Ich schüttelte seufzend den Kopf.
»Das kann ich unmöglich annehmen, Sir - wir kennen uns ja gar nicht.«
»Ich habe Ihnen diesen Ausflug vorgeschlagen, damit wir uns kennen lernen«, meinte Melifaro und lächelte entwaffnend. »Ich werde brav sein - Ehrenwort! Und wir werden viel Spaß haben. Das verspreche ich Ihnen.«
Lady Marilyn und ich lächelten schüchtern.
»Na ja, wenn Sie versprechen, brav zu bleiben.«
»Natürlich! Gleich nach Sonnenuntergang hole ich Sie ab, Unvergessliche«, sagte Melifaro und sah verstohle zur Tür.
Tja, es wäre dumm, wenn ausgerechnet jetzt der potenzielle Konkurrent erscheinen würde. Nach Melifros Plan sollte die hübsche Lady Marilyn nun rasch verschwinden, damit ein Treffen mit Sir Max - dem Menschenfresser und Nachtantlitz des Ehrwürdigen Leiters vermieden wurde.
Ich erhob mich aus dem Besucherstuhl und trat an einen Schreibtisch.
»Sie müssen mich nicht abholen, Sir Fulumiaro. Am besten warte ich hier.«
»Was machen Sie denn da, Lady Marilyn?«, fragte Malifaro verwirrt.
Schweigend zog ich eine Schublade auf und nahm eine kleine Flasche heraus, in der noch ein Rest Kachar-Balsam war.
»Was soll denn das, Lady?«, fragte Melifaro ängstlich.
Ich riskierte ziemlich viel. Dieser friedliche Mann war ebenso gefährlich wie der Rest unserer Truppe. Sollte mich für einen entlaufenen Magister halten, der nach Echo zurückgekehrt war, konnte die Sache mit ein ernsten Auseinandersetzung enden. Doch den Magistern sei Dank: Die nette rothaarige Lady war über jeden Verdacht erhaben.
Schweigend nahm ich einen eher symbolischen Schluck aus der Flasche. Ich brauchte keine Stärkung - auch ohne Kachar-Balsam hätte ich die Welt aus den Angeln heben können. Aber Lady Marilyn und ich hatten einfach Lust auf etwas Leckeres.
»Lady Boch, dieser Platz gehört Sir Juffin Halli. Sie können doch nicht einfach so in seinen Sachen wühlen!«
Es tat wirklich weh, Melifaro anzuschauen.
»Ich schon«, sagte ich ruhig. »Wir Bewohner der Grafschaft Wuk dürfen in den Tischen fremder Leute wühlen. Manchmal finden sich dort interessante Dinge. Hast du eigentlich schon den dritten Band der Enzyklopädie deines Vaters verspachtelt?«
Melifaro wirkte verstört. Wahrscheinlich übertrieb ich ein wenig. Dabei wollte ich nicht mal mehr Rache nehmen.
»Was ist denn mit dir los, Mensch?«, fragte ich gönnerhaft. »Bist du noch nie beim Karneval gewesen?«
Der gesunde Menschenverstand Melifaros meldete sich, und das Tagesantlitz des Ehrwürdigen Leiters begann nervös zu kichern. In Erinnerung an unser Gespräch lachte ich herzlich mit.
Als Sir Juffin ins Zimmer kam, sah er uns Arm in Arm auf dem Fußboden sitzen. Wir kicherten inzwischen nur noch leise vor uns hin, weil wir keine Kraft mehr hatten, laut zu lachen.
»Max, du warst immer so romantisch«, seufzte mein Chef theatralisch. »Früher mochtest du nicht mal in den Stadtteil Rendezvous gehen. Und jetzt? Kaum hast du einen künstlichen Busen bekommen und vierundzwanzig Stunden in Gesellschaft der verrückten Lady Sotova verbracht, landest du schon in den Armen eines dir praktisch unbekannten Mannes.«
»Sir Juffin«, stöhnte Melifaro, »wenn Sie ihn so lassen, heirate ich ihn sofort - Ehrenwort!«
»Aber ich heirate Sie nicht. Sie haben mich betrogen«,
sagte ich kokett. »Ach, Juffin, wenn Sie mitbekommen hätten, was der hier alles erzählt hat!«
Melifaro und ich kicherten wieder los.
»Soll ich euch mit kaltem Wasser begießen?«, erkundigte sich Juffin ungerührt. »Was ist hier eigentlich passiert?«
»Nichts, wovon meine Mutter nichts wissen dürfte!«, rief ich, und Sir Juffin schloss sich unserem Kicherduett an.
Nach einer Viertelstunde kamen Melifaro und ich langsam zur Vernunft und begannen, Juffin abwechselnd die Details unseres Kennenlernens zu erzählen. Fairerweise muss ich erwähnen, dass Melifaro, was seine Dummheit betraf, nicht mit harschen Worten sparte.
»Lady Marilyn, du bist wirklich erfolgreich«, sagte mein Chef lächelnd. »Dabei hat dich die Aussicht, in eine Frau verwandelt zu werden, noch vorgestern schockiert.«
»Da wusste ich ja noch nicht, dass ich so hübsch würde«, sagte ich und wies mit dem Kopf auf Melifaro. »Übrigens hat er mich zum Abendessen eingeladen. Oder hast du es dir anders überlegt?«
»Mit einer so schönen Frau kann ich mich überall zeigen. Und wohin gehen wir danach? Zu mir oder zu dir?«, fragte Melifaro gelassen.
»Zu mir natürlich. Mein Papi ist zu Hause - General Bubuta Boch, falls du dich noch daran erinnerst. Er wird dir bestimmt von seinen Kriegserfolgen erzählen. Sir Juffin - habe ich heute Abend dienstfrei, oder haben Sie eine neue Mitarbeiterin namens Marilyn eingestellt? Was meint ihr, Jungs - wird mir der Todesmantel stehen?«
Meine weibliche Inkarnation war etwas leichfertiger als die männliche.
»Ich glaube, ein Spaziergang durch die Stadt kann Ihnen nicht schaden, Lady Marilyn. Sie müssen sich schließlich an Ihren neuen Namen gewöhnen und so. Und du, Melifaro, solltest den Blick nicht im Dekolletee dieser leichtlebigen Frau versenken. Sie geht übermorgen auf Hochzeitsreise mit Sir Lonely-Lokley.«
Melifaro pfiff verständnisvoll durch die Zähne.
»Ist es was Ernstes, meine Herren? Ich dachte ...«
»Was hast du denn geglaubt? Dass Max und ich aus Langeweile verrückt geworden sind? Natürlich ist es was Ernstes. Begleite also deine neue Freundin in die Stadt und pass auf, dass sie auf ihren neuen Namen reagiert und sich nicht verplappert.«
»Da sehe ich keine Gefahr«, meinte Melifaro. »Aber was ist das für ein Leben, Sir Juffin? Da trifft man ein nettes Mädchen, und dann erweist es sich als Ihr Nachtantlitz! Und heiratet obendrein Lonely-Lokley! Glauben Sie, mein Herz sei aus Stahl?«
»Daran habe ich keinen Zweifel«, meinte Juffin ungerührt. »Max ... also Lady Marilyn: Sir Schürf und ich erwarten dich morgen bei Sonnenuntergang. Wenn du zu Hause bist, pack deine Sachen. Und mach dir keine Gedanken über deine Viecher. Unsere Mitarbeiter stehen Schlange, um die Tiere pflegen zu dürfen.«
Ich ließ den Kopf hängen. Meine armen Katzen! Was war ich doch für ein nichtsnutziges Herrchen!
»Wahrscheinlich bekommt Ella bald Junge«, sagte ich wehmütig. »Das werden die zukünftigen Katzen des Königs sein. Allerdings frisst sie so viel, dass sie womöglich nicht trächtig ist, sondern einfach nur fett.«
»Max, deine Probleme möchte ich haben«, sagte Juffin müde. »Sir Melifaro, nehmen Sie diese hübsche Frau und ziehen Sie Leine. Ich hab noch ein Treffen mit einem Giftmörder.«
»Weißt du, Lady Marilyn, mit deinem netten Gesicht und den dummen Sprüchen des Nachtantlitzes bist du die ideale Frau für mich«, meinte Melifaro galant, als ich ins A-Mobil gestiegen war.
»Ich bin der ideale Mann - sofern Lonely-Lokley und ich die Reise überleben«, sagte ich lächelnd und riskierte eine Frage, die ich in meiner normalen Erscheinungsform nie zu stellen gewagt hätte: »Wie geht es Lady Melamori?«
»Sie murmelt im Schlaf deinen Namen, falls es dich interessiert. Ansonsten hält sie Monologe über die Vorzüge des Singledaseins. Ich wüsste wirklich gern, was zwischen euch vorgefallen ist. Mag Lady Marilyn nicht ein wenig klatschen?«
»Vielleicht. Aber es ist nichts Spektakuläres passiert. Das Schicksal hat unsere Verbindung geknüpft und uns dann verboten, uns wiederzusehen - wir haben uns nämlich im Stadtteil Rendezvous getroffen.«
»Tja, so geht das manchmal«, seufzte Melifaro mitleidig und fügte hinzu: »Aber wenn du weiter ein echtes Mädchen bleibst, lässt meine Mutter mich endlich heiraten. Denk darüber nach - so was hab ich noch keiner Frau angeboten.«
»Vielen Dank, aber fürs Familienleben bin ich noch zu jung. Und jetzt lass uns fahren - du schuldest mir noch was.«
Drei Stunden später parkte eine satte, zufriedene und leicht berauschte Marilyn ihr A-Mobil vor dem Haus von Lady Melamori. Marilyns Frauenherz hatte mir diese Idee eingegeben, und ich leistete keinen Widerstand. Ohne zu überlegen, meldete ich mich per Stummer Rede bei Lady Melamori.