Ich seufzte bitter, raffte mich dann aber auf und begann mit der Arbeit. Per Stummer Rede meldete ich mich bei Melifaro, Sir Kofa und Lady Melamori und bestellte alle drei umgehend ein. Sie waren darüber sehr aufgebracht, doch ich konnte ihnen per Stummer Rede nicht alles im Detail erklären. Deshalb rief ich nur »Ende« und wandte mich anderen Dingen zu.
Es hatte keinen Sinn, auch Lukfi zu rufen, da die Buriwuche aus dem Großen Archiv vor dem Mittagessen den Schnabel nicht öffnen würden. Sie hatten ihren eigenen Rhythmus. Nur unser Kurusch war kooperativer.
Als Erste erschien Lady Melamori. Anscheinend hatte ich ihr einen probaten Grund geliefert, sich ihren familiären Verpflichtungen ein paar Stunden früher zu entziehen als geplant. Auf alle Fälle war sie nicht sauer.
»Du siehst fantastisch aus!«, rief ich, denn ich konnte nicht umhin, ihr zu schmeicheln. »Hast du gut geschlafen?«, fragte ich und füllte galant ihre Kamratasse.
»Ist was passiert? Oder haben Sie ... hast du Sehnsucht nach mir bekommen?«, wollte Melamori wissen und lächelte.
»Natürlich hatte ich Sehnsucht nach dir, aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich dich so früh geweckt habe. Ich bin kein solcher Unmensch, wie es immer heißt. Ein paar Dutzend Ältere und Jüngere fertigzumachen, ist eine Sache, eine Lady hingegen nicht schlafen zu lassen, ist etwas ganz anderes. Verstehst du, Unvergessliche?«
»Also, Max, was ist passiert?«
»Es ist eine seltsame Leiche aufgetaucht. Am besten schaust du sie dir selbst an und beschnupperst sie auch gleich. Das ist kein Witz: Du sollst ihre Witterung aufnehmen. Komm bitte danach wieder her. Hier wird es für dich noch eine Tasse Kamra und eine Aufgabe geben.«
Gehorsam ging Lady Melamori in die Leichenhalle, und als sie zurückkam, war ihr hübsches Gesicht sehr besorgt.
»Kommt dir der Duft bekannt vor?«
»Irgendwie schon, aber ich weiß nicht, woher.«
»Mir geht es genauso. Quäl dich also nicht. Hier ist deine Kamra. Wenn sie leer ist, gehst du in die Trunkene Flasche.«
»Was soll ich denn da? Mich ins Koma trinken?«
»Wenn du unbedingt willst. Zwischen dem siebten und achten Glas Dschubatinischer Säufer aber solltest du ins Schlafzimmer der Wirtsleute gehen, um nachzusehen, ob sich dort ein Fremder aufgehalten hat - außer mir natürlich.«
»Dann ist der Mann in der Leichenhalle also Karwen? Seine Frau kenne ich ein wenig. Sündige Magister - was für ein Geschenk zum letzten Tag des Jahres!«
»Zum Neujahrstag, Melamori! Sei optimistisch! In der Gegend, aus der ich stamme, gibt es einen Aberglauben: Wie du den ersten Tag des neuen Jahres verbringst, wirst du das ganze Jahr verbringen. Kannst du dir das vorstellen?«
»Ist das Ihr ... dein Ernst, Max?«, fragte Melamori und sah mich beinahe ängstlich an. »Kann man nichts dagegen tun?«
»In meiner Heimat nicht. Aber in Echo hat der dumme Aberglaube der Leeren Länder ja keine Gültigkeit. Also marsch, marsch in die Trunkene Flasche'.«
»Ich geh ja schon. Unter uns gesagt: Du bist ein schlimmerer Tyrann als Juffin.«
»Das will ich hoffen. Aber jetzt haben wir lange genug geplaudert. Ich fürchte, ich muss durch alle Wirtshäuser von Echo ziehen, um herauszufinden, woher der Geruch stammt. Und weil er dir auch bekannt vorkommt, befehle ich dir, mir dabei Gesellschaft zu leisten.«
»Du befiehlst mir also, dich überallhin zu begleiten?«, fragte Melamori und begann zu lachen.
»Natürlich«, sagte ich lächelnd. »Ich nutze meine dienstliche Position skrupellos aus. Davon hab ich schon das ganze Leben lang geträumt, und jetzt bin ich an der Macht. Du kannst dich also nicht mehr drücken.«
»Das hatte ich auch nicht vor«, erklärte Melamori und schaute mich so begeistert an, als hätte ich plötzlich rote Haare bekommen. Dann zog sie los, um ihre Aufgabe zu erfüllen.
Sir Kofa Joch betrat genau zwei Sekunden vor Melifaro mein Büro. Beide konnten meinen Lagebericht gar nicht erwarten, denn die forsche Art, mit der ich sie per Stummer Rede einbestellt hatte, hatte sie zweifeln lassen, ob in meinem Kopf noch alles in Ordnung war. Die Neuigkeit allerdings, die ich ihnen mitzuteilen hatte, erschütterte sie gleichermaßen. Seit Beginn der Epoche des Gesetzbuchs war dies der erste schwerwiegende Zwischenfall in der letzten Nacht des Jahres. Das jedenfalls behauptete Sir Kofa Joch, und seine Worte galten einiges.
Als die beiden kamen, war ich schon ein wenig müde. Deshalb erläuterte ich meinen Plan nur ganz knapp und gab meine Befehle so kurz und bündig, als hätte ich mein Leben lang nichts anderes getan.
»Ich glaube nicht, dass der arme Karwen sich mit krummen Geschäften abgegeben hat«, sagte Sir Kofa und zupfte dabei an seinem Mantelsaum. »Aber Sie haben Recht, Sir Max. Man muss zuerst genau untersuchen, was er in der letzten Zeit getrieben hat. Manchmal tun die Leute so seltsame Dinge, dass man nur staunen kann.«
»Besonders am Jahresende, ich weiß«, sagte ich lächelnd.
»Eben. Ich komme im Morgengrauen wieder. Falls ich bis dahin etwas Interessantes herausfinde, melde ich mich sofort per Stummer Rede bei Ihnen.«
Kofa fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, und gleich veränderten sich seine Züge. Dann zog er seinen Lochimantel auf links und besaß nun ein bescheidenes zimtfarbenes Cape. Damit war unser Meister des Verhörs dienstbereit.
»Was soll ich tun, mein schreckliches Kind der Nacht?«, rief Melifaro und sprang vom Sessel auf.
»Schau dich im Haus an der Brücke um und geh dann in die Leichenhalle, um dir meine Beute anzusehen. Du kannst auch frühstücken, wenn dir danach ist. Dann warte auf Lady Melamori und lass dir von ihr erzählen, was sie herausgefunden hat. Allerdings bin ich sicher, dass kein Fremder im Schlafzimmer gewesen ist. Geh auch zu General Bubuta rüber - vielleicht weiß jemand von der Stadtpolizei etwas Näheres. Es müsste ja mit dem Teufel zugehen, wenn wir keine Spur finden würden. Und versuch jedem, den du triffst, die Laune zu verderben.«
»Wer ist eigentlich dieser Teufel, von dem du da eben geredet hast?«
»Ach, ein Zwischenstadium zwischen Vampir und rebellischem Magister.«
»Jemand wie du also?«
»Ich hab dir das Leben gerettet! Ich hab dich vor der Horde deiner Verwandten geschützt und bei mir aufgenommen!«, rief ich in gespieltem Zorn. »Und du? Was tust du? Statt meine Treppe zu putzen oder mich wenigstens zum Mittagessen einzuladen?«
»Ich bin ein Schwein«, gab Melifaro betrübt zu. »Aber ich lade dich heute ein. Dienst ist zwar Dienst, aber ganz ohne Schnaps geht's auch nicht.«
»Es ist immer ein Vergnügen, kluge Gedanken zu hören. Aber eins ist klar: Ich betrete kein Lokal, das schlechter ist als der Bucklige Itulo.«
»Ich hatte auch nicht vermutet, billiger davonzukommen. Sir Großer Retter - erlauben Sie, dass ich gehe, um zunächst Ihre Anweisungen auszuführen?«
»Mit dem größten Vergnügen. Aber wecken Sie mich in zwei Stunden. Dann treffe ich mich nämlich mit einer hübschen Lady.«
»Könnte ich dich da nicht vertreten?«, fragte Melifaro begeistert.
»Ach, das schaff ich schon noch. Du bist nicht der ideale Ansprechpartner für verzweifelte Witwen. Außerdem hast du zur selben Zeit ein Treffen mit dem hübschen Sir Lukfi. Schon vergessen? Und jetzt lass mich bitte schlafen.«
»Hier und jetzt?«
»Wo und wann sonst? Wenn ich jetzt nach Hause gehe, bekommen mich keine zehn Pferde mehr aus dem Bett.«
»Stimmt - dein Bett zu verlassen, ist wirklich schwer«, stellte Melifaro kennerisch fest. »Hast du deine Laken verzaubert? Was wäre eigentlich, wenn Juffin in deinem Büro arbeiten wollte, während du schläfst?«
»Das würde mich gar nicht stören«, stellte ich großspurig fest und rückte alle Polsterstühle zu einer Liege zusammen.