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Meine Güte, die auch noch, dachte der Jäger erschrocken, womit hab ich das verdient? Sie bewegt den Arm, also lebt sie noch. Wahrscheinlich ist sie durch einen Zaubertrick hierher gelangt.

Scheint nicht ganz gelungen zu sein, so wie sie heruntergeplumpst ist. Trotzdem, was will sie hier?

Plötzlich kam ihm eine Idee. Und wenn ich nun versuche, die beiden gegeneinander aufzuhetzen? Die Tochter gegen die Mutter, sie sind sich ja sowieso nicht grün. Vielleicht gelingt es mir, Arachna auf unsere Seite zu ziehen. Wir haben immerhin das Zauberbuch, einen fetten Köder.

Arkado beobachtete die Riesin weiter, allem Anschein nach ging es ihr ziemlich schlecht. Sie regte sich etwas, ohne zu erwachen, und sie sah erschöpft und zerschunden aus. Auch ihre Kleider waren in einem beklagenswerten Zustand.

Was immer geschehen sein mag, ich muß die Gelegenheit nutzen, sagte sich der Jäger. Wenn sie erwacht, wird sie Hunger und Durst haben. Ich will mein Bestes tun, sie friedlich zu stimmen. Vielleicht läßt sie dann mit sich reden.

Die Sache war nicht bloß gefährlich für ihn, sie erforderte auch all seine Kraft. Die Riesin war nur kurz aus ihrer Betäubung erwacht und hatte sich, wohl ohne etwas zu begreifen, auf die Seite gedreht. Sie schlief den Nachmittag und die ganze Nacht hindurch, wobei sie schnarchte, daß die Hügel ringsum widerhallten.

Arkado aber räumte inzwischen seine Vorratslager leer. Er arbeitete fast ohne Pause, schleppte Essen und Trinken herbei. Das Dörrfleisch und die Wasserschläuche, mit denen ein ganzes Heer von Zwergen hätte versorgt werden können, legte er in einiger Entfernung von der Riesin nieder, damit sie es beim Erwachen fand.

Gegen Morgen entfachte der Jäger dann ein großes Feuer, wobei er darauf bedacht war, trockenes Holz zu nehmen. Er wollte nicht, daß Qualm aufstieg und womöglich Karena anlockte. Es hätte ja sein können, daß sie einen Rundflug unternahm.

Als alles getan war, stärkte er sich erst einmal selbst und legte sich gleichfalls für ein paar Stunden aufs Ohr. Wenn Arachna zu sich kam, würde er sofort wieder auf den Beinen sein.

Arkado erwachte, als die Riesin sich zu regen begann. Sie schlug die Augen auf, war aber offensichtlich zu geschwächt, um aufzustehen. Der Duft des Fleisches und die Wärme des Feuers schienen freilich ihre Lebensgeister zu wecken. Sie blickte suchend umher und sah zunächst einen der Wasserschläuche.

Dieses Geschenk kam ihr gerade recht, denn sie hatte großen Durst.

»Wasser«, krächzte sie erfreut und kroch auf allen Vieren zu dem Platz, von dem die verlockenden Gerüche ausgingen. Sie ergriff den Ledersack mit der glucksenden Flüssigkeit, öffnete ihn und setzte ihn an die Lippen. Gierig ließ sie das kostbare Naß die ausgedörrte Kehle hinunterrinnen, das Arkado für sie bereitgestellt hatte.

Für sie waren es nur wenige Schlucke, doch der Jäger hatte ja vorgesorgt. Schnell entdeckte die Riesin auch die anderen Schläuche und kurz darauf das Fleisch. Ein Anblick, bei dem sie vor Freude mit der Zunge schnalzte. Ohne erst lange zu überlegen, woher die Schätze kamen, setzte sie sich zu Tisch. Das heißt, sie blieb gleich auf dem Boden hocken, während sie mit beiden Händen zugriff, große Happen Dörrfleisch verspeiste, Knochen abnagte und mit einem Trunk Wasser nachspülte. Sie fragte sich höchstens dabei, ob etwa ihr Traum von vorhin weiterging. Einmal kniff sie sich sogar in die Backe, um sich vom Gegenteil zu überzeugen.

Arkado, der die Frau aus seinem Versteck heraus beobachtete, konnte sich nur wundern, mit welcher Geschwindigkeit sie seinen Monatsvorrat vertilgte. Man mußte direkt Angst haben, daß sie sich daran verschluckte!

Schließlich hatte Arachna ihr Mahl beendet. Sie schaute bedauernd auf die abgenagten Knochen und geleerten Schläuche, war aber sichtlich zufrieden. Sie setzte sich ans Feuer, um sich ein wenig aufzuwärmen, und erst da schien ihr das Erstaunliche der Situation bewußt zu werden. Plötzlich sprang sie wie von der Tarantel gestochen auf und spähte aufmerksam in die Runde.

»Ich möchte gar zu gern wissen, wer mir all diese Speisen hingestellt hat«, murmelte sie verwirrt. »Das war doch kein Zufall. Sollte sich Karena, meine Mutter, Sorgen um mich machen? So freundlich ist sie doch sonst nicht. Wo bin ich überhaupt, was ist mir zugestoßen? Ich bin… ach ja, ich bin vor ein paar Tagen aus dem Schloß weggelaufen, weil wir uns wieder mal gestritten hatten. Das Leben mit ihr ist in der Tat unerträglich. Ob sie mir hinterherspioniert? Wie auch immer, ich muß auf der Hut sein.« Sie hielt erneut nach allen Seiten Ausschau, konnte aber nichts Beunruhigendes entdecken.

DER PAKT

Man mag sich wundern, daß Arachna nicht mehr an das Zauberland, an das Mädchen Ah, den Tiger und alles andere dachte, aber da sie in ihre Vergangenheit, in die Zeit ihrer Jugend zurückgekehrt war, hatte sie das Geschehen der späteren Zeit völlig vergessen. Besser gesagt, es war in ihrem Hirn ausgelöscht worden.

»Seltsam«, murmelte die Riesin, »kein Mensch weit und breit! Und doch wärmt mich dieses Feuer, standen Wasser und Fleisch bereit. Oder galt der Empfang jemand anderem? Aber wem – so viele Leute gibt es hier nicht. Außer Karena leben im Land eigentlich nur noch die Zwerge.«

Die Zwerge, natürlich, erst vorhin waren sie ihr ja wieder im Traum erschienen. Bestimmt trieben sich einige auch in dieser Wildnis herum. Andererseits, was hatte Arachna ihnen schon Gutes getan, für das sie sich hätten erkenntlich zeigen müssen. Eigentlich gar nichts Gutes bisher, wenn man ehrlich war. Trotzdem, irgendeinen Zusammenhang mußte es hier geben. Und aufmerksam begann die Riesin ihre nähere Umgebung abzusuchen.

Wer sucht, der findet. Zunächst stieß Arachna auf ein Blatt Papier, das jemand ziemlich dicht vor ihrer Nase auf einen Ast gespießt hatte. Sie brauchte nur den Arm auszustrecken, und schon hatte sie es in der Hand. Eine Botschaft, die vielleicht Licht in das Dunkel brachte. Etwas mühsam entzifferte sie die Worte auf dem zerknitterten Zettel, die eigentlich Karena galten.

Die Riesin zog die Stirn in Falten, überlegte fieberhaft. Sie begriff nicht alles, was in der Botschaft stand, doch eins war klar: Die Zwerge hatten ihrer Mutter den Kampf angesagt!

Diese Wichte müssen in der Nähe sein, sagte sich Arachna gleich darauf, sie beobachten mich. Ob sie sich wirklich ernsthaft mit meiner Mutter anlegen wollen? Das ist lächerlich, Karena wird sie zerquetschen. Andererseits sind es viele, und wir sind auf sie angewiesen.

Sie hielt den Zettel unschlüssig in den Händen. Mit ihrer Mutter war zwar nicht gut Kirschen essen, dennoch schien die Gelegenheit günstig, sich bei diesen Leutchen Ansehen zu verschaffen. Sie rief:

»Was wollt ihr? Ich hab nichts gegen euch.«

Arachna erwartete, daß sich die Zwerge zeigten, aber nichts dergleichen geschah.

»Kommt heraus, damit wir miteinander reden können«, sagte sie. »Ich schwöre, euch nichts zu tun!«

Doch auch diesmal passierte nichts, und die Riesin wollte bereits ungehalten werden, als ihr die letzten Worte der Botschaft an Karena wieder einfielen. Ganz schön hartnäckig, dachte sie, diese Bande will wahrscheinlich auch von mir den Großen Riesenschwur.

»Also gut, ihr sollt euren Willen haben! Hiermit leiste ich den Großen Riesenschwur, euch gegenüber fair zu sein und euch anständig zu behandeln. Bei meinen Vorfahren! Sollte ich ihn je brechen, will ich in ewigen Schlaf verfallen!«

Sie erhob sich der Feierlichkeit wegen zu voller Größe und kam sich in diesem Augenblick sehr edel vor. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie den Großen Schwur, den jeder Riese von Kindesbeinen an kennt, zum letztenmal gesprochen hatte.

Kaum war das letzte Wort verklungen, stand plötzlich ein winziges Männlein vor ihr. Der Zwerg mußte aus den Büschen gekommen sein, die sich noch leicht bewegten. Er rief, so laut er konnte:

»Ich bin Arkado, der Schloßjäger. Es freut mich, daß wir uns verständigen können.«