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Louis fand hier den kleinsten allgemeinen Nenner, nach dem er suchte. Der Hintergrund dieser Märchen war immer die Unendlichkeit des Meeres, der Schrecken der Stürme und die Ungeheuer, die dem Meer entstiegen.

Manche von ihnen waren Haifische, Killer-Wale, Gummidgy-Zerstörer, Wunderland-Schattenfische oder Fangtang-Dschungel. Manche dieser Wesen waren intelligent. Da gab es Seeschlangen, die viele Meilen lang waren, mit Nasenlöchern, aus denen Dampfwolken quollen (was auf Lungen hindeutete?). Ihre riesigen Mäuler waren mit scharfen Zähnen bestückt. Es gab ein Land, das jedes Schiff verbrannte, das sich seinem Gestade näherte, wobei stets ein Überlebender mit heiler Haut der tödlichen Gefahr entrann. (Echtes Märchen oder Sonnenblumen?) Da war von Inseln die Rede, die in Wirklichkeit Seeungeheuer von seßhafter Lebensweise darstellten, so daß sich eine ganze Ökologie auf dem Rücken dieser Monster entwickeln konnte, bis eine Schiffsladung von Matrosen das Monster aus der Ruhe brachte. Dann tauchte es gewöhnlich im Meer unter. Louis hätte dieses Märchen geglaubt, wenn er nicht schon als Kind in den Märchensammlungen der Erde ähnliche Geschichten gelesen hätte.

Er glaubte fest an die Mörderstürme. Über so gewaltige Entfernungen hin, wie man sie auf der Ringwelt vorfand, konnten sich schreckliche Stürme aufbauen, auch ohne den Corioliseffekt, der auf einer normalen Welt einen Hurrikan entstehen läßt. Auf der Weltkarte von Kzin hatte er ein Schiff entdeckt, das so groß war wie eine ganze Stadt. Vermutlich mußte man so ein großes Schiff bauen, wenn man den Stürmen auf dem Großen Ozean trotzen wollte.

Auch den mythologischen Figuren der Zauberer wollte er nicht ganz den Wahrheitscharakter absprechen. Sie entstammten offenbar (in den drei Märchen) der Rasse der Städtebauer. Doch im Unterschied zu den Zauberern der irdischen Märchen waren die Städtebauer-Zauberer mächtige Krieger. Und sie traten alle drei in Rüstungen auf.

»Kawaresksenjajok? Sind alle Zauberer gepanzerte Krieger?«

Der Junge sah ihn betroffen an. »Sprichst du jetzt von den Zauberern in unseren Märchen? Nein. Aber ich glaube, daß sie immer Rüstungen tragen, wenn sie sich in der Nähe des Großen Ozeans aufhalten. Warum?«

»Sind Zauberer immer zum Kampf bereit? Vollbringen sie kriegerische Heldentaten?«

»Das haben sie nicht nötig.« Die Frage schien den Jungen verlegen zu machen.

Harkabeeparolyn mischte sich ein: »Luweewu, vielleicht weiß ich besser über Kindermärchen Bescheid als Kawa. Worüber sollen dir die Märchen Aufklärung geben?«

»Ich suche nach der Heimat der Ringwelt-Ingenieure. Diese gepanzerten Zauberer können Ringwelt-Ingenieure gewesen sein, wenn die zeitliche Komponente stimmte. Aber die Märchen sind viel später entstanden.«

»Dann können es nicht Ringwelt-Ingenieure gewesen sein.«

»Aber was hat diese Märchen ausgelöst? Statuen? Mumien, die man im Wüstensand fand? Artspezifische Erinnerungen?«

Sie dachte über seine Fragen nach. »Zauberer gehören gewöhnlich der Gattung an, die das Märchen verfaßt hat. Die Beschreibungen der Zauberer sind unterschiedlich, was deren Größe, Gewicht und Nahrung anbelangt. Doch einen Zug haben sie alle gemeinsam. Sie sind furchtbare Krieger. Sie beziehen keinen festen moralischen Standpunkt. Sie sind unbesiegbar, und deshalb muß man ihnen ausweichen, statt sie herauszufordern.«

Wie ein Unterseeboot unter dem Polareis, so kreuzte die Heiße Nadel jetzt unter dem Großen Ozean.

Der Hinterste hatte die Geschwindigkeit des Schiffes stark herabgesetzt. Sie konnten das lange, reich geschwungene Band des Kontinentalblockes genau erkennen, dessen Küste jetzt hinter ihnen zurückblieb. Der Boden des Großen Ozeans, der sich darunter ausdehnte, war genauso reich gegliedert wie das Land: Berge, die hoch genug waren, daß sie über die Wasseroberfläche hinausragten; Tiefseegräben, die sich als Riffe von fünf oder sechs Meilen Höhe auf der Ringunterseite abhoben.

Was sich jetzt über ihnen befand — ein gekörntes Dach, selbst bei Licht und schwacher Vergrößerung noch stockdunkel, beängstigend nahe, obwohl es sich in Wirklichkeit noch dreitausend Meilen über dem Raumschiff befand —mußte die Weltkarte von Kzin sein. Der Computer behauptete, es wäre so. Kzin mußte noch tektonisch aktiv gewesen sein, als die Weltkarte hier in den Ringweltboden geschnitten worden war. Die Becken der Meere wölbten sich kräftig nach unten. Die Gebirgsketten waren scharfe, tiefe Kerben.

Louis vermochte von der Unterseite her nichts zu unterscheiden. Mit Schaumstoff verwischte Konturen sagten ihm nichts. Er mußte das Muster von Licht und Schatten vor sich haben und den gelborangefarbenen Dschungel. »Laßt die Kameras laufen. Bekommst du ein Signal vom Landungsboot?«

Der Hinterste, der auf seiner Bank vor der histrumentenkonsole saß, drehte einen Kopf nach hinten. »Nein, Louis, der Scrith blockiert alle Signale. Siehst du dort die fast kreisrunde Bucht, wo der breite Fluß im Meer mündet? Das Riesenschiff ist vor der Mündung dieser Bucht festgezurrt. Wenn man von dort aus in einer Diagonalen über die Weltkarte bis zu dem Y vorstößt, wo die beiden Flüsse sich vereinigen- dort ist das Schloß, wo das Landungsboot jetzt abgestellt ist.«

»Okay. Laß das Raumschiff ein paar tausend Meilen von der Ringwelt wegfallen. Und gib mir einen Überblick. oder einen Unterblick.«

Die Heiße Nadel entfernte sich von ihrem Dachrelief. Der Hinterste sagte: »Bist du nicht auch in der Lying Bastard auf der gleichen Route geflogen? Glaubst du, daß sich inzwischen hier etwas verändert hat?«

»Nein. Wirst du ungeduldig?«

»Natürlich nicht, Louis.«

»Ich weiß inzwischen mehr als damals. Vielleicht fallen mir diesmal Einzelheiten auf, die wir vor zwei Jahrzehnten nicht beachteten. Zum Beispiel — was ist das, was in der Nähe des Südpoles aus dem Ringboden herausragt?«

Der Hinterste gab ihm einen vergrößerten Ausschnitt des Daches. Ein langes, schmales, vollkommen schwarzes Dreieck mit gemusterter Oberfläche ragte senkrecht aus dem Zentrum der Weltkarte des Kzin heraus. »Eine Kühlrippe«, erklärte der Puppetier. »Die Antarktis, mußte selbstverständlich gekühlt werden.«

Die beiden Ringwelt-Gäste vermochten mit der übersetzten Erklärung nichts anzufangen. »Ich versteh das nicht«, sagte Harkabeeparolyn. »Ich dachte, ich wäre wissenschaftlich nicht ganz unbeschlagen, aber. was ist das?«

»Zu kompliziert. Hinterster.«

»Luweewu, ich bin weder ein Kind noch ein Idiot!«

Sie konnte nicht viel älter als vierzig sein, dachte Louis. »Also gut. Der Sinn des Ganzen besteht darin, eine Imitation eines Planeten herzustellen. Eines rotierenden Globus, verstehst du? Ein Ball, der sich dreht. Das Sonnenlicht fällt fast waagerecht auf die Pole eines rotierenden Balles, und deshalb sind diese Pole kalt. Folglich muß diese Imitation einer echten Welt an den Polen gekühlt werden. Hinterster, wir brauchen eine stärkere Vergrößerung von der Kühlrippe!«

Die Oberfläche der Rippe entpuppte sich jetzt als eine Ansammlung von unzähligen verstellbaren waagerechten Klappen, silberfarben auf der Oberfläche, schwarz an der Unterseite. Sommer und Winter, dachte er, und dabei sagte er zu sich selbst: »Ich kann es kaum glauben.«

»Luweewu?«

Er spreizte hilflos die Finger beider Hände. »Immer wieder komme ich ins Staunen. Ich weiß, ich habe es kapiert, mir mit allen Konsequenzen überlegt. Und dann ist es plötzlich viel zu groß für meinen Verstand. Viel, viel zu groß.«