Unentschieden wiegte ich den Kopf.
»Macht nichts. Du bist noch zu jung, aber irgendwann wirst du das begreifen. Jetzt schläfst du gleich ein wenig, und wenn du aufwachst, bist du derselbe Sir Max wie zuvor, wirst dich aber wie eine echte Lady benehmen. Du bleibst, wer du bist, aber die Leute werden glauben, sie hätten es mit jemand anderem zu tun. Ehrlich gesagt ist das kein gutes Getränk, mein Junge. Wenn Leute anders erscheinen wollen, sollen sie etwas dafür tun. All diese Wunder wirkenden Mixturen verwöhnen sie doch nur. Aber einmal - noch dazu bei einer so wichtigen Mission - kann ich eine Ausnahme machen. Ich glaube nicht, dass du lernen solltest, eine echte Frau zu sein - du bist auch ohne diese Fähigkeit ein guter Mann.«
»Vielen Dank, Lady Sotova. In der ganzen Welt sind Sie die Einzige, die mich liebt und lobt«, murmelte ich hingerissen und kämpfte schon mit den ersten Anzeichen von Müdigkeit.
»Jetzt schweig und schlaf. Alles wird gut. Weißt du: Wunder passieren im Schlaf - so ist das nun mal.«
Lady Sotova hüllte mich in eine Wolldecke und wandte sich an meinen Chef.
»Juffin, hast du etwas Zeit, damit wir uns in Ruhe unterhalten können? Du musst doch nicht schon weiter, oder?«
Ich sah meinen Chef gerade noch mit dem Zeigefinger zweimal an die Nase tippen, was in Kettari bekanntlich bedeutet, dass zwei vernünftige Menschen sich immer verständigen können.
Als ich erwachte, war es schon hell. Lady Sotova saß lächelnd neben mir und sah mich neugierig an.
«Max, du kannst wirklich lange schlafen«, sagte sie, und ihr Lächeln wurde noch breiter. »Wo hast du das gelernt?«
»Ich bin ein Naturtalent«, entgegnete ich prompt mit fremder, samtweicher Stimme.
Ich blickte mich um und merkte, dass ich mit Lady Sotova allein war. Hatte mich mein Chef im Stich gelassen? Bei ihm musste man mit allem rechnen.
»Wo ist Juffin?«
»Zu Hause oder im Dienst - keine Ahnung. Weißt du eigentlich, wie lange du geschlafen hast? Juffin und ich haben zwar ein wenig geplaudert, aber in all der Zeit hätten wir sogar die Entstehung des Universums klären können. Und das ist kein besonders spannendes Thema.«
»Wie lange hab ich denn geschlafen?«
»Über vierundzwanzig Stunden. Das ist wirklich erstaunlich.«
»Nicht schlecht. Juffin wird mir den Kopf abreißen.«
»Ich glaube nicht, dass der schreckliche Kerl dir in nächster Zeit irgendwas abreißen wird. Vertrau einer alten Prophetin.«
»Wie auch immer - ich muss los«, sagte ich hastig. »Morgen oder übermorgen reise ich ab. Wann genau, weiß ich nicht.«
»Natürlich musst du los«, nickte Lady Sotova. »Aber erst wäschst du dich, und dann bekommst du noch eine Tasse Kamra. Eigentlich hasse ich Küchenarbeit, aber für dich mache ich eine Ausnahme.«
Ich lächelte. »Sie verwöhnen mich.«
»Natürlich - irgendwer muss das doch tun. Das Bad ist unten. Bei mir ist alles, wie es sich in Echo gehört.«
»Und ich dachte, Ihr Bad läge in einer anderen Welt«, sagte ich und nahm die Treppe nach unten.
»Das eine schließt das andere nicht aus«, bemerkte sie vieldeutig.
Im Bad sah ich in den Spiegel. Lady Marilyn Monroe war nicht länger tollpatschig - dank Lady Sotova und ihrer Wunderlichen Hälfte. Ich selbst hatte an dieser Verwandlung nicht den geringsten Anteil.
Die Illusion schien so echt, dass ich mich fast panisch auszog. Unter der dünnen Skaba sah ich meinen Männerkörper, seufzte erleichtert und begann, mich zu waschen.
Tänzelnd kam ich aus dem Keller zurück. Wenn man länger als vierundzwanzig Stunden im Sitzen geschlafen hat und sich dennoch sehr gut fühlt, lässt sich das nur auf Magie höheren Grades zurückführen.
Die füllige grauhaarige Greisin, die zu den mächtigsten Menschen dieser Welt gehörte, erwartete mich am Tisch.
»Hier sind Kamra und Gebäck - mehr hab ich nicht. Aber du frühstückst ja ohnehin nicht gern üppig.«
Ich nickte. »Auch das wissen Sie?«
»Du bist noch zu jung, mein Lieber, um Geheimnisse vor mir zu haben.«
»Sie wissen offenbar alles über mich. Das ist ja bedrohlich.«
»Im Gegenteil - das ist sehr nett. Genau wie deine dunkle Vorgeschichte aus deiner - verzeih mir den Ausdruck - dummen Heimat.«
»Ich bin absolut Ihrer Meinung. Besonders, was die Dummheit anlangt. Lady Sotova, können Sie vielleicht mein gebrochenes Herz heilen? Juffin, dieser Sadist, sagt immer, ich müsse mit meinen Problemen allein zurechtkommen, aber ich schaffe es einfach nicht.«
»Was können das schon für Probleme sein!«, winkte meine Gesprächspartnerin ab. »Die sind doch wie Herbstschnee - kaum gefallen, schon geschmolzen. Man soll nicht immer in der Vergangenheit herumstochern und sich nicht ständig um die Zukunft sorgen. Heute ist dein Tag - also genieß ihn.«
Das waren zwar nur Worte, doch ich war so erleichtert wie neulich, als Sir Juffin mich am Ohr gezogen hatte.
Stimmt, mein Freund - was für Probleme hast du denn schon?, sagte ich mir. Dort, wo es dir schlecht ergangen ist, wohnst du nicht mehr und lebst stattdessen in einer der hübschesten Welten des Universums und hast mit lauter klugen und obendrein netten Leuten zu tun. Und da fällt dir nichts Besseres ein, als zu jammern? Du bist wirklich undankbar.
»Lady Sotova, Sie sind eine wunderbare Frau«, seufzte ich.
»Natürlich«, meinte die Alte und lächelte. »Außerdem war ich sehr hübsch, falls dich das interessiert.«
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte ich träumerisch. »Ich wäre gern Zeuge Ihrer fugend gewesen.«
»Willst du wirklich sehen, wie der verrückte Juffin mir nachgelaufen ist? Wie er mit einem Haftbefehl gewedelt hat, als ich mich weigerte, unsere Heimatstadt zu verlassen?«, kicherte Lady Sotova. »Das war ein tolles Theater. Na, solange wir Freundinnen sind, kann ich dir ja einiges zeigen.«
Sie ließ mir keine Zeit zu antworten, sondern sprang auf und bewegte die Hände ungemein schnell und energisch. Ich sah nur das stürmische Flimmern ihrer Arme.
»Und?«
Ich fühlte mich von all den Wundern total erschlagen und dachte schon, ich würde auf keine Zauberei mehr reagieren, doch dann sah ich plötzlich eine nicht gerade große, junge und hübsche Frau vor mir. Ich stierte sie an, und mir stockte der Atem. Die fantastische Lady Sotova klopfte mir begütigend auf die Schulter.
»Du bist hoffentlich nicht erschrocken?«
Schließlich begann ich wieder zu atmen und musterte das Wunder weiter unverwandt. Diese Frau hatte die atemberaubenden Kurven von Marilyn Monroe, deren Name ich so leichtfertig angenommen hatte. Lady Sotova war plötzlich eine knackige Brünette mit großen grünen Augen und schneeweißem Teint.
»Machen Sie das rückgängig, ehe ich mich vergesse«, bat ich und hätte vor Scham fast die Augen geschlossen. »Warum ...«
»Warum ich nicht immer so aussehe? Ach, Junge, wozu denn? Sollen alle jüngeren Magister des Ordens des Siebenzackigen Blattes nächtelang nur von mir träumen? Darauf lege ich keinen Wert, und um die armen Männer wäre es schade.«
Lady Sotova nahm langsam wieder ihr normales Aussehen an und wies dann nach draußen.
»Ich glaube, jetzt musst du wirklich zum Haus an der Brücke gehen.«
Die füllige Greisin legte mir lächelnd die Hand auf die Schulter. Ich nickte. Wir brauchten nichts mehr zu sagen: Ich hatte gerade ein Wunder geschenkt bekommen -und obendrein eine kleine Kostprobe von der großartigen Klugheit dieser Frau aus dem Orden des Siebenzackigen Blattes erhalten.
»Machen Sie sich keine Gedanken, Lady Marilyn -auch Sie sind hübsch und klug«, sagte Lady Sotova lachend. »Hauptsache, du genießt die kommenden Abenteuer, Max. Versprichst du mir das?«
»Ich verspreche es«, sagte ich tapfer.
In Gestalt von Lady Marilyn kehrte ich brav zum Dienst zurück. Unterwegs ging ich kurz zu einem Juwelier und spendierte meiner weiblichen Erscheinung ein paar Schmuckstücke. Die gute Marilyn sollte ja nicht leben wie ein Hund. Langsam begann ich mich mit der neuen Version meiner selbst zu befreunden.
Nach alter Gewohnheit betrat ich das Haus an der Brücke durch den Geheimeingang. Erst im Nachhinein begriff ich, dass ich damit gegen die Regeln verstoßen hatte, aber da war es schon zu spät. Glücklicherweise hatte niemand meinen Fehler bemerkt: Straße wie Korridor waren menschenleer.