»Das tu ich jeden Tag. Die Leute in meiner Umgebung können das kaum mehr ertragen«, meinte ich und lachte. »Wann soll ich eigentlich reisen, Juffin?«
»Alle vierundzwanzig Tage bricht eine Karawane nach Kettari auf. Wenn ich mich nicht irre, zieht die nächste in vier Tagen los. Ich hoffe, bis dahin sind wir mit allem fertig.«
»Mit allem? Ich dachte, die Vorbereitungen wären erledigt.«
»Wir haben noch nicht mal damit angefangen! Übrigens fährst du nicht allein - und darüber lasse ich nicht mit mir reden. Das ist keine Laune von mir, sondern entspricht den Vorschriften.«
»Ich beklag mich ja gar nicht. Mit wem soll ich denn fahren?«
»Zunächst würde ich gern deinen Vorschlag hören.«
»Ich bin ein Gewohnheitstier. Wenn ich irgendwo hinfahren soll, dann nur mit Lonely-Lokley. Ich war schon mal mit ihm unterwegs, und das hat mir sehr gefallen. Aber wer wird hier den Verbrechern Angst einjagen, wenn wir die Stadt verlassen?«
»Keine Sorge, Max«, meinte Juffin lächelnd. »Du hast mich noch nicht im Einsatz erlebt. Vielleicht verjüngt mich das etwas - in eurer Gesellschaft bin ich nämlich ziemlich eingerostet. Und Kofa Joch muss auch ein wenig wachgerüttelt werden.«
»Wirklich?«, fragte ich leicht verärgert. »Ich wäre nie auf die Idee gekommen, Sie müssten sich verjüngen. Aber wie ich sehe, sind Sie damit einverstanden, dass Sir Schürf mich begleitet.«
»Wie sollte es anders sein? Ich hätte Lonely-Lokley ohnehin zu deinem Partner bestimmt und wollte nur herausfinden, ob du von selbst darauf kommen oder im Dunkeln tappen würdest. Du hast es geschafft - Glückwunsch!«
»Vermutlich müssen wir getarnt reisen. Schließlich kennt ganz Echo Sir Schurfs Gesicht, und bestimmt möchte niemand in Gesellschaft zweier Geheimagenten unterwegs sein«, meinte ich und sah Juffin fragend an. »Na, hab ich noch immer Recht?«
»Bis jetzt schon. Erzähl mir, was dir zu diesem Auftrag noch so durch den Kopf geht.«
»Ich bin recht unauffällig«, stellte ich mit Nachdruck fest. »Aber was Schürf anlangt, können wir nur hoffen, dass Sir Kofa sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit verändern kann.«
»Jetzt aber nicht mehr.«
Verwirrt sah ich meinen Chef an und begriff.
»Ach so, jetzt hab ich nicht mehr Recht.«
»Allerdings nicht«, meinte Juffin ausgesprochen belustigt. »Du bist wirklich bescheiden, Max. Wenn wir mit jemandem Probleme haben, dann mit dir, mein Junge. Anscheinend bist du kein so guter Beobachter. Schürf sieht zwar - den Magistern sei Dank! - nicht besonders angenehm aus, aber in der Stadt gibt es Tausende, die ihm ähneln. Man muss nur seine Haarfarbe ändern, ihm etwas anderes als seinen geliebten weißen Lochimantel zum Anziehen geben und ihm die Handschuhe wegnehmen. Dann wirst selbst du ihn nicht mehr erkennen. In Echo gibt es schließlich viele groß gewachsene Männer.«
»Umso besser. Aber warum sollte es mit mir Probleme geben? Hab ich so ein ungewöhnliches Gesicht?«
»Leider ja. Oder hast du in Echo schon jemanden getroffen, den man für deinen Bruder oder deine Schwester halten könnte?«
Bedauernd zuckte ich die Achseln. »Ehrlich gesagt habe ich mich bisher nicht mit solchen Kleinigkeiten befasst.«
»Du bist ein seltsamer Vogel. Aber darum geht es nicht. Sir Kofa kann dein Gesicht nach Belieben ändern - das Problem aber liegt in deinem Akzent.«
»Hab ich denn Ak ...«, begann ich und verstummte errötend.
»Natürlich. Aber du merkst es nicht. Die halbe Stadt weiß, dass nur Sir Max - der Träger des Todesmantels -so merkwürdig redet. Du wirst sofort erkannt, egal, wie du dich vermummst. Und deine Stumme Rede ist manchmal kaum zu verstehen.«
»Was soll ich tun? Soll ich mich als stumm ausgeben?«
»Unsinn - Stumme beherrschen die Stumme Rede doch besser als alle anderen! Aber cool bleiben, Max -wir machen aus dir eine schicke Dame. Du wirst staunen.«
»Eine Dame? Schick? Aus mir?«, fragte ich verdattert.
»Was gibt es da zu staunen? Sir Kofa wird an deinem Gesicht und deiner Stimme arbeiten, und wir lassen dir eine Perücke machen - wo ist das Problem?«
»Dann bin ich in dieser Saison die Hauptlachnummer im Haus an der Brücke. Juffin, verraten Sie mir bitte, was für eine Frau sich aus mir machen lässt.«
»Eine groß gewachsene, dünne Frau mit breiten Schultern. Männern wird das vermutlich nicht sehr gefallen«, stellte Juffin ungerührt fest. »Aber das ist nur für Lonely-Lokley ein Problem, denn er muss mit einer nicht eben hübschen Gattin reisen.«
»Gattin? Sie machen Witze, oder?«, rief ich und hätte beinahe losgeheult.
»Was ist mit deinem Gehirn los, Max?«, fragte mein Chef kühl. »Natürlich werdet ihr euch als Ehepaar ausgeben. Nach Kettari fährt man nun mal meist zu zweit und verbindet das Angenehme mit dem Nützlichen: den Kauf eines Teppichs mit einem Urlaub. Wenn in der Karawane eine Frau mit deinem Akzent unterwegs ist, denken alle, sie sei deine Landsmännin. Warum sollte ein anständiger Herr aus Echo nicht eine Frau aus den Leeren Ländern heiraten? Hier mag man Exotik. Ihr werdet also keinen Verdacht auf euch lenken. Jetzt sieh mich bitte nicht so an - was gibt es denn da zu sorgen?«
Das konnte ich selbst nicht erklären. Natürlich regten sich in mir sofort seltsame Vorurteile: Wenn ein Mann Frauensachen trägt, stimmt was nicht mit ihm. Eigentlieh aber war Kleidung kein Problem, weil sich Frauen und Männer in Echo so ähnlich anzogen, dass ich sie mitunter kaum unterscheiden konnte.
»Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Es ist einfach nicht hübsch.«
»In diesem Bereich gibt es weder hübsch noch unhübsch. Ah, guten Abend, Sir Kofa«, sagte Juffin. Ich drehte mich um. In der Tür stand Kofa Joch, der Meister des Verhörs und unübertreffliche Virtuose des Maskierens. In den Händen hielt er ein großes Paket.
»Dieser nette Junge will keine Frau werden«, sagte Juffin mit hoher Stimme. »Was meinen Sie, Kofa? Sollen wir ihn zwingen, klein beizugeben, oder sollen wir ihn erst höflich bitten?«
Kofa schenkte uns ein gönnerhaftes Lächeln und legte das Paket auf Juffins Schreibtisch.
»Wollen Sie mich etwa jetzt schon in eine Frau verwandeln?«, fragte ich erschrocken. »Dürfte ich vorher vielleicht noch einen Spaziergang machen?«
Das Gefühl, das ich gerade verspürte, ähnelte der ohnmächtigen Hilflosigkeit, die ich stets beim Zahnarzt empfand. Auch dort wollte ich schnellstmöglich verschwinden und am nächsten Tag wieder vorbeischauen.
»Du hast genug Spaziergänge gemacht«, meinte Juffin boshaft. »Max, jetzt beruhige dich. Du ziehst dich doch nur um - wie zum Karneval. Den kennst du doch, oder?«
»Ja, ja«, murmelte ich. »Damals war ich sechs und bin als Häschen gegangen.«
Meine Kollegen quietschten vor Vergnügen.
»Als Häschen! Im Karneval! In den Leeren Ländern!«,
prustete Sir Kofa. »Max, denken Sie manchmal eigentlich nach, bevor Sie reden?«
Ich konnte mich nicht mehr beherrschen und lachte auch ein wenig.
»Na schön, schießen Sie los, Sir Kofa. Ich habe tatsächlich keine große Erfahrung mit Karneval. Also ...«
»Warum nicht gleich so!«, rief Juffin und reichte mir eine Tasse Kamra. »Die Panik eben hättest du dir wirklich schenken können. Hast du etwa gedacht, wir hätten dich in eine echte Frau verwandeln und dir die entsprechenden ehelichen Pflichten auferlegen wollen?«
»Ihnen ist alles zuzutrauen!«
»Unsinn, Junge! Es ist gar nicht so leicht, aus einem Mann eine Frau zu machen - und umgekehrt. Theoretisch ist das zwar möglich, doch weder Kofa noch ich verfügen über solche magischen Kräfte. Sir Maba Kaloch könnte es wahrscheinlich, obwohl ... Na ja - warum eigentlich nicht? Ich vermute, auch Lady Sotova wäre dazu in der Lage. Aber Lonely-Lokley würde seine Frau nie gegen eine magere, breitschultrige Barbarin tauschen. Den Magistern sei Dank - bei Frauen kennt sich unser Sir Schürf gut aus.«
»Was reden Sie da für einen Unsinn, Sir Juffin?«, fragte Kofa Joch mit der Empfindlichkeit des beleidigten Profis. »Warum eine magere, breitschultrige Frau? Wir machen ein hübsches, nettes Mädchen aus ihm - Sie werden sehen!«