Er hängte sich auch eine Stunde lang an Teelas alten Erste-Hilfe-Apparat. Als der Schmerz in seinen Rippen ein wenig nachließ und er sich nicht mehr ganz so elend fühlte, gab er ihr das Instrument zurück. Er hatte immer noch so viel Schmerzen, daß er von dem Geruch abgelenkt wurde, der ihn vollkommen ausfüllte. Vielleicht hatte sein Fluggeschirr an einem Lebensbaum gescheuert. Oder. vermutlich haftete der Geruch in seinem Gehirn. Für immer.
Chmeee hatte hohes Fieber. Louis konnte Harkabeeparolyn dazu überreden, Chmeees Schutzanzug zu tragen. Teela hatte ihn zwar bei dem Zweikampf mit Chmeee aufgeschlitzt, aber er bot einer Frau besseren Schutz als ihre nackte Haut, wenn sie sich neben einem phantasierenden Kzin zum Schlafen niederlegen mußte.
Wenigstens einmal rettete der Anzug Harkabeeparolyn das Leben, als Chmeee mit den Krallen nach ihr schlug, weil sie in seinem Fieberwahn Teela zu ähnlich sah. Sie hingegen pflegte den Kzin so gut sie konnte, flößte ihm Wasser und Nährflüssigkeit aus ihrem Druckanzug-Helm ein. Am vierten Tag war Chmeee wieder im Besitz seines Denkvermögens, aber er war immer noch schrecklich schwach. und furchtbar hungrig. Der Sirup in einem menschlichen Druckanzug reichte ihm als Nahrung nicht hin.
Sie brauchten alle vier Tage, um eine Position in gleicher Höhe mit der Heißen Nadel zu erreichen. Sie benötigten noch einen Tag, sich durch die Wände hindurchzugraben, bis sie einen Steinblock aus gegossenem Basalt fanden.
Eine Woche war vergangen, seit das flüssige Gestein sich verfestigte. Der Basaltblock war immer noch warm. Louis ließ die schwebende Scheibe mit den beiden Passagieren in dem Tunnel zurück, durch den Teela die Heiße Nadel geschleppt hatte. Er setzte den Schutzhelm seines Druckanzuges auf, der ihn mit frischer kalter Luft versorgte, ehe er die Slaver-Doppelflinte mit beiden Händen hochhob und auf den Auslöser drückte.
Ein Hurrikan von Staub hüllte ihn ein. Vor ihm bildete sich ein Tunnel, in den er langsam vorrückte.
Er sah nichts, hörte nur das heulende Geräusch des berstenden Basalts, der in einem Staubsturm an ihm vorbeiwehte und sich irgendwo hinter ihm blitzartig entzündete, wenn die Elektronenladung wieder ihr Vorrecht beanspruchte. Wieviel Lava hatte Teela auf das Raumschiff gegossen? Offenbar hatte sie Stunden mit dem Gießen verbracht.
Dann stieß er auf etwas.
Ja. Er blickte durch ein Fenster auf einen seltsamen Innenraum. Ein Wohnzimmer mit Couchen und einem schwebenden Kaffeetisch. Alles hatte ein merkwürdig sanftes Aussehen. Nirgends eine scharfe Ecke oder eine harte Kante — nichts, an das ein lebendes Wesen mit einem Knie anstoßen konnte. Durch ein zweites Fenster konnte er riesige Gebäude erkennen und einen Schimmer von einem schwarzen Himmel dazwischen. Pierson-Puppetiers bevölkerten die Straßen. Alles stand auf dem Kopf.
Das, was er für eine Couch gehalten hatte, mußte etwas anderes sein. Louis stellte den Handscheinwerfer-Laser auf schwache Energie ein. Er schaltete ihn ein und aus. Eine gute Minute lang passierte nichts. Dann erschien ein flachgedrückter weißer Kopf mit einem langen Hals, um aus einer flachen Schale zu trinken, und zuckte erschrocken zurück, um sich wieder im Bauchnabel zu verstecken.
Louis wartete.
Der Puppetier stand auf. Er führte Louis an der Wand des Schiffes entlang — langsam, weil Louis sich den Weg mit dem Zerstäuber freischaufeln mußte — bis zu der Stelle, wo er einen Transportscheiben-Sender an der Außenseite des Rumpfes angebracht hatte. Louis nickte. Er ging zurück zu der Stelle, wo er seine Begleiter zurückgelassen hatte.
Zehn Minuten später befand er sich im Raumschiff. Elf Minuten später fielen Harkabeeparolyn und er über eine Schüssel her wie die Kzinti. Chmeees Hunger war unbeschreiblich. Kawareksenjajok sah ihnen ehrfürchtig beim Essen zu. Harkabeeparolyn merkt gar nicht, was der Kzin verschlang.
Der Morgen brach an Bord eines Raumschiffes an, das zehn Meilen unter dem Sonnenlicht in erstarrter Lava begraben war.
»Unsere medizinischen Einrichtungen haben schwer gelitten«, sagte der Hinterste. »Chmeee und Harkabeeparolyn müssen zusehen, daß ihre Wunden auf natürliche Weise heilen.«
Der Hinterste stand auf dem Kommandodeck und redete zu ihnen auf der Sprechanlage. Das konnte ein gutes Zeichen sein, konnte es andererseits aber auch nicht sein. Teela war tot, und die Ringwelt hatte vielleicht eine Überlebenschance. Der Puppetier mußte plötzlich eine lange, sehr lange Lebenserwartung verteidigen. Da war es nicht ratsam, sich mit fremden Wesen wieder in einem Raum zusammenzufinden.
»Ich habe den Kontakt mit dem Landungsfahrzeug und einer Sonde verloren«, fuhr der Puppetier fort. »Die Meteor-Verteidigungsanlage flammte ungefähr zur selben Zeit auf, als das Landungsboot seine Signale einstellte. Die Signale von der beschädigten Sonde rissen ab, als Teela Brown versuchte, in die Heiße Nadel einzudringen.
Chmeee hatte geschlafen (ganz allein auf dem Wasserbett) und gegessen. Sein verjüngter Pelz würde wieder einige recht interessante Narben tragen. Aber seine Wunden heilten ab. Er sagte: »Teela muß die Sonde zerstört haben, sobald sie deren Existenz bemerkte. Sie ertrug es nicht, daß ihr ein gefährlicher Feind in den Rücken fallen konnte.«
»In den Rücken? Wer denn?«
»Hinterster, sie sagte, du wärst gefährlicher als ein Kzin. Offenbar war das ein taktischer Schachzug, um uns beide zu beleidigen. Zweifellos.«
»Das hat sie wirklich gesagt?« Zwei flache Köpfe blickten sich einen Moment lang in die Augen. »Nun. Unsere Hilfsquellen sind bis auf eine Sonde und das Raumschiff dahingeschmolzen. Wir ließen die zweite Sonde zurück. Die Sonde hat noch funktionstüchtige Spürgeräte, falls wir sie benötigen sollten. In sechs Tagen Ortszeit wird sie hier sein.
In der Zwischenzeit sind wir wieder mit unserem ursprünglichen Problem konfrontiert, das sich noch um einige Indizien, aber auch Komplikationen erweitert hat. Wie können wir der Ringwelt ihre alte Stabilität zurückgeben? Wir können davon ausgehen, daß wir glauben, wir befinden uns an der Stelle, wo wir die Lösung für dieses Problem finden können«, sagte der Hinterste. »Das stimmt doch? Teelas Verhalten, das sich nicht verträgt mit der Handlungsweise eines Wesens von anerkannter Intelligenz.«
Louis Wu widersprach ihm nicht. Louis war sehr still.
Kawaresksenjajok und Harkabeeparolyn saßen im Schneidersitz an einer Wand so dicht nebeneinander, daß sich ihre Arme berührten. Harkabeeparolyns Arm war in Stoffbahnen eingepreßt und lag in einer Schlinge. Von Zeit zu Zeit warf ihr der Junge einen Blick zu. Ihr Verhalten beunruhigte ihn, gab ihm Rätsel auf. Die schmerzstillenden Tabletten gingen zu Ende; aber das war keine hinreichende Erklärung für ihre Gedankenabwesenheit. Louis wußte, daß er mit dem Jungen reden mußte. wenn er nur gewußt hätte, was er ihm sagen sollte.
Die Städtebauer hatten im Laderaum geschlafen. Die Angst, sie könnte zu Boden stürzen, verbot von vorneherein, daß Harkabeeparolyn das Schlaffeld benützte. Sie hatte ihm Rishathra angeboten, ohne Nachdruck, fast widerwillig, als Louis sich beim Frühstück zu ihnen gesellte. »Aber gib acht auf meinen Arm, Luweewu.«
Es gehörte viel Taktgefühl dazu in Louis' Kulturkreis, das Angebot des Geschlechtsaktes auszuschlagen. Er hatte geantwortet, er fürchtete, an ihren Arm zu stoßen, und das war keine Lüge. Auch konnte er irgendwie kein Interesse für die Sache aufbringen, was er jedoch verschwieg. Er fragte sich, ob der Lebensbaum ihn so sehr verändert hatte. Aber er verspürte auch keine Lust nach den gelben Wurzeln oder nach einem Wonnestrom-Stecker.
An diesem Morgen schien er überhaupt keine Gelüste zu haben.
Fünfzehnhundert Milliarden Leute.
Der Hinterste sagte: »Akzeptieren wir Louis' Urteil über Teela Brown. Teela brachte uns hierher. Sie wollte das gleiche wie wir. Sie gab uns so viele Anhaltspunkte, wie sie konnte. Aber was für Anhaltspunkte? Sie kämpfte an beiden Seiten der Front. War es denn so wichtig für sie, noch drei Protektoren zu erschaffen und dann zwei von ihnen wieder zu töten? Louis?«