Aber das Thermometer auf dem Kommandodeck zeigte eine Temperatur von hundertzechzig Grad Fahrenheit.
Der Hinterste sagte: »Louis, bist du bereit, auf das Landungsboot überzusetzen?«
Die Weltkarte des Mars war ein schwarzer Strich unter der Linie der Hologramm-»Fenster« und befand sich jetzt direkt an Steuerbord. Die Weltkarte von Kzin war viel schwerer auszumachen. Einige Winkelgrade vor dem Mars und fünfzigtausend Meilen vom Raumschiff entfernt entdeckte Louis eine blaugrau gestrichene Linie vor dem blaugrauen Hintergrund des Meeres.
»Wir liegen aber noch nicht auf gleicher Höhe mit dem Landungsboot.«
»Nein. Die Drehung der Ringwelt verursacht immer noch eine Geschwindigkeitsdifferenz zwischen der Heißen Nadel und dem Landungsboot. Aber der Vektor ist genau senkrecht. Wir können die Geschwindigkeitsdifferenz lange genug ausgleichen.«
Louis brauchte eine Sekunde, um diese Bemerkung in ein Diagramm umzusetzen. Dann sagte er: »Stürzt du dich aus einer Höhe von tausend Meilen auf die Ebene des Ozeans hinunter?« »Jawohl. Nach deinem wahnsinnigen Zerstörungsakt erscheint jedes andere Risiko vernünftig.«
Louis brach in ein Gelächter aus (ein Puppetier, der Louis Wu eine Lektion in Tapferkeit erteilen wollte?), doch sogleich wurde er wieder nüchtern. War das nicht eine Möglichkeit für den Ex-Hintersten, einen Teil seiner Befehlsgewalt zurückzuerobern? Er sagte: »Also gut. Beginne mit dem Sturzflug.«
Er drehte die Wählscheibe und zog sich dann hölzerne Pantoffeln an. Er zog seinen Overall aus und wickelte ihn um den Schutzanzug und die Gerätekiste, behielt den Handscheinwerfer-Laser in der Hand. Die leere Meeresfläche dehnte sich rasend schnell aus.
»Fertig.«
»Los.«
Louis überquerte einhundertundzwanzigtausend Meilen mit einem einzigen Riesenschritt.
Kzin vor zwanzig Jahren:
Louis Wu räkelte sich auf einer abgenützten Stein-Fooch und war sehr mit sich zufrieden.
Diese seltsam geformten Steine, die sich Foochesth nannten, waren in den Jagd-Parkanlagen von Kzin genauso häufig anzutreffen wie Parkbänke auf der Erde. Sie ähnelten in ihrer Form einer Niere, damit ein männlicher Kzin sich mit angezogenen Beinen darauflegen konnte. Die Jagd-Parkanlagen der Kzinti waren zu fünfzig Prozent Wildnis und sowohl mit Jägern wie auch Speisetieren bestückt: ein orange- und gelbfarbener Dschungel, dem die Foochesth einen Hauch von Zivilisation verliehen. Die Bevölkerung der Kzin-Welt betrug mehrere hundert Millionen, war also nach der Meinung der Eingeborenen viel zu dicht besiedelt. Auch in den Parkanlagen wimmelte es von Kzinti.
Louis hatte seit dem frühen Morgen den Dschungel erforscht. Jetzt war er müde. Mit baumelnden Beinen beobachtete er das Gehen und Kommen der Einheimischen.
Im Dschungel war ein orangefarbener Kzin fast unsichtbar. Eben noch war da nichts gewesen; im nächsten Augenblick tauchte eine Vierteltonne eines intelligenten Fleischessers auf, der die Spur eines schnellen, von Panik ergriffenen Beutetiers verfolgte. Der männliche Kzin blieb mit einem Ruck stehen und starrte — auf Louis, der mit zusammengepreßten Lippen lächelte (weil ein Kzin immer die Zähne zeigt, wenn er einen Gegner herausfordert) und das Abzeichen auf seiner Schulter etwas weiter nach vorne schob, das ihm den Schutz des Patriarchen zusicherte (Louis hatte es dort befestigt, damit man es auch gut sehen konnte). Der Kzin kam zu dem Ergebnis, daß Louis nicht zu den für die Jagd freigegebenen Beutetieren gehörte, und zog sich wieder zurück.
Eigenartig, daß so ein gewaltiger Jäger sich in diesem gekräuselten gelben Laubwerk so gut zu verstecken vermochte, daß man seine Gegenwart nur spürte. Irgendwo in seiner Nähe waren mordgierige Augen auf ihn gerichtet.
Und dann kamen ein riesiges erwachsenes Männchen und ein noch mit kindlichem Flaum bedeckter Halbwüchsiger in sein Blickfeld.
Louis besaß ein paar Grundkenntnisse der Heldensprache. Er verstand den kleinen Kzin, der zu seinem Vater hochschaute und fragte: »Kann man das essen?«
Der Blick des erwachsenen Kzin kreuzte sich mit Louis' Blick. Louis' Lächeln wurde breiter, so daß seine Zähne sichtbar wurden.
Der erwachsene Kzin sagte: »Nein.«
Im Vertrauen auf vier Menschheits-Kzin-Kriege zuzüglich einiger »Zwischenfälle« — die alle schon Jahrhunderte zurücklagen, jedoch alle von den Menschen gewonnen wurden — grinste Louis und nickte. Sag es ihm ruhig, Daddy! Es bekommt dir immer noch besser, weißes Arsenik zu essen statt Menschenfleisch!
Die Ringwelt, zwanzig Jahre später:
Die heißen Wände trieben ihm den Schweiß aus den Poren. Das störte ihn nicht. Er hatte regelmäßig die Sauna besucht. Einhundertundsechzig Grad Fahrenheit ist nicht sehr heiß für eine Sauna. Die aufgezeichnete Stimme des Hintersten fauchte und spuckte in der Heldensprache und bot Asyl auf der Flotte der Welten an. »Unterbreche die Sendung!« befahl Louis, und der Lautsprecher verstummte.
Lodernde Flammen blockierten den Blick aus den Bullaugen. Das mit Kanonen ausgerüstete Fahrzeug war wieder abgezogen. Ein paar verzerrte Kzinti sprinteten über den Burghof, legten einen Kanister unter das Landungsboot und rannten zurück in den Torbogen.
Es war nicht die richtige Ausgabe von Kzinti: nicht so zivilisierte wie Chmeee. Wenn sie mit ihren Krallen an Louis Wu herankamen — aber im Landungsboot war er relativ sicher.
Louis blinzelte durch das Bullauge in die Flammen. Er entdeckte sechs von diesen Kanistern, die unter dem Landungsboot verteilt lagen. Zweifellos waren das Bomben. Sie würden jeden Moment explodieren, ehe das Feuer sie einzeln in die Luft gehen ließ.
Louis grinste. Seine Hände hingen aktionsbereit über den Schaltern und Hebeln der Konsole, während er mit einer Versuchung kämpfte. Dann tastete er in rascher Folge die Befehle ein. Die Knöpfe waren unangenehm heiß. Er grätschte die Beine und hielt sich an den Sessellehnen fest. Die Hände hatte er mit dem Stoff seines Overalls umwickelt.
Das Landungsboot hob sich aus den Rammen. Ein Ring greller Explosionen zuckte unter ihm auf, und dann war das Schloß nur noch ein winziges Spielzeug. Louis grinste immer noch. Er fühlte sich wie ein tugendhafter Held. Er hatte die Versuchung überwunden. Wenn er den Fusionsantrieb statt der Repulsionsdüsen verwendet hätte, wären den Kzinti die Augen aus dem Kopf gefallen vor Staunen, wie heftig ihre Bomben explodierten.
Hagel prasselte auf den Rumpf und die Fenster. Louis blickte überrascht hoch, auf ein Dutzend geflügelte Spielzeuge, die sich aus dem Himmel auf ihn herabstürzten. Dann blieben die Flugzeuge schon unter ihm zurück. Louis bleckte die Zähne. Er stellte den Autopilot so ein, daß er auf fünf Meilen Höhe den Aufstieg beendete.
Vielleicht sollte er diese Flugzeuge nicht ganz aus dem Auge verlieren.
Dann stand er auf und wandte sich dem Niedergang zu.
Louis schnaubte, als er die Skalen ablas. Er rief den Hintersten: »Chmeee ist vollkommen geheilt und schläft friedlich in seinem Autodock. Der Autodock weckt ihn natürlich nicht und will ihn nicht herauslassen, weil die Lebensbedingungen außerhalb des Autodock nicht sehr gesund sind.«
»Nicht gesund?«
»Es ist zu heiß im Landungsboot. Der Autodock ist nicht so präpariert, daß er einen Patienten in einen brennenden Scheiterhaufen steigen läßt. Die Geräte müssen erst abkühlen, nachdem wir dem Feuer entronnen sind.« Louis fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Der Schweiß lief ihm bis zu den Ellbogen hinunter. »Wenn Chmeee aus dem Autodock steigt, wirst du ihm dann die Situation erklären? Ich brauche jetzt eine kalte Dusche.« Er stand unter dem kalten Wasserstrahl, als der Boden sich plötzlich unter ihm neigte. Louis wickelte sich rasch ein Handtuch um den Bauch und lief den Niedergang hinauf zum Kontrolldeck. Er hörte, wie der Hagel wieder auf den Rumpf prasselte.