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»Nämlich?«

Ich kannte mich mit den Wundern dieser Welt noch nicht gut aus, doch die Kraft der hiesigen Alpträume hatte ich bereits am eigenen Leibe erfahren.

»Es war ganz einfach: Da alle den Verrückten Fischer suchten, musste ich ein anderer werden. Eine Metamorphose, wie wir zwei sie vor unserer Abreise durchgemacht haben, wäre zu wenig gewesen. Die toten Magister lassen sich nämlich nicht so leicht betrügen. Sir Juffin brachte mich an einen seltsamen Ort, gab mir ein paar Ratschläge und verschwand.«

»An was für einen Ort denn, Sir Schürf?«, fragte ich, und mein Herz hätte beinahe aufgehört zu schlagen.

»Keine Ahnung. Es ist unmöglich, sich an Dinge zu erinnern, die nicht wahrnehmbar sind.«

»Und welche Ratschläge hat er dir gegeben, Glama? Verzeih bitte meine Aufdringlichkeit, aber ich wüsste wirklich gern, was man einem Menschen in deiner Lage noch sagen konnte.«

»Nichts Besonderes. Er hat mir nur erklärt, wer ich bin und was ich tun sollte. Und er hat mir ein paar von den Atemübungen gezeigt, die ich dir beigebracht habe. Vergiss bitte nicht, dass ich damals über gewaltige Kräfte verfügte und imstande war, enorme Taten zu vollbringen. Juffin hat mir lediglich ideale Bedingungen dafür verschafft, meine Kräfte zu entwickeln. Ich weiß nur noch, dass ich mich dort einzig mit diesen Übungen beschäftigen konnte. Es war sogar unmöglich zu essen, zu schlafen oder zu denken. Zeit im herkömmlichen Sinn gab es dort auch nicht: Die Ewigkeit glich einem Moment - anders kann ich es nicht sagen. Ich habe nicht mal bemerkt, wann der "Verrückte Fischer starb. Der junge Mann, der ich mal war, war plötzlich einfach verschwunden, und an seine Stelle trat der Mensch, den du als Schürf Lonely-Lokley kennst. Ich stelle keine besonderen Ansprüche an meine neue Person. Sie soll mich nur nicht dabei stören, mich auf die wichtigen Dinge zu konzentrieren.«

»Unglaublich«, flüsterte ich. »Sündige Magister - wer hätte das gedacht!«

»Es klingt wirklich unfassbar«, stellte Sir Schürf ungerührt fest. »Eines Tages konnte ich den seltsamen Ort verlassen und nach Echo zurückkehren. Sir Juffin hatte viel Arbeit für mich: In der Endphase der Traurigen Zeit hatte ein Mensch mit meinen Händen übergenug zu tun. Irgendwann das Blut Großer Magister zu trinken, war längst kein Wunsch mehr, sondern Realität, doch das bereitete mir keine Gewissensbisse, da es meiner neuen Persönlichkeit egal war, ob ich tötete oder nicht. Verzeih, Marilyn, aber ich war nie ein guter Philosoph.«

Ich schwieg schockiert. Die vertraute Welt, in der ich mich schon so hübsch eingerichtet hatte, zerbrach vor meinen Augen. Wo war der unfehlbare, zuverlässige und unerschütterliche Sir Schürf geblieben? Und als was mochten sich meine übrigen Kollegen erweisen? Oder Sir Juffin Halli, der sich mir als zur Vernunft gekommener Freiwilliger aus Kettari präsentiert hatte? Was wusste ich über sie? Doch nur, dass sie nette Leute waren und es Spaß machte, mit ihnen Zeit zu verbringen. Welche Überraschungen mochten sie für mich noch in petto haben?

»Marilyn, meine Liebe, du solltest wieder mal die Atemübungen machen, die ich Sir Max beigebracht habe«, sagte mein Begleiter ruhig. »Man soll sich nicht über Sachen aufregen, die vor einer Ewigkeit passiert sind - und zwar nicht uns.«

»Da hast du vollkommen Recht, Glama«, pflichtete ich ihm brav bei und begann mit meiner Gymnastik. Nach zehn Minuten war ich wirklich total ruhig. Diese neue, fantastische Welt offenbarte mir allmählich ihre Geheimnisse, und das war die Hauptsache. Allerdings konnte ich froh sein, dass mir nicht alle meine Kollegen gleichzeitig ihr Schicksal gebeichtet hatten.

»Herr Abora Wala hat sich gerade per Stummer Rede bei mir gemeldet«, sagte Lonely-Lokley. »Die Karawane macht jetzt Mittagspause. Heute Morgen hast du dich großartig geschlagen, Marilyn - weiter so! Allerdings wollte ich schon lange sagen, dass Sir Max nach seinen Übungen beim Sprechen sehr laut atmet und nach Luft schnappt. Marilyn, du solltest intensiv an der Bekämpfung dieser Marotte arbeiten.«

»Das mach ich schon«, murmelte ich. »Aber klinge ich wirklich so furchtbar?«

»Es wird im Laufe der Zeit schon besser werden. Aber jetzt halten wir. Und damit wechseln wir auch das Gesprächsthema, einverstanden?«

»Sicher. Unser Karawanenführer hat übrigens ein gutes Zeitgefühl. Ich hab richtig Hunger.«

»Sir Wala hat kein Zeitgefühl. Er hält einfach nur vor den Restaurants, deren Wirte ihm für neue Gäste Provision zahlen.«

Ich lachte laut.

»Woher willst du das wissen, Glama?«

»Ich hab ihm beim Kennenlernen tief in die Augen geschaut.«

»Verstehe. Aber wie auch immer - diese Pause kommt genau zur richtigen Zeit. Ich hab einen Bärenhunger.«

»Na dann los«, meinte Lonely-Lokley und half mir ritterlich beim Aussteigen.

Das Mittagessen war so lala. Als künftiger Gourmet und Lieblingszögling von Sir Kofa Joch musste ich mich erst wieder an einfache Kost gewöhnen, und die Mitreisenden erwiesen sich als ausgesprochen banale, ja stinklangweilige Leute. Verwundert stellte ich fest, dass meine neue Heimat nicht vollkommen war. Aber ich glaube, in allen Welten können die Einheimischen ziemlich anstrengend sein. Von den Gesprächen mit so vielen schlichten Gemütern bekam ich Kopfschmerzen, aber zum Reisen gehören nun mal lausige Mahlzeiten und langweilige Unterhaltungen.

Nach dem Essen konnte ich Lonely-Lokley davon überzeugen, dass auch ich unser A-Mobil steuern durfte. Er hatte das eigentlich nicht riskieren wollen, weil sein gesunder Menschenverstand ihm nicht erlaubte, mir zu vertrauen, doch Lady Marilyn hatte ihn gar zu inständig darum gebeten!

Nach einer Stunde im Schneckentempo erntete ich ein Lob.

»Ich hätte nicht erwartet, dass du dich so gut beherrschen würdest», stellte mein strenger Begleiter beifällig fest.

Das war das unverhoffteste Kompliment, das ich je bekommen hatte.

»Warum staunst du eigentlich so sehr, Glama?«, fragte ich und zuckte die Luxusachseln von Lady Marilyn. »Wenn ich weiß, dass etwas verboten ist, kann ich mich daran halten.«

»Darum geht es nicht. Dieses A-Mobil fährt so schnell, wie sein Fahrer es wünscht, und unsere Wünsche entsprechen nicht immer dem, was erforderlich ist.«

»Im Ernst? Das ist ja ganz was Neues!«

»Wusstest du das etwa nicht?«, fragte Lonely-Lokley ehrlich erstaunt. »Ich dachte, du würdest deine kindische Geschwindigkeitssucht befriedigen wollen.«

»Na ja, ich dachte immer, ich wäre nicht so vorsichtig wie die anderen und könnte darum Höchstgeschwindigkeit fahren.«

»Genau das meinte ich, Marilyn, als ich dich nicht ans Steuer lassen wollte. Es gibt hier keine Höchstgeschwindigkeit. Alles passt sich den Wünschen des Fahrers an. Aber ich habe Ihre Selbstbeherrschung unterschätzt, Sir Max, und muss mich dafür wohl entschuldigen.«

»Unsinn, Glama. Ich wusste einfach nicht, wie es in dieser Gegend funktioniert.«

Ich seufzte und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Ziemlich viele seltsame Neuigkeiten für einen Tag!

»Hauptsache, du kannst dich beim Fahren beherrschen, Marilyn.«

Bis Sonnenuntergang fuhren wir schweigend weiter. Lonely-Lokley hatte offenbar sein Limit von dreihundert Worten pro Tag erschöpft, und ich fürchtete mich, weitere Fragen zu stellen. Eine Beichte täglich reichte mir völlig!

Die Nacht verbrachten wir in einem Motel. Der Karawanenführer ging in eine kleine Bar, in der Mau-Mau gespielt wurde, und brachte einige unserer Mitreisenden dazu, sich mit ihm zu messen.

»Auch das ist ein lohnendes Geschäft«, meinte Lonely-Lokley mit Blick auf unsere Karten spielenden Reisegefährten. »Dieser Wala übernachtet mit seiner Gruppe zweimal auf dem Hinweg nach Kettari und zweimal auf dem Rückweg, kassiert also viermal Provision. Ich glaube, unser Karawanenführer ist ein ziemlich reicher Mann.«

»Ob er obendrein noch ein Falschspieler ist?«

»Glaub ich nicht. Die Leute aus Kettari sind leidenschaftliche Spieler - das ist ihre Schwäche und zugleich ihre Stärke. Sie schrecken nicht davor zurück, die klügsten Einwohner von Echo beim Kartenspiel auszuplündern, aber ich denke nicht, dass sie dabei betrügerische Tricks anwenden. Und jetzt müssen wir ins Bett - der morgige Tag wird hart.«