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Den Schluß bildete der alte Kastao. Zum erstenmal, seit er sich erinnern konnte, ja zum erstenmal in der Geschichte seines Volkes, lag die Siedlung völlig ausgestorben da. Nur die gelbe Fahne wehte noch über seinem Haus, doch als er sich dann ein letztes Mal umschaute, war sie schon nicht mehr zu sehen. Die Siedlung war bereits vom Gelben Nebel erfaßt und die Fahne in diesem Gewaber verschwunden.

Viel Zeit blieb den Zwergen nicht für ihren Umzug, und während die einen noch beim Einräumen waren, verlegten die anderen schon Rohre, setzten dritte das Mühlrad in Gang. Wie geplant, wurde das Wasser nun nicht mehr in die Schlucht geleitet, sondern aufs Mühlendach, von wo es nach allen Seiten herabströmte und einen undurchdringlichen Vorhang gegen den erstickenden Nebel bildete.

Antreno selbst ging mehrmals prüfend um die Mühle herum, überzeugte sich, daß es keine Lücken in den Wasserwänden gab. Die Geschichte funktionierte! Die giftigen Schwaden konnten ihnen nichts mehr anhaben. Sie saßen geschützt, wie hinter kräftig herabstürzenden Wasserfällen.

Im Innern der Mühle wurde unterdessen emsig gezimmert und gebaut. Man hörte das Kreischen der Sägen und das Klopfen der Hämmer, die Räume wurden wohnlich hergerichtet. Die Frauen kümmerten sich ums Essen und um die Kinder, die ihnen ständig zwischen den Beinen herumquirlten, helfen oder nur spielen wollten.

Kastao und Antreno aber hatten sich in ein kleines Zimmer zurückgezogen. Sie sprachen über Arkado. Beide bedauerten schon, daß sie den tapferen Jäger hatten allein in die Steppe ziehen lassen. Selbst wenn es ihm gelungen war, eine Stelle zu finden, wo ihm der Gelbe Nebel nichts anhaben konnte – wie sollte er jemals zurückkommen?

Gewiß, Arkado kannte die Gegend wie seine Westentasche, er würde nicht gleich zugrundegehen. Doch was, wenn er sein Leben aufs Spiel setzte, um die Zwerge zu retten? Sie kannten ihn, er würde keine Gefahr scheuen und ihnen auf schnellstem Wege zu Hilfe eilen. Wie leicht konnte er sich dann trotz seiner Wegekenntnis verirren und ersticken.

Falls Arkado aber überlebte, käme er gewiß zur Steinsiedlung zurück, von der er aufgebrochen war. Das Dorf jedoch war von seinen Bewohnern überstürzt verlassen worden, erinnerte an einen zerstörten Ameisenhaufen. Bestimmt würde der Jäger daraus schließen, daß Karena über die Tau hergefallen war und sie alle verschleppt hatte! Deshalb würde er entweder zum Schloß der Riesin aufbrechen oder aber zur Wassersiedlung laufen. Im ersten Fall würde er wahrscheinlich in die Fänge der Riesin geraten, im zweiten das Quietschen des Mühlrades vernehmen. Diese zweite Möglichkeit war freilich immer noch die bessere, selbst wenn Arkado dann zu dem Schluß kam, die stolzen Reker hätten sich ergeben.

ARACHNA ERWACHT

Der Jäger Arkado war zunächst in Richtung Schloß geeilt. Der Nebel hatte sich noch nicht bis dorthin vorgearbeitet, und die Luft war sauber und klar.

Schon von weitem sah er hoch oben auf der Turmplattform die Hexe, die zufrieden ihr Werk betrachtete. Natürlich konnte sie aus dieser Höhe herab unmöglich den winzigen Mann entdecken, der sich seinen Weg durchs Gesträuch bahnte. Es gab unzählige solcher Pfade in Taurekien, sie bildeten ein großes, ineinander verschlungenes Netz. Nur wenige Zwerge kannten sich in diesem Gewirr so gut aus wie der Jäger.

Arkado ließ das Schloß seitlich liegen. Er blieb nur kurz stehen, als er plötzlich einen Zettel durch die Luft tanzen und direkt vor sich auf den Boden fallen sah. Das Blatt Papier kam ihm bekannt vor, und er hob es auf. Natürlich, es war die Botschaft der Zwerge, die sie Karena übermittelt hatten, und die von der Riesin jetzt, da sie ihren Inhalt kannte, endgültig weggeworfen worden war.

Kurze Zeit später war der Jäger bereits tief in die Steppe vorgedrungen. Hier merkte er plötzlich, daß ihm das Atmen schwerer fiel. Weiter oben war der Nebel gewiß weniger dicht, deshalb erklomm Arkado eine nahegelegene Anhöhe. Sie gehörte zu einer Hügelkette, von der die Steppe durchzogen wurde. Vom Kamm aus konnte er nun erkennen, daß der gelbe Dunst inzwischen naß und bedrohlich in den Talsenken stand.

Aber auch hier oben türmten sich schon erste Nebelwände auf, und er mußte ja weiter, wenn er ein Versteck für die Zwerge finden wollte. Also holte Arkado, dem Rat Antrenos folgend, ein Tuch aus der Tasche, durchtränkte es mit Wasser aus seiner Trinkflasche und band es sich vor Mund und Nase. Dann setzte er seinen Weg fort. Nun hing alles davon ab, wie schnell er vorankam und wie weit sich der Gelbe Nebel über die Steppe erstreckte.

Das Laufen wurde immer schwieriger. Bisweilen mußte sich der Jäger geradezu blindlings vorwärtstasten, denn die Sicht reichte keine zehn Meter weit. Er war auch stets von neuem gezwungen, das Tuch anzufeuchten, weil sich eine Staubschicht darauf gebildet hatte.

Die Nacht verbrachte Arkado in einer höher gelegenen Höhle, die er von seinen Streifzügen her kannte. Seine Beine führten ihn fast automatisch zu diesem Unterschlupf, dessen Eingang er mit einem großen Stein verschlossen und mit Zweigen getarnt hatte. Er wollte verhindern, daß Tiere hineingelangten und sich über den dort hinterlegten Proviant hermachten. Die Zweige und der Stein hatten auch den Nebel daran gehindert, ins Innere der Höhle einzudringen.

Obwohl der gelbe Dunst hier zum Glück schwächer war, dichtete der Jäger den Eingang wieder ab, nachdem er hineingeschlüpft war, und warf sich erschöpft auf sein kleines Strohlager. Er schlief sofort fest ein.

Arkado benötigte noch drei solcher Unterkünfte, ehe es ihm gelang, den Gelben Nebel hinter sich zu lassen. Endlich hatte er eine weiträumige Hochebene erreicht, die fernab von den beiden Siedlungen und vom Schloß lag. Zu fern. Er selbst war zwar schon öfter hier gewesen, doch er bezweifelte, daß die anderen Zwerge den beschwerlichen Weg bis zu diesem Ort schaffen würden.

Der Jäger schaute aufmerksam in die Tiefe – vielleicht gab es noch eine nebelfreie Zone im Tal, die näher an die beiden Siedlungen heranreichte. Doch das war nicht der Fall, der Nebel wallte überall, die Hexe hatte ganze Arbeit geleistet! Was sollte aus den Taurekern werden, wenn sie keinen Ausweg fanden?

Wenn die Lebensmittelvorräte in ihren Häusern aufgebraucht waren? Mußten sie klein beigeben, sich der Riesin erneut auf Gedeih und Verderb unterwerfen? Sie würde ihnen den Ungehorsam heimzahlen und sich noch gemeinere Strafen ausdenken.

Dann ließ Arkado die Augen zur anderen Seite der Hochebene schweifen, so als könnte er dort Hilfe für sein Volk finden. Doch plötzlich geschah etwas, das er in seinen schlimmsten Träumen nicht erwartet hätte. Es rauschte in der Luft, als käme ein Felsblock geflogen, und genau in seiner Blickrichtung sauste eine riesige Frau zu Boden. Karena! dachte der Jäger entsetzt. Wie um Himmels willen kommt die hierher? Hat der Fliegende Teppich ihr etwa ein Schnippchen geschlagen und sie abgeschüttelt? Vor drei Tagen hab ich sie noch hoch oben auf ihrem Schloß gesehen, ist sie mir vielleicht auf die Spur gekommen?

Doch diesen unsinnigen Gedanken schob er sogleich wieder beiseite. Karena hatte anderes zu tun, als ihm nachzujagen. Wahrscheinlich brachte sie sich nur selbst vor dem Nebel in Sicherheit oder war auf der Suche nach etwas Eßbarem, weil sie ihre Vorräte aufgebraucht hatte.

Sicherheitshalber legte sich Arkado flach auf den Boden, um nicht gesehen zu werden. Er wartete eine Weile ab, doch die Riesin war ohnmächtig oder gar tot, sie blieb unbeweglich liegen. Der Jäger erhob sich wieder und pirschte sich näher an sie heran. Von einem Felsen aus betrachtete er sie genauer und begriff – das da war gar nicht Karena! Nein, nein, diese Riesin war kleiner, es handelte sich um die andere, ihre Tochter, mit der sie sich ständig zankte und die zuletzt wieder einmal aus dem Schloß weggelaufen war. Aber wieso fiel sie jetzt vom Himmel?