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»Sieht aus wie ein Lagerfeuer«, murmelte sie, »wer könnte das sein? Etwa Arachna? Na, die Rumtreiberin nehm ich mir später vor. Erst rechne ich mal mit den Zwergen ab, dann kommt sie dran.«

Doch aus dieser Absicht wurde nichts. Die Rauchfahne, die sie da unten aufsteigen sah, rührte von einem Feuer her, an dem tatsächlich Arachna saß, die aber blätterte bereits in dem Zauberbuch. Und genau in dem Augenblick, als Karena die Staubschlucht überquerte, hatte ihre Tochter die entscheidende Formel gefunden, mit der man den Fliegenden Teppich rufen konnte.

»Abradox Knochenkrox – zu mir, Teppich!« rief Arachna mit dröhnender Stimme unvermittelt, so daß der Jäger vor Schreck fast von seinem Stein gefallen wäre.

Der Teppich nun – das muß erwähnt werden – diente jedem, der die richtigen Befehle gab. Nichts da von Anhänglichkeit, der jeweilige Besitzer war ihm egal, nur die Formel aus dem Zauberbuch zählte.

Aus diesem Grund bäumte er sich, kaum daß er den fernen Ruf vernommen hatte, heftig auf. Die völlig überraschte Riesin Karena wurde abgeworfen, bevor sie noch einen klaren Gedanken fassen konnte. Sie stürzte kopfüber in die Tiefe, sauste in die Staubschlucht hinab, in die sie sonst ihre Diener zu werfen pflegte. Im Fallen schoß ihr noch durch den Sinn, daß es ein Fehler gewesen war, der Rauchfahne von vorhin nicht auf den Grund zu gehen. Denn der Teppich, das bekam sie in letzter Sekunde mit, drehte genau in jene Richtung ab.

Arachna und Arkado aber mußten eine Weile auf den Fliegenden Teppich warten, so daß sie schon befürchteten, die Formel wirke nicht. Als er dann doch kam, kannte die Freude des Riesenweibs keine Grenzen. Sie sprang auf, begann wie wild um das Feuer herumzutanzen und rief:

»Er kommt! Er kommt wirklich, das Goldstück!«

Sie hüpfte so ungestüm umher, daß es Arkado vorzog, sich hinter einem Stein in Sicherheit zu bringen, um nicht unter ihre stampfenden Füße zu geraten.

Der Teppich verharrte einen Augenblick über ihnen, dann fiel er herab, plumpste Arachna genau auf den Kopf. Die Riesin kam ins Stolpern und krachte zu Boden. Als sie sich aufgerappelt hatte, war ihr Gesicht dunkel von Staub und Schmutz. Doch dieser kleine Unfall störte sie in keiner Weise. Ihre Augen und Zähne blitzten in all dem Schwarz nur umso heller.

»Arkado«, rief die Riesin mit grollender Stimme, »wo steckst du, zum Donnerwetter! Wir wollen zu deinen Leuten fliegen, damit sie was zu essen und zu trinken herbeischaffen. Auch neue Kleidung brauche ich, meine ist nach all den Strapazen ziemlich mitgenommen.«

Der Jäger kam vorsichtig hinter seinem Stein hervor. Bei Arachnas Gebrüll fragte er sich besorgt, ob sie nicht vom Regen in die Traufe geraten waren. Die Tochter Karenas, die bereits mitten auf dem Teppich thronte, war vielleicht nicht besser als ihre Mutter. Immerhin, sie hatte den Großen Schwur geleistet und versprochen, die Zwerge gerecht zu behandeln. Die alte Riesin dagegen…

Wenn ich bloß wüßte, wo Karena jetzt ist? dachte Arkado gleich darauf. Würde mich gar nicht wundern, wenn sie uns eine Falle stellt.

Da er Arachna damit etwas Respekt einzuflößen hoffte, teilte er ihr seine Befürchtungen umgehend mit.

»Wir müssen vorsichtig sein, Herrin«, sagte er, »mit Eurer Mutter ist nicht zu spaßen.«

Diese Worte dämpften den Drang der Riesin, sich als neue Herrscherin aufzuspielen, tatsächlich.

»Was schlägst du vor?« fragte sie, ruhiger geworden.

»Zuerst sollten wir mit dem Fliegenden Teppich die Gegend bei den Mühlen und Siedlungen erkunden«, sagte Arkado, der wieder seinen Platz auf ihrer Handfläche eingenommen hatte.

Arachna war einverstanden. Auf ihr Geheiß hin erhob sich der Teppich und flog auf die Schlucht zu. Sie hielten sich seitlich davon und vernahmen plötzlich Geräusche, die an das Quietschen von Mühlrädern erinnerten.

Ich komme zu spät, dachte Arkado betrübt. Offenbar mußten meine Freunde aufgeben und sich Karena erneut unterwerfen.

Der Teppich nahm jetzt direkten Kurs auf die Wassermühle, denn der Arbeitslärm schien von dort zu kommen. Unvermutet riß die gelbe Nebelschicht unter ihnen auf und gab die Sicht auf das graue Gebäude frei. Doch was heißt grau – so sah sie ja gar nicht mehr aus. Im Gegenteil, die Mühle lag wie ein funkelnder Diamant da, wie ein Zauberstein, dessen Facetten in bunten Regenbogenfarben schillern. Das aber kam von dem Wasser, das nach allen Seiten übers Dach zu Boden stürzte. Es hatte den Nebel vertrieben, den Staub weggewaschen und vermengte sich nun mit den Sonnenstrahlen. Ein farbenprächtiges Bild! Arkados Angst jedenfalls war auf einmal wie weggeblasen, und er begriff, daß die Taureker ein Mittel gefunden hatten, sich gegen Karenas Gelben Nebel zur Wehr zu setzen.

»Auf so einen grandiosen Einfall kann nur Antreno gekommen sein, einer unserer Stammesältesten«, rief er laut. Eine ungeheure Freude hatte ihn ergriffen, gepaart mit dem Stolz auf das ganze Zwergengeschlecht.

ARACHNAS RÜCKKEHR

Der Teppich setzte zum Sturzflug an, glitt in den Spalt zwischen Wasserkuppel und Gelbem Nebel und landete direkt vor dem Eingang zur Mühle. Das alles aber geschah höchst elegant und lautlos.

Beim Anblick der dreckverschmierten Riesin flohen die wachhabenden Zwerge entsetzt ins Innere des Gebäudes und verriegelten das Tor. In dem Tohuwabohu hatte natürlich niemand den Jäger Arkado auf Arachnas Hand entdeckt. Die Wache war vielmehr überzeugt, Karena in höchsteigener Person sei zu ihnen herabgestiegen, um Rache für ihre Aufsässigkeit zu nehmen.

Auf das Geschrei hin war auch Antreno herbeigeeilt, sein Alter und alle Würde vergessend. Ebenso schnell war Kastao zur Stelle, und überhaupt wimmelte es am Tor im Nu von Kindern und all jenen Zwergen, die gerade nicht beschäftigt waren. Die halbe Mühlenbevölkerung hatte sich eingefunden.

Plötzlich wurde laut ans Tor geklopft, und eine bekannte Stimme rief:

»He, Freunde, macht auf! Antreno, Kastao, hört ihr mich – ich bin es, der Jäger Arkado! Die Riesin neben mir ist nicht Karena, sondern unsere neue Herrin Arachna. Sie hat den Großen Riesenschwur geleistet und wird uns beschützen, wenn wir fortan ihr anstatt Karena dienen.«

Antreno spähte ungläubig durchs Guckloch. Tatsächlich, da draußen stand, heil und unversehrt, der Jäger. Die beiden Stammesältesten hatten in den letzten Tagen oft von ihm gesprochen und schon fast die Hoffnung aufgegeben, ihn jemals lebend wiederzusehen.

Das Tor fuhr quietschend auf. Arkado fand sich in den Armen seiner Gefährten wieder, die ihn ungestüm an sich drückten und mit Fragen überhäuften. Wieviel hatte sich doch seit jener nächtlichen Zusammenkunft ereignet, als sie die Verschwörung gegen die Hexe vorbereiteten! Das Leben nicht nur der Taureker hatte sich grundlegend verändert, sondern alles ringsum. Da war plötzlich Arachna an die Stelle ihrer Mutter getreten und hatte den Großen Schwur geleistet. Es gab offenbar noch richtige Wunder.

Die Riesin ihrerseits betrachtete neugierig die seltsame Mühle und die Ansammlung dieser winzigen Menschlein. Dann verließ sie ihren Fliegenden Teppich, schritt zu dem Wasserfall, bemüht, dabei nicht versehentlich auf eines der quirligen Wesen zu treten, und begann sich unter wohligem Ächzen zu waschen. Um sie her bildete sich sogleich eine große schmutzige Pfütze, die in dem Maße schlammiger wurde, wie die Frau den Dreck abspülte. Schließlich erinnerte die Pfütze an einen Sumpf, vor den Taurekern aber stand ein verhältnismäßig sauberes großes Weib, das im Vergleich zu Karena sogar einigermaßen hübsch war.

Zwei Dutzend Frauen aus der einstigen Schloßdienerschaft eilten mit einem Tablett herbei, auf dem sie ein Salzfaß und viele Brote trugen, um den Neuankömmling nach altem Brauch willkommen zu heißen. Ungefähr hundert Männer aber legten der Riesin ehrerbietig ein Kleid Karenas zu Füßen, das sie aus dem Schloß mitgenommen hatten, um bei Bedarf neue Sachen für die Zwerge daraus zu schneidern.