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Ich trank rasch meine Kamra aus, steckte die geheimnisvollen Souvenirs ein und verließ den Imbiss. Aufmerksam las ich den Straßennamen Runde Gasse. Na bitte! Jetzt musste ich nur noch in meine Pläne schauen.

Diesmal hatte der neu erworbene Lederstadtplan Recht, denn er verzeichnete die Runde Gasse dort, wo sie war. Mein zuerst gekaufter Plan hingegen zeigte hier eine Siebenkräutergasse. Schöne Bescherung!

Offenbar bin ich dem Geheimnis schon auf der Spur, dachte ich niedergeschlagen und bedauerte sehr, wie rasch meine Urlaubsstimmung verflogen war. Und dieses Geheimnis sieht gar nicht gut aus, überlegte ich weiter. Sündige Magister! So ein kartografisches Chaos eignet sich für einen Tollpatsch wie mich ganz und gar nicht. So ein Rätsel ist was für Mister Sherlock Holmes. Doch der lebt nur in Büchern und kann alles - ich hingegen bin lebendig und dumm wie Brot. Bestimmt kennt sich selbst Lonely-Lokley mit solchen Stadtplänen besser aus als ich. Schürf aber hat zu stark am Joint gezogen und verprasst sein Geld in den Spelunken der Stadt. Allmächtiger Himmel - was treibst du mit mir?

Dem Himmel freilich war mein Gejammer egal. Nicht mal eine winzige Wolke erschien über den Trümmern meines Verstandes.

Ich sah auf, warf dem kaltherzigen Firmament einen bösen Blick zu und ging weiter.

Jetzt interessierte ich mich nur noch für Buchhandlungen und Antiquitätenläden. Überall kaufte ich Stadtpläne von Kettari und feilschte wie ein Löwe um den Preis. In meiner Not war ich zu allem fähig. Nur eins schaffte ich nicht: die Verkäufer davon zu überzeugen, mich dafür zu bezahlen, dass ich ihnen ihre Waren abnahm.

Bei Sonnenuntergang merkte ich, wie müde ich war. Ich sah mich um und stellte fest, dass ich vor einem Schild mit der Aufschrift Alt-Kettaii stand. Das Wirtshaus lag dort, wo die Hohe Straße und die Straße der Fischaugen sich trafen, und hatte darum zwei Eingänge. Die etwas weiter entfernte Tür schien der Haupteingang zu sein und war mit einer riesigen, ihren Schaumlöffel schwingenden Lady bemalt. Die Tür, vor der ich stand, gefiel mir sehr viel besser: Es handelte sich um eine normale Holztür, auf die die hiesige Traubensorte gezeichnet war. Forsch zog ich an der Klinke, doch die Tür blieb zu. Hoffentlich muss ich nicht zu der Menschenfresserin, dachte ich erschrocken und zog erneut.

Beim dritten Mal begriff ich, dass ich nicht ziehen, sondern drücken musste. Typisch: Ich kämpfe immer mit unbekannten wie bekannten Türen - eine Krankheit, die als unheilbar gilt.

Als ich mir endlich Eintritt verschafft hatte, kam ich in einen beinahe leeren Saal und nahm in einer Ecke Platz.

Von irgendwo hinter meinem Rücken erschien eine so fröhliche wie füllige Lady und überreichte mir ein dickes Buch. Ehrerbietig schüttelte ich den Kopf: So eine umfangreiche Speisekarte gibt es selbst in Echo eher selten.

»Bringen Sie mir bitte zunächst etwas Kamra«, bat ich.

»Ich glaube, ich brauche Zeit, um dieses dicke Buch zu studieren.«

»Sehr gern«, sagte die Kellnerin und lächelte freundlich. »Wünschen Sie noch etwas Stärkeres, Lady?«

»Wenn ich was Stärkeres trinke, schlafe ich sofort auf diesem bequemen Stuhl ein. Bringen Sie mir lieber was Erfrischendes.«

Mein Kachar-Balsam lag friedlich im Haus Nummer vierundzwanzig an der Alten Promenade, die ich nur auf sechs meiner elf Stadtpläne gefunden hatte. Diese Tatsache stimmte mich nicht gerade optimistisch.

»Ich empfehle Ihnen Kachar-Balsam«, sagte die sympathische Frau. »Seit dieses Getränk erlaubt ist, kaufen wir es in großen Mengen in der Hauptstadt. Kennen Sie die Eigenschaften dieses Balsams zufällig?«

»Allerdings«, antwortete ich mit Nachdruck.

Ich vermutete - um es mit Sir Juffin zu sagen -, in die hübscheste Imbissstube der Stadt geraten zu sein. Die dümmsten Bauern finden eben die dicksten Kartoffeln.

Die Frau verschwand, und ich studierte die Speisekarte. Nach einigen Minuten begriff ich, dass die Namen der Gerichte keine Informationen enthielten, sondern eine Art komplizierte abstrakte Poesie waren. Als die Kellnerin mit einem Gläschen Kachar-Balsam zurückkam, eröffnete ich ihr, ich wolle eine große Portion von etwas Leckerem, nicht notwendig Delikatem. Das Schmalz vom Vortag hatte mich vorsichtig gemacht.

In einem ausgiebigen Gespräch klärten wir, dass eine Portion Windküsse genau das Richtige für mich war, obwohl sie frühestens in einer halben Stunde fertig wären. Ich nickte entspannt. Es ist so leicht, mich glücklich zu machen!

Die Frau verschwand im aromatischen Küchendunkel, und ich trank Kachar-Balsam und fasste wieder Mut. Schon lange hatte ich Lust auf eine Zigarette. Ich musste nur herausfinden, ob ich mir erlauben konnte, hier eine zu rauchen.

Der Speisesaal war fast leer. Außer mir gab es nur einen Gast. Er saß am Fenster mit Aussicht auf einen Springbrunnen, dessen Wasser nicht gleich zu Boden fiel, sondern ein paar hübsche Spiralen drehte.

Das Gesicht des Unbekannten sah ich nicht, nur seinen Rücken, der über ein Spiel gebeugt war. Mit etwas Fantasie konnte man es für die hiesige Version von Schach halten: Die Figuren waren ähnlich, doch das Brett war dreieckig und dreifarbig.

Allem Anschein nach war der Mann so in seine intellektuellen Probleme vertieft, dass man in seiner Gegenwart nicht nur eine Zigarette aus einer anderen Welt rauchen, sondern auch einen Striptease machen konnte. Mit wegwerfender Handbewegung zündete ich mir eine Zigarette an. Wenn sich Lonely-Lokley in der berühmten Stadt Kettari vergnügen konnte, warum sollte ich es dann schlechter haben!?

Die Windküsse entpuppten sich als kleine Geflügelkoteletts. Nachdem ich mit ihnen fertig war, trank ich den wohltuenden Balsam leer und packte meine Trophäen aus. Erneut besah ich mir die elf Versionen von Kettari, die mir die Stadtpläne zeigten. Und welche Überraschung: Die Hohe Straße, die Straße der Fischaugen und das Wirtshaus Alt-Kettaii waren auf allen elf Karten eingetragen. Das erstaunte mich mehr als die vielen Unstimmigkeiten, die mir bisher aufgefallen waren.

Weil ich meinen Augen nicht traute, vertiefte ich mich erneut in die Beschriftung der Karten. Vielleicht war doch alles in Ordnung - nur die Fülle der Eindrücke hatte mich verwirrt? Aber nein: Die enormen Unterschiede, die ich gefunden hatte, existierten weiter.

Ich seufzte. Am besten sollte ich auf Lonely-Lokleys Rückkehr warten und ihm die Lösung des Problems zuschieben. Doch dazu musste ich es erstmal nach Hause schaffen. Und was würde ich tun, wenn sich die Alte Promenade nicht mehr an ihrem Platz befände?

»Quälen Sie sich nicht damit, Sir Max. Das ist ganz unwichtig. Übrigens haben Sie längst nicht alle unterschiedlichen Stadtpläne aufgetrieben.«

Ich war so überrascht, dass ich meine Kamra auf einen Satz austrank und mich dabei verschluckte. Der Schachspieler, dessen unauffällige Gegenwart ich bereits vergessen hatte, schaute mich so freundlich wie mitleidig an.

»An all dem sind nur die verflixten Brücken schuld«, sagte er so leichthin, als würde er von kleinen familiären Reibereien erzählen. »Ich kann sie einfach nicht in die richtige Reihenfolge bringen.«

Schweigend starrte ich den seltsamen Mann an. Hatte er wirklich »Sir Max« gesagt? Oder hatte ich mich nur verhört? Lady Marilyn war doch die echteste Illusion, das hübscheste Geschöpf von Sir Kofa Joch, unser aller Stolz!

Der Schachspieler lächelte schief unter dem roten Schnauzbart, stand auf und kam zu mir. Er hatte einen eigenartig federnden Gang und ein ebenso eigenartig unauffälliges Gesicht, das mir nicht bekannt vorkam. Seinen seltsamen Gang hingegen erkenne ich sicher noch in dreihundert Jahren wieder.

»Mein Name ist Machi Ainti«, sagte er sanft und setzte sich zu mir. »Ich bin der ehemalige Sheriff von Kettari. Wissen Sie jetzt, worum es sich handelt?«

Ich nickte schweigend. Das Herz schlug mir im Hals, und ich hätte die Stadt am liebsten mit Siebenmeilenstiefeln verlassen. Die Armlehnen knirschten unter dem Druck meiner geballten Finger.