»Zu den Magistern mit dir, Max - Tote haben keine Träume.«
»Umso besser. Dann bin ich also am Leben, und dein toter Freund Kiba hat mich nur für tot gehalten.«
»Tote Magister sagen selten etwas Vernünftiges«, gab Schürf ungerührt zurück. »Meines Wissens sind sie total verwirrt.«
»Das kommt mir bekannt vor«, meinte ich und beschleunigte so sehr, dass wir uns nicht mehr unterhalten konnten.
Als wir Echo erreichten, ging die Sonne auf, um zu sehen, was die Leute in ihrer Abwesenheit angestellt hatten. Ich winkte ihr fröhlich und bog in die Straße der nördlichen Trophäen ein. Ein hübscher Name, der mir ganz neu war.
Ich musste mein Tempo etwas reduzieren. Das fiel mir leicht, denn ich brauchte mich nicht mehr zu beeilen, und Echo erschien mir im Morgenlicht als die hübscheste Stadt der Welt. Dieser Welt. Gut möglich, dass es in anderen Welten einige ernsthafte Konkurrenten gab.
»Du hast dich verfahren«, meinte Lonely-Lokley. »Du kennst dich in diesem Teil der Stadt nicht besonders aus, oder?«
Das konnte ich nur bestätigen, und Schürf dirigierte mich. Nach einiger Zeit stellte ich fest, dass wir auf der Straße der Kupfermünzen waren und zum Haus an der Brücke fuhren.
»Endlich daheim!«, rief ich begeistert.
»Stimmt«, stellte Schürf nüchtern fest. »Ich würde jetzt gern nach Hause gehen, fürchte aber, dass meine Frau noch schläft. Und weil ich das fremde Gesicht von Glama Eralga habe, dürfte sie über meine Ankunft nicht gerade erfreut sein.«
»Vielleicht hat Sir Kofa Dienst und kann dir helfen.«
Kaum hielt ich vor dem Geheimeingang zum Haus an der Brücke, fiel das A-Mobil auseinander.
»Spring raus!«, rief Lonely-Lokley.
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Wie es mir allerdings gelungen ist, noch meine Tasche mit der Stange Zigaretten zu schnappen, bleibt mir ein Rätsel.
Als ich mich umdrehte, sah ich Schürf unser Gepäck unter Metallteilen hervorziehen.
»Hilf mir doch - was guckst du denn so? Du bist wirklich ein guter Rennfahrer, Max. Einen Piloten wie dich hab ich noch nie erlebt.«
»Stimmt, der Junge ist begabt. Leider übertreibt er mitunter«, hörte ich hinter meinem Rücken die bekannte Stimme von Sir Juffin. »Aber meistens kommt er damit durch.«
»Ach, Juffin, Sie glauben gar nicht, wie lange ich auf dieses Treffen gewartet habe«, sagte ich mit der Stimme von Sir Machi Ainti und begann zu lachen.
»Ach, Machi, auch wenn Sie es nicht glauben: Ich habe einfach keine Kraft, mich mit Ihnen zu unterhalten«, antwortete Juffin belustigt. »Max, probier es noch mal.«
Daraufhin begrüßte ich ihn ohne Arabesken.
»So gefällst du mir besser«, meinte er. »Willkommen, Schürf. Der Junge hat das A-Mobil ruiniert, wie ich prophezeit hatte. Aber zum Glück gehört der Wagen dem Staat.«
»Ja, er ist ein wilder Fahrer«, meinte Schürf geistesabwesend und zog mit trauriger Miene seinen teuren Teppich aus dem A-Mobil-Wrack. »Max, kannst du mir jetzt endlich helfen?«
Ich nahm schnell die Taschen und überließ meinem Freund die Teppiche. Dann gingen wir in Juffins Arbeitszimmer, um Kamra zu trinken und zu plaudern. Das war für mich so verlockend, dass mir das Wasser im Munde zusammenlief.
Ich redete fast eine Stunde ununterbrochen. Unterdessen gab Juffin mit einer Handbewegung Schürf sein Gesicht zurück.
»Ich brauche die Illusion ja nur zu beseitigen und muss keine neue schaffen - warum sollen wir dafür auf Sir Kofa warten?«
Ich hatte fast vergessen, wie Schürf aussah, und erschrak ein wenig, als ich sein eigentliches Gesicht erblickte.
»Das war's«, meinte Lonely-Lokley, als ich endlich aufhörte zu reden. Dann stand er auf. »Ich fahre jetzt nach Hause, wenn ihr nichts dagegen habt.«
»Mach das«, sagte Juffin nickend und sah uns so zufrieden an, dass sich in seinem Büro eine seltene Idylle ausbreitete.
Ich blieb mit Juffin allein.
»Wo ist eigentlich der neugierige Melifaro?«, fragte ich. »Und wo sind die anderen?«
»Ich hab allen befohlen, uns in Ruhe zu lassen. Du wirst noch viel Zeit haben, dich mit ihnen zu unterhalten, und ich wollte nicht, dass außer mir noch jemand deinen Bericht aus Kettari hört. Er ist streng geheim, Max, und muss absolut vertraulich bleiben. Mein Leben lang hab ich von Machi Seltsames erwartet, aber auf so was wäre ich nie gekommen«, sagte mein Chef und wirkte nachdenklich wie selten. »Und ich verstehe noch immer nicht alles. Im Falle von Machi ist das aber völlig normal - er kann einfach nicht anders. Zeig mir doch bitte mal deine Stadtpläne.«
»Wenn Sie wollen, schenke ich sie Ihnen, Juffin. Auch wenn ich weiß, dass Sie nicht sentimental sind.«
»Behalte sie lieber. Womöglich brauchst du sie mal. Offenbar rechnet Machi irgendwann mit deinem Besuch. Auf jeden Fall solltest du dabei auf der Hut sein. Ein Weltenwechsel, wie du ihn erlebt hast, gehört zu den gefährlichsten Dingen, die du bisher in Echo durchgemacht hast.«
»Mir hat er aber gefallen«, antwortete ich verträumt. »Warum ist er eigentlich so gefährlich?«
»Weil all diese Dinge zu hastig auf dich einprasseln. Außerdem führst du immer wieder ganz naiv vor, was du alles kannst. Machi ist ein Schlauberger, aber er kann dir nicht immer helfen. Außerdem überlässt er die Menschen mitunter gern ihrem Schicksal - passiere, was da wolle. Weißt du, in allen Welten gibt es Jäger, die auf der Suche nach Leuten wie dir sind. Und im Vergleich mit ihnen ist einer wie Kiba Azach nur ein süßer Traum. Aber jetzt kann ich dich endlich loben. Du hast nicht nur meine, sondern auch deine Erwartungen übertroffen.«
»Kann sein«, meinte ich achselzuckend. »Aber im Moment ist mir alles egal. Wahrscheinlich bin ich einfach nur müde.«
»Stimmt, Max, du solltest dich erholen. Und wo könntest du das besser als hier? Jeden Abend ab acht.«
»Sie haben schon wieder Recht«, seufzte ich und lächelte ergeben. »Am besten fange ich schon heute damit an. Ich muss nur zu Hause ein paar Stündchen schlafen.«
»Nein, trink lieber etwas von deinem Lieblingsbalsam und bleib bis zum Abend hier. Außerdem übernachtest du heute sowieso bei mir, weil ich unbedingt verstehen muss, was dir in Kettari genau widerfahren ist. Während du schläfst, werde ich meine Neugier stillen.«
»Schön - machen wir's wie nach meiner Ankunft in Echo! Dann werde ich ja auch Chuf Wiedersehen.«
»Er wird dich von Kopf bis Fuß ablecken«, seufzte Juffin mitleidig. »Und jetzt schweig ein wenig und iss was. Derweil sehe ich mir die Stadtpläne von Kettari an.«
Nach einer guten halben Stunde meinte Juffin: »Jetzt ist mir klar, warum Machi mich nicht nach Kettari lässt. Ich weiß noch ganz gut, wie es damals dort aussah, und wenn die Erinnerungen zweier Zauberer einander widersprechen, droht die Welt sich aufzulösen.«
»Dann hat er mich ja die ganze Zeit an der Nase herumgeführt«, seufzte ich.
»Und wie! Du warst mit ganz anderen Dingen beschäftigt und hast sogar eine neue Stadt erschaffen. Zwar hat er dich verschaukelt, eigentlich aber hat er mich betrügen wollen. Nimm das alles nicht so schwer, denn Machi weiß selbst nicht, was Wahrheit ist und was nicht -das kannst du mir glauben. Er hat viele Versionen von Kettari erschaffen. Schade, dass du nicht alle Stadtpläne mitgebracht hast.«
Schuldbewusst zuckte ich die Achseln. »Tut mir leid. Haben Sie nicht Lust, mir etwas mehr über Machi Ainti zu erzählen? Ich begreife überhaupt nicht, was er für einer ist. Er hat mir mal erzählt, er sei schon sehr alt und wisse nicht genau, woher er stamme. Und das glaube ich ihm sogar. Heute Nacht hat er sich per Stummer Rede bei mir gemeldet, und das war sehr unangenehm - Ehrenwort! Und nach meinem ersten Treffen mit ihm sind mir all die merkwürdigen Dinge passiert, die ich Ihnen vorhin berichtet habe.«
»Leider kann ich dir da kaum weiterhelfen«, antwortete Juffin. »Ich habe viele Jahre mit Machi zusammengearbeitet, ohne ihn zu durchschauen. Vielleicht ist der Umgang mit seltsamen Wesen wie dir oder Machi mein Schicksal. Du wirst lachen, aber ihr beide passt gut zusammen. Vermutlich würdest du dich besser mit ihm verstehen, als mir das je gelungen ist. Welche Ziele hast du eigentlich? Ein ruhiges Leben? Ein Häuschen mit Garten, in dem du mit deinen Enkeln spielen kannst? Eine Frau zu lieben und mit ihr alt zu werden? Eine vom König ausgesetzte Rente für herausragende Verdienste zu kassieren? Ich kann dich beruhigen - all das bekommst du nicht. Aber alle anderen Freuden des Lebens erwarten dich.«