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»Elf«, sagte Lonely-Lokley plötzlich.

»Elf?«

»Das sind elf Wacharibäume - zähl selbst nach.«

Tatsächlich! Dabei hatte Juffin von sieben Bäumen gesprochen.

»Vielleicht hat sich ihre Zahl im Laufe der Zeit geändert«, meinte Lonely-Lokley achselzuckend.

»Glama, hast du ein Auge für die Natur?«

»Eigentlich schon. Warum?«

»Findest du nicht, dass die Bäume gleich aussehen?«

»Doch, doch! Und sie müssen sehr alt sein, denn solche Knoten am Stamm bilden sich erst nach fünfhundert Jahren.«

»Donnerwetter!«, rief ich und pfiff respektvoll durch die Zähne. »Und sieh dir das Stadttor an: wie neu! Nirgendwo sind auch nur die kleinsten Trümmer zu sehen! Alles ist einfach, aber geschmackvoll. Herzlichen Glückwunsch, mein Freund - wir haben Kettari erreicht. Kaum zu glauben.«

Lonely-Lokley zuckte die Achseln. »Früher oder später musste es so kommen. Warum freust du dich eigentlich so?«

»Keine Ahnung«, meinte ich ehrlich und betrachtete begeistert die kleinen Reihenhäuser.

Ikebana-Freunde hätten angesichts der Blumensträuße in den Fenstern einen Schreck bekommen. Ich dagegen war entzückt. Die Mosaiken auf den Gehwegen schimmerten angenehm golden. Die Luft war sauber und erstaunlich kühl, obwohl die Sonne den ganzen Tag geschienen hatte. Aber ich fror nicht, sondern fühlte mich wie von innen gereinigt, und ein Rausch der Nüchternheit erfasste mich.

»Was ist los?«, fragte Lonely-Lokley.

»Lady Marilyn hat sich verliebt«, antwortete ich lächelnd. »Sie ist einfach verrückt nach Kettari - genau wie ich. Schau dir nur dieses kleine, dreistöckige Häuschen an, Glama. Eine Schlingpflanze hat sich so um den Wetterhahn gewunden, dass er sich nicht mehr drehen kann. Und spürst du die wunderbar kristallklare Luft? Merkst du den Unterschied zu der stickigen Atmosphäre in den Bergen? Wer hätte das erwartet?«

»Mir gefällt es hier nicht«, brummte Lonely-Lokley.

»Wirklich nicht?«, fragte ich erstaunt. »Glama, mein Guter, du bist einfach zu müde, um die Stadt genießen zu können. Du brauchst Erholung. Wenn du willst, kannst du mich jede Nacht im Traum begleiten. Das hat dir doch gefallen, oder?«

»Stimmt, das war wunderbar, Marilyn - dein Vorschlag ist sehr großzügig.«

»Nicht der Rede wert. Du musst dem Karawanenführer nun die zweite und letzte Rate zahlen, mein Lieber. Wir haben nämlich den Marktplatz erreicht. Was meinst du, wo wir übernachten können? Am besten, weit weg von unseren Mitreisenden. Sollen sie denken, was sie wollen - nach uns die Sintflut.«

»Oh, du kennst diesen Ausdruck? Woher denn?«

»Was ist daran so erstaunlich?«, fragte ich zurück.

»Diese Devise war in den Türsturz des Gebäudes gemeißelt, in dem der Orden der Wasserkrähe residierte.«

»Die Ordensmitglieder müssen lustige Leute gewesen sein. Bei dem Namen kann ich leider nicht an Zauberkraft glauben.«

»Du versetzt mich immer wieder in Erstaunen, Marilyn. Was gefällt dir an dem Namen eigentlich nicht?«

»Ach, lassen wir das. Du musst dich jetzt mit Herrn Abora unterhalten«, sagte ich, weil ich Lonely-Lokley nicht erklären wollte, warum ich den Namen Wasserkrähe so lustig fand. »Ich schlage vor, dass wir nicht im Hotel übernachten, wo sowieso nur Touristen schlafen, sondern eine Wohnung mieten. Außerdem ist es besser, wenn unsere Ermittlungen keine Zeugen haben.«

»Sehr vernünftig«, sagte Lonely-Lokley und nickte anerkennend. »Ich glaube weiter, dass unser Karawanenmeister ein geriebener Kerl ist und uns für die Wohnungssuche einige gute Tipps geben könnte.«

»Der kann mich mal - um unsere Unterkunft kümmere ich mich persönlich. Jetzt geh bezahlen, und dann fahren wir. Ich liebe diese Stadt und glaube, binnen einer Stunde etwas Passendes für uns zu finden.«

»Wie du meinst«, brummte Lonely-Lokley achselzuckend. »Ich bin offenbar nur zum Bezahlen da.«

»Deshalb trägst du doch auch Handschuhe. Sieh mal, da vorn schimmert etwas - ich glaube, das ist ein Fluss. Mein Lieber - ich habe immer davon geträumt, an einem Fluss zu wohnen.«

Lonely-Lokley stieg ungeduldig aus, bezahlte unseren Führer, kam zurück und musterte mich von Kopf bis Fuß mit dem wachen Blick eines guten Psychologen, doch ich zuckte nur gelassen die Achseln. Sir Schürf setzte sich wortlos ans Steuer, und wir bogen in eine von mir bestimmte Gasse. Nach kaum einer Minute gelangten wir an eine Uferpromenade, von der aus kleine, hübsche Brücken zu sehen waren, die einander nicht ähnelten, aber dennoch wunderbar zusammenpassten. Dazwischen flimmerte der dunkle Fluss.

»Warum gefällt dir das alles bloß nicht, du alter Nörgler?-, seufzte ich versonnen. »Schau dir nur mal die Brücken an! Sündige Magister - weißt du zufällig, wie der Fluss heißt?«

»Keine Ahnung«, antwortete Lonely-Lokley ungerührt und zuckte erneut die Achseln. »Sieh doch auf der Karte nach, Marilyn.«

»Wir müssen hier unbedingt eine Wohnung finden«, sagte ich gedankenverloren. »Wenn wir dann nach Hause zurückkehren, wird mein Herz einmal mehr brechen.«

»Einmal mehr?«, fragte Lonely-Lokley interessiert. »Marilyn, meine Liebe, entschuldige, aber Sir Max hat mir keinesfalls den Eindruck eines Menschen mit gebrochenem Herzen gemacht.«

Ich nickte belustigt. »Das ist eine meiner schlimmsten Eigenschaften. Je schlechter es mir geht, desto besser sehe ich aus. Schon mehrfach hatte ich Probleme, mir in höchster Not bei Bekannten Geld zu leihen, weil ich dabei so glücklich wirkte, als ob ich gerade im Lotto gewonnen hätte. Niemand wollte mir glauben, als ich sagte, ich würde nur noch von trocken Brot und ungesüßtem Tee leben.«

»Auch solche Zeiten hast du mitgemacht?«

Der Umgang mit mir bedeutete für Sir Schürf ein wahres Gesichtsmuskeltraining. Jetzt zeigte sich auf seiner eben noch ungerührten Miene ein unbeholfenes, aber klares Erstaunen.

»Na ja, bisweilen. Aber zum Glück hat sich das ja geändert.«

»Das erklärt einiges«, meinte Lonely-Lokley nickend. »Es ist übrigens angenehm, mit dir zu tun zu haben -auch wenn du verrückt bist.«

»Tolles Kompliment - vielen Dank.«

»Ein Kompliment ist das nicht, sondern eine Tatsache. Aber vielleicht verstehst du ja manches anders.«

Ich seufzte. Wer wollte jetzt über Wortbedeutungen streiten? Mir war inzwischen ohnehin klar, dass Lonely-Lokley mir nicht hatte schmeicheln wollen.

»Ich wollte dich nicht beleidigen«, meinte Sir Schürf jetzt freundlich. »Aber normale Menschen eignen sich für unsere Arbeit nicht. Im Orden galt das Motto: »Ein guter Zauberer hat vor niemandem Angst - außer vor Wahnsinnigen.« Das ist zwar überspitzt, doch ich glaube, sogar Sir Juffin richtet sich nach dieser Devise, wenn er neue Mitarbeiter rekrutiert.«

»Schon gut«, winkte ich ab. »Ich bleibe, wer ich bin -egal, wie du mich einschätzt. Aber jetzt halt bitte an, Glama. Ich möchte aussteigen, ein wenig auf der Uferpromenade spazieren und mich unterhalten. Mein Herz hat mir geflüstert, dass die Leute hier den Wunsch verspüren, zwei reiche Touristen aus der Hauptstadt zu beherbergen. Keine Panik - ich weiß, dass ich eine Frau bin und Marilyn heiße. Also werde ich auch mit einigen netten älteren Frauen ein paar Takte plaudern.«

»Tu, was du nicht lassen kannst, Marilyn«, meinte Schürf und zuckte schon wieder die Achseln. »Schließlich dürfen wir beide nicht vergessen, dass Sir Max mein Vorgesetzter ist.«

»Was du nicht sagst!«, rief ich und konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. »Warte hier - ich bin gleich wieder da.«

Begeistert betrat ich die Promenade aus Bernstein. Durch meine dünnen Sohlen spürte ich die angenehme Wärme des gelben Steins. Ich fühlte mich plötzlich so leicht und glücklich, als würde ich gleich davonfliegen. Kettari war wunderschön - wie in meinem Lieblingstraum. Und auch ich empfand mich eher als Traumgestalt, nicht als Mensch aus Fleisch und Blut.