlagen, die Straße zu lassen, wie sie war, aber damals war er noch nicht so nachgiebig wie heute und hat darauf bestanden, sie reparieren zu lassen. Das Ganze ist übrigens nicht irgendwo in der Grafschaft Schimara passiert, sondern am Rande der Provinz Echo. Darum hab ich sehr über die zerstörten Straßen gestaunt, von denen die Karawanenführer berichteten. Dann dachte ich mir, den Führern sei immer zu trauen gewesen - warum soll man ihnen also nicht weiter glauben? Schließlich kehren unsere Händler reich mit Teppichen beladen aus Kettari zurück, und auch sie beklagen sich über den erbärmlichen Zustand der Straßen. Die Teppiche sehen eigentlich stets prächtig aus, und die Reisenden berichten immer von der Schönheit und dem Reichtum meiner Heimatstadt. Ich weiß nicht recht: In meiner Erinnerung war Kettari nie ein blühendes kulturelles Zentrum. Aber manchmal ändert sich ja etwas -mitunter sogar zum Besseren.«