Bald erreichte ich den Ort, an dem die Hohe Straße auf die Straße der Fischaugen trifft. Das Rauschen des Brunnens hatte ich schon eine Zeit lang gehört. Inzwischen wusste ich, dass ich die kleine Tür drücken, nicht ziehen musste. Das erleichterte mir das Eintreten sehr.
Sir Machi Ainti saß im vorderen Teil des Speisesaals über die hiesige Version von Schach gebeugt. Wie damals war er der einzige Gast.
»Herzlich willkommen, Kollege«, sagte er und wandte sich zu mir um. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie so schnell sind.«
»Sie meinen ...«, begann ich und sah ihn verwirrt an.
»Nun seien Sie doch nicht so schwer von Begriff! Ich wollte nur sagen, dass Sie die beiden Welten prima zusammengezimmert haben. Das hätte ich auch gern mit Ihrer Leichtigkeit tun mögen. Und Sie haben nicht mal gewusst, was Sie da vollbracht haben, und Ihre Leistung darum gar nicht wirklich genießen können, doch das ist ein anderes Problem.«
»Sie wollen also sagen«, begann ich seufzend, »dass es die Stadt aus meinen Träumen dort in den Bergen früher gar nicht gegeben hat? Habe ich sie etwa erst erschaffen?«
»Natürlich, Max. Aber jetzt setzen und erholen Sie sich. Sie kennen sicher ein paar wirksame Entspannungstechniken. Die sollten Sie nun anwenden. Gelica!«
Sofort tauchte die nette, lächelnde Kellnerin auf.
Ich setzte mich aber nicht zu Machi, sondern auf meinen alten Platz, und der Exsheriff siedelte zu mir über. Seine Miene bewies mir, dass ich alles richtig gemacht hatte.
»Gelica, meine Süße! Der Junge braucht, was er letztes Mal bekommen hat, und ich ... ich brauche diesmal leider nichts.«
Sie nickte und verschwand.
»Sir Machi, erklären Sie mir doch bitte, wie ich ...«
»Nichts erkläre ich Ihnen! Nicht, weil ich Ihnen böse wäre, sondern weil es in dieser Welt viele unerklärliche Dinge gibt. Ich kann Ihnen nur eins sagen: Von Anfang an habe ich mit so einem Wunder gerechnet. Deshalb habe ich Ihnen den Spaziergang vor der Stadt vorgeschlagen. Wie Sie sehen, hatte ich völlig Recht. Früher gab es rund um Kettari nichts, doch inzwischen ist in der Nachbarschaft eine nette Stadt entstanden, die mir sehr gefällt. Obendrein hat sie einen tollen Park. Und hör endlich auf, mich zu siezen, mein Freund. Das passt nicht zur Situation. Ah, da kommt deine Giftportion. Die hast du dir redlich verdient. Hättest du gedacht, dass du für die Schöpfung einer Stadt eine Tasse Kaffee bekommst?«
»Kaffee ist ein ausgezeichnetes Zahlungsmittel und reicht mir vollkommen. Aber ich wüsste viel lieber, wo Lady Marilyn geblieben ist«, meinte ich. »Das wenigstens kannst du mir doch verraten, oder? Sir Kofa hat in Echo lange intensiv gezaubert, und ich hätte mit meinem neuen Gesicht noch ein paar Dutzend Tage herumlaufen sollen.«
»Seltsame Geschichte«, meinte Sir Machi achselzuckend. -Ich hab noch nie etwas Ähnliches erlebt - Ehrenwort. Dein Gesicht hat dem Park sehr gefallen.«
»Wem?«
»Dem Park, du hast ganz richtig gehört. Weißt du - der von dir geschaffene Park ist keine normale Grünanlage. Ich muss mich mal richtig mit ihm befassen. Vielleicht begreife ich dann, worum es sich dabei wirklich handelt. Auf alle Fälle spaziert dein ehemaliges Erscheinungsbild jetzt durch den Park. Aber das ist harmlos. Lady Marilyn hat sich ihren netten Charakter bewahrt. Nimm das also nicht so ernst.«
»Oha, schon wieder ein Wunder«, stöhnte ich. »Mein Leben lang war ich überzeugt, jeder Schöpfer kenne seine Schöpfung.«
»Und jetzt merkst du, dass es nicht so sein muss. Erfahrung ist kein schlechter Weg, an zuverlässige Informationen zu gelangen - findest du nicht? Aber jetzt trink deine schwarze Brühe. Kalter Kaffee ist womöglich gefährlich.«
»Man muss sich an den Geschmack erst gewöhnen«, sagte ich lächelnd. »Als ich zum ersten Mal Kaffee probiert habe, musste ich ihn wieder ausspucken.«
»Das glaub ich sofort. Aber in der neuen, von deiner Zärtlichkeit und Einsamkeit erzeugten Stadt trinken alle dieses Zeug, oder?«
»Vermutlich. Was meinst du eigentlich mit meiner Zärtlichkeit und Einsamkeit?«
»Ich bin einfach gewöhnt, die Dinge beim Namen zu nennen. Irgendwann begreifst du sicher, welche Gefühle du hattest, als du die Umrisse dieser Stadt sahst, die erst zu existieren begann, als du dich mit ihr beschäftigtest.
Keine Sorge, Max - du wirst noch genug Zeit haben, dir über deine Fehltritte Gedanken zu machen. Hauptsache, alles wird gut. Für meinen Geschmack läuft es zu gut, aber mich fragt ja keiner. Nicht mal loben kann ich dich: Jeder tut, was er kann - ob er will oder nicht. Möchtest du noch was wissen, Max?«
Alle Fragen, die ich vorbereitet hatte, waren plötzlich aus meinem armen Kopf verschwunden. Zu den Magistern mit ihnen! Ich rauchte genüsslich und sah meinen Gesprächspartner neugierig an.
»Kannst du mir eigentlich erklären, warum du ... na ja, warum Lonely-Lokley und ich mit dir Zusammenarbeiten sollen? Ich meine - warum müssen überhaupt neue Welten erzeugt werden? Es gibt doch schon Welten genug.«
»Hab ich dir noch nicht gesagt, dass ich das schreckliche Wort -warum* nicht ertragen kann? Versuch mal, es seltener zu benutzen und bei Gesprächen mit mir einfach zu vergessen. »Warum* ist ein unpassendes Wort, wenn man sich über die Schöpfung neuer Welten unterhält. Alles Interessante entsteht ohne Kausalzusammenhang.«
Machi zuckte verärgert die Achseln und zündete sich eine Pfeife an. Dann lächelte er in sich hinein und fuhr fort, und seine Stimme klang schon wieder weich.
»Es gibt viel mehr bewohnte und unbewohnte Welten, als du dir vorstellen kannst. Außerdem ergibt sich womöglich etwas aus dem, was bisher geschehen ist. Das ist ein guter Grund für unsere Zusammenarbeit. Reicht dir das?«
»Ehrlich gesagt nein.«
»Dann frag doch Juffin Halli. Er hat nie einen Widerwillen gegen das Wort -warum* gehabt. Im Gegenteiclass="underline" Er wollte immer die Gründe des eigenen Handelns und des Handelns anderer kennen. Außerdem kannst du dich mit ihm viel leichter verständigen - schließlich seid ihr gleich alt.«
»Was?!«
»Im Vergleich zu mir natürlich. Ich weiß selbst nicht, wie lange ich mich schon in den verschiedensten Welten herumtreibe. Vielleicht habe ich mich nur verlaufen und mich entschieden, in dieser Welt zu bleiben. Aber sicher bin ich mir nicht.«
Erstaunt schüttelte ich den Kopf. »Ich hab immer davon geträumt, ewig zu leben. Ich dachte, andere würden sterben, ich aber würde durchhalten. Du gibst mir neue Hoffnung.«
»Hoffnungen sind trügerisch«, meinte Sir Machi kopfschüttelnd. »Ich kann dir nur raten: Vergiss sie. Aber nun lass uns nicht mehr über so ernsthafte Dinge reden. Ich möchte noch was anderes mit dir besprechen. Meines Wissens weiß dein Begleiter so gut wie nichts von dem, was du hier erlebt hast.«
»Genau! Danach wollte ich auch fragen! Der arme Lonely-Lokley hat die Stadt vor Angst nicht verlassen können, und als ich ihm von meiner Traumstadt in den Bergen erzählte, ging es ihm erneut sehr schlecht. Dabei hat er die Stadt selbst schon mal im Traum gesehen. Warum soll ich das alles vor Schürf verbergen, obwohl er absolut verschwiegen ist?«
»Solche Fragen solltest du mir lieber nicht stellen«, lächelte Machi. »Neu geschaffene Welten sind immer kapriziös, und diese hier will Lonely-Lokley offenbar nicht näher heranlassen. Ich habe keine Ahnung, warum, und wüsste es selbst gern. Wenn ihr wieder zu Hause seid,
kann sich dein Freund diese Geschichte vielleicht problemlos anhören. Aber ich hab eine Bitte an ihn, obwohl ich ihn leider nicht in dieses Lokal einladen kann.«
»Eine Bitte?«, fragte ich. »An Lonely-Lokley?«
»Warum wundert dich das?«
»Weil ich dachte, es gäbe nichts, was du nicht vermagst.«
»Ehrlich gesagt geht es hier ums Wollen, nicht ums Können. Ich bin ziemlich faul, musst du wissen. Außerdem ist diese Sache für deinen Freund interessant. Und hinsichtlich der Launen der neuen Stadt ... Wenn diese Welt Leute lieb gewinnt, dann nur verkommene Gestalten. Vor kurzem ist hier jemand aufgetaucht, der mir gar nicht gefällt. Für die Bevölkerung ist er keine Gefahr, aber mir ist seine Anwesenheit höchst unangenehm.«