»Du hast nicht verstanden, Max«, sagte Lonely-Lokley sanft und unterbrach meine schuldbewusste Tirade. »Ich habe keine Angst vor einem Treffen - offen gesagt kann ich mein Glück gar nicht fassen!«
»Glück? fetzt versteh ich gar nichts mehr.«
»Das ist doch ein seltener Glücksfall! Ich muss Kiba Azach nun nicht mehr schutzlos im Schlaf treffen, sondern kann ihm wach entgegentreten und tatsächlich mit ihm kämpfen. Ich glaube, jetzt verstehst du mich besser.«
»Wenn ich deinen Gesichtsausdruck so sehe, durchaus«, meinte ich verwirrt.
»Ich muss einfach die Lage durchdenken und herausfinden, wie ich am besten vorgehe. Weißt du, Max, man bekommt nicht jeden Tag so eine Chance, sich von einer Bürde zu befreien. Und ich darf keinen Fehler machen, muss aber rasch handeln.«
»Wir müssen rasch handeln«, korrigierte ich ihn barsch. »Ich bin zwar ein schlechter Kämpfer und auch kein allzu guter Zauberer, aber beim Kartenspiel sieht es anders aus - oder wenn ich jemanden anspucken soll. Außerdem bin ich neugierig. Du glaubst doch wohl nicht, dass mir die kurze Zusammenfassung deines Kampfes gereicht hat? Nimm es mir bitte nicht krumm, Schürf, aber dein lakonischer Stil ist mitunter reichlich unangemessen. Und noch was: In Kettari habe ich wirklich viel Glück. Nimm mich also als Amulett mit.«
»Gut«, meinte Lonely-Lokley ungerührt. »Vielleicht ist dein Glück nützlicher als mein Wissen. Außerdem muss ich ohnehin tun, was du mir befiehlst.«
»Sündige Magister - das hatte ich ja ganz vergessen!«, rief ich und lachte erleichtert. »Befehl Nummer eins: Verhalte dich so, als hättest du nichts bemerkt.«
Lonely-Lokley sah mich erstaunt an, und ich zog die vorletzte Zigarette aus der Tasche. Sir Maba Kaloch hätte mit Kippen wirklich großzügiger sein können, dachte ich. Schließlich hab ich keine Zeit, angelnd überm Kissen zu hocken, sondern muss neue Welten erschaffen oder Karten spielen. Ich lächelte in mich hinein und zündete mir die Zigarette an.
»Findest du nicht, dass du zu viel rauchst?«, fragte Lonely-Lokley streng.
»Nein«, antwortete ich aufrichtig. »Später erkläre ich dir, warum, falls du es dann noch wissen willst. Du sollst meine Befehle erfüllen. Immerhin bin ich dein Vorgesetzter. Übrigens kommt jetzt Befehl Nummer zwei: Vergiss den ganzen Quatsch hinsichtlich meiner Weisungsgewalt so schnell wie möglich. Ich kann dir ohnehin nichts Vernünftiges sagen. Und iss schneller, Schürf, damit wir aufbrechen können. Wie sollen wir dem toten Magister eigentlich auf die Spur treten?«
»Manchmal sagst du merkwürdige Dinge, Max«, meinte Lonely-Lokley. »Wie willst du denn einem Toten auf die Spur treten?«
»Ich? Ich hab gar nicht vor, irgendwem auf die Spur zu treten. Das ist doch nicht meine Spezialität. Bin ich Lady Melamori?«
»Du irrst dich schon wieder: Du würdest es leicht schaffen - du müsstest es nur probieren. Aber darüber sollten wir uns eigentlich nicht unterhalten.«
»Wirklich?«, fragte ich erstaunt. »Ich hätte nie gedacht, dass ich so was kann. Aber wenn du dieser Meinung bist, kannst du mir ja irgendwann zeigen, wie es geht.«
»Sir Juffin hat davon abgeraten«, gab Schürf verlegen zurück. »Er fürchtet, dieses Wissen könnte bei dir Folgeschäden verursachen. Ich kann das also nicht entscheiden. Frag ihn bitte selbst, wenn wir wieder in Echo sind.«
Ich seufzte. Anscheinend wussten alle in dieser verrückten Welt von verborgenen Fähigkeiten meiner Person - außer mir natürlich.
»Zu den Magistern mit dir, Schürf. Und mit allen anderen. Und jetzt wieder zur Sache. Wie sollen wir den netten Mann jetzt suchen? Sollen wir vielleicht die Witterung seines Leichnams auf nehmen?«
»Red kein Blech«, meinte Lonely-Lokley kühl. »Wir gehen nach Hause.«
»Warum das denn?«
»Ich brauche meine Handschuhe.«
»Ach ja. Siehst du, wie blöd ich bin? Und du wolltest meine Befehle erfüllen!«, meinte ich lächelnd. »Und dann?«
»Dann ist alles sehr einfach«, antwortete Lonely-Lokley gedankenverloren. »Oder sogar mehr als einfach. Aber wie ich sehe, hast du schon wieder nichts verstanden. Ich brauche erst mal den linken Handschuh, aber nicht zum Spaß. Er wird seinem ehemaligen Besitzer nie etwas Böses tun, eher mir. Aber diesen Mann zu finden, ist jetzt wirklich leicht.«
»Was?«, rief ich unruhig. »Du willst doch wohl nicht ohne Handschuhe gegen den Mann kämpfen?«
»Warten wir's ab«, meinte Lonely-Lokley achselzuckend. »Ich hoffe, du denkst nicht, dass ich ohne Handschuhe gar nichts kann.«
»Aber nein, doch es wäre besser, wenn sie auf unserer Seite wären, oder?«
»Natürlich«, gab Schürf gleichmütig zurück. »Jetzt lass uns gehen, Max. Ich brauche etwas Zeit, um mich vorzubereiten, und würde Kiba gern vor Mondaufgang treffen.«
»Stärkt der Mond denn solche Wesen?«, fragte ich beim Aufstehen erschrocken.
»Das nicht, aber wenn Kiba Azach und sein Helfer mich im Traum besucht haben, schien stets der Mond. Dieser Anblick hat mir gar nicht gefallen.«
»Verstehe«, sagte ich und nickte. »Ehrenwort.«
»Daran habe ich keinen Zweifel. Wer, wenn nicht du, könnte solche Dinge verstehen?«
Zu Hause ging Lonely-Lokley gleich ins Schlafzimmer. Auf der Treppe wandte er sich überraschend zu mir um. »Komm bitte nicht nach oben, solange ich dort bin, Max. Es gibt Dinge, die man lieber ohne Zeugen tut.«
»Ich hab Besseres zu tun, als auf der Treppe rumzuhüpfen. Ich muss mich auf den Kampf vorbereiten und rechne damit, heute Abend viel Stress zu haben - also brauche ich Zigaretten, und um die muss ich mich kümmern. Vielleicht finde ich auch etwas Interessantes für dich«, setzte ich hinzu. Den letzten Satz rief ich aber schon durch die geschlossene Tür.
»Schrecklich«, brummte ich und setzte mich zu meinem geliebten Kissen, das dank Sir Maba seit langem »Stöpsel zwischen den Welten« war, wie der Exzentriker zu sagen pflegte.
Entschlossen schob ich die Hand unters Kissen, war darauf eingestellt, lange zu warten, hatte aber gleich etwas zwischen den Fingern. Erstaunt zog ich meinen Fang ans Tageslicht: eine Tüte Schokobonbons. Das war zwar sehr nett, aber was war mit mir los?
Ich zuckte die Achseln und schob die Hand erneut unters Kissen. Das Tempo, mit dem sie in einer anderen Dimension landete, überraschte mich. Nach einer halben Stunde war ich stolzer Besitzer von Gebäck, einem Schlüsselbund, vier Silberlöffeln und ein paar Havanna-Zigarren, die ich nie zu rauchen gelernt hatte. Gute Zigarren kosten ein Vermögen, und erst in Echo verdiene ich gut genug dafür.
Ratlos musterte ich meine Schätze. Was war bloß mit mir los? Früher war es mir immer gelungen, an Zigaretten zu kommen, und das hatte mir vollauf gereicht. Ohne zu überlegen, meldete ich mich per Stummer Rede bei Maba Kaloch.
»Was soll das, Sir Maba? Sie haben mir beigebracht, an Kippen zu kommen - nicht an alles Mögliche.«
»Du hast dein Wissen nun mal erweitert, Max. Jetzt kannst du mehr als vorher - das ist doch wohl nicht schlimm?«
»Toll«, meinte ich traurig, »aber der hiesige Tabak schmeckt erbärmlich.«
»Ansichtssache. Mir zum Beispiel schmeckt er durchaus. Na schön, ich geb dir einen kleinen Tipp: Lass das Kissen in Ruhe und versuche es mit anderen Gegenständen. Hauptsache, du siehst nicht, was mit deiner Hand passiert, denn das würde dich ablenken. Soweit ich weiß, hast du gerade etwas Zeit. Da heißt es üben, üben, üben. Und melde dich nicht wegen jeder Kleinigkeit bei mir, ja?«
Damit verschwand seine Stimme aus meinem Bewusstsein. Langsam wurde mir klar, wie leicht und problemlos ich mich per Stummer Rede bei Sir Maba, der allem Anschein nach in Echo saß, hatte melden können. Vielleicht klappte es dann ja auch bei Juffin?
Nach dem ersten Versuch aber war mir klar, dass ich es lassen konnte. Es herrschte die gleiche Totenstille wie beim letzten Mal. Um mein Gewissen zu beruhigen, bemühte ich mich erneut - wieder vergeblich.
»Hoffentlich bedeutet das nicht, dass auch Sir Maba zurzeit in Kettari ist. Die Stadt scheint im Moment wirklich angesagt zu sein«, seufzte ich meinem Spiegelbild zu.