Langsam und vorsichtig, als täten ihm noch alle Knochen weh, drehte sich Chmeee auf seinem Stuhl vor der Instrumentenkonsole um. Er blinzelte, als habe er ein Sandkorn im Auge. Die Haare waren am linken Auge abrasiert. Frische Haut bedeckte einen unrasierten Streifen, der von der Hüfte bis zu den Lenden hinunterlief. Er sagte: »Hallo, Louis! Wie ich sehe, hast du überlebt.«
»Ja. Was treibst du denn jetzt auf dem Kommandodeck?« »Ich ließ trächtige Weibchen in der Burg zurück.«
»Werden sie denn in diesem Moment umgebracht? Oder können wir vielleicht ein paar Minuten über der Burg im Schwebeflug verharren?«
»Haben wir etwas zu besprechen? Ich dachte, du wüßtest es besser und würdest dich nicht einmischen.«
»So wie die Dinge jetzt stehen, würden deine Weibchen in zwei Jahren tot sein.«
»Sie können im Stasisfeld mit der Heißen Nadel mit mir nach Hause fliegen. Ich hoffe immer noch, den Hintersten zu überreden.«
»Da mußt du schon mich überreden. Ich habe das Kommando über die Heiße Nadel übernommen.«
Chmeees Hände krallten sich um die Lehnen. Der Boden schwankte entsetzlich. Louis packte die Rückenlehne des Copilotensitzes und pendelte die Schwingungen aus. Ein Blick auf die Instrumententafel zeigte ihm, daß das Landungsboot wieder starr in der Luft verharrte. Auch der Geschoßhagel hatte aufgehört, obwohl immer noch ein Dutzend Flugzeuge um das kleine Landungsboot herumkreisten. Die Burg lag eine halbe Meile unter ihnen.
Chmeee fragte: »Wie hast du das geschafft?«
»Ich verwandelte den Hyperdrive-Motor in Schrott.«
Der Kzin bewegte sich unglaublich schnell. Ehe Louis auch nur einen Finger krumm machen konnte, zog der Kzin ihn schon an seine Brust und hielt ihm die ausgefahrenen Krallen vor das Gesicht.
»Sehr intelligent«, sagte Louis. »Geradezu genial. Und was willst du jetzt machen?«
Der Kzin bewegte sich nicht. Blut perlte über Louis' Augen. Er hatte das Gefühl, als müßte jeden Moment seine Wirbelsäule brechen. »Mir scheint, daß ich dich wieder einmal retten muß.«
Der Kzin ließ ihn los und wich einen Schritt zurück, als fürchtete er, sein Temperament könnte noch einmal mit ihm durchbrennen. Er fragte: »Hast du uns alle zum Untergang verurteilt? Oder trägst du dich mit dem Gedanken, die ganze Ringwelt wieder in ihre richtige Lage zu rücken?«
»Letzteres.«
»Wie?«
»Vor ein paar Stunden noch hätte ich es dir sagen können. Nun müssen wir eine andere Lösung finden.«
»Warum hast du das getan?«
»Ich wollte die Ringwelt retten. Es gab nur eine Möglichkeit, uns der Mitarbeit des Hintersten zu versichern. Ich mußte ihn in Lebensgefahr bringen. Und wie gewinne ich jetzt dich als Mitarbeiter?«
»Du Idiot! Ich bin fest entschlossen, einen Weg zu finden, um die Ringwelt wieder in die richtige Lage zu schieben, wenn ich damit nur meine Kinder rette. Es ist dein Problem, mich davon zu überzeugen, daß ich dich dazu brauche.«
»Die Pak, die diese Welt erbauten, waren meine Vorfahren. Wir versuchen, uns in ihre Vorstellungen und Gedankenwelt zu versetzen, nicht wahr? Welche Vorrichtungen haben sie in diesen Artefakten eingebaut, damit er immer stabil bleibt? Zudem habe ich zwei Städtebauer-Bibliotheksangestellte an Bord, die sich mit der Geschichte der Ringwelt recht gut auskennen. Sie würden nicht mit dir zusammenarbeiten. Sie sehen jetzt schon in dir ein Ungeheuer, obwohl du mich noch gar nicht umgebracht hast.«
Chmeee blickte Louis nachdenklich an. »Wenn sie mich fürchten, werden sie mir auch gehorchen. Diese Welt ist in einer tödlichen Gefahr. Und ihre Vorfahren waren ebenfalls Pak.«
Inzwischen war die Temperatur des Landungsbootes für einen nackten Mann ein wenig zu kalt geworden. Aber Louis schwitzte immer noch. »Ich habe bereits das Reparaturzentrum entdeckt.«
»Wo ist es?«
Louis überlegte, ob er ihm diese Information vorenthalten sollte. Aber nur kurz: »Es ist die Weltkarte des Mars.«
Chmeee setzte sich wieder auf den Pilotensitz. »Das ist eine außerordentlich interessante Nachricht. Die deportierten Kzinti erfuhren in ihrem Zeitalter der Welterforschung eine Menge über die Weltkarte des Mars; aber das blieb ihnen offenbar verborgen.«
»Ich möchte wetten, daß in der Nähe der Weltkarte des Mars eine Menge Schiffe untergingen.«
»Ein Flugzeugpilot sagte mir, daß viele Schiffe auf dem Mars verschwanden, aber nichts Wertvolles auf dem Mars erbeutet wurde. Die Welterforscher brachten beträchtliche Beute von einer Weltkarte nach Hause, die weiter nach spinnwärts liegt; aber die Beute deckte nie die Entstehungs- und Betriebskosten für ihre Schiffe. Brauchst du einen Autodock?«
Louis wischte sich mit dem Overall das Blut aus dem Gesicht. »Noch nicht. Diese Weltkarte spinnwärts — das scheint sich um die Erde zu handeln. Also wurde sie nie verteidigt.«
»Offenbar nicht. Aber da ist auch eine Weltkarte an Backbord, und die Schiffe, die dorthin fuhren, kamen nie mehr nach Hause. Könnte sich das Reparaturzentrum nicht dort befinden?«
»Nein, das ist die Weltkarte von Down. Wahrscheinlich sind sie dort mit Grogs zusammengestoßen.« Louis wischte sich wieder das Gesicht ab. Die Klauen des Kzin waren nicht sehr tief eingedrungen, aber eine Schramme im Gesicht blutet immer heftig. »Laß uns mal überlegen, was wir für deine trächtigen Weibchen tun können. Wie viele sind es?«
»Ich weiß nicht. Sechs befanden sich gerade in der Brunft.«
»Nun, für so viele Weibchen haben wir nicht Platz. Sie müssen also in der Burg bleiben. Es sei denn, du bist der Meinung, der Burgherr wird sie umbringen.«
»Nein, aber es besteht die Möglichkeit, daß er meine männlichen Nachkommen umbringen läßt. Noch keine Gefahr. Nun, damit könnte ich fertig werden.« Chmeee beschäftigte sich mit der Instrumentenkonsole. »Die mächtigste Zivilisation hat sich in der Nachbarschaft eines der alten Forschungsschiffe entwickelt, das Behemoth heißt. Wenn sie mich hier orten, werden sie die Burg mit Krieg überziehen.«
Die Flugzeuge brannten wie Fackeln, als sie zu Boden stürzten. Chmeee suchte den Himmel mit Radar ab, dann mit Tiefenradar und schließlich mit Infrarot-Suchern. Der Himmel war leer. »Louis, waren noch mehr Flugzeuge in der Nähe? Sind einige gelandet?«
»Ich glaube nicht. Falls ja, hatten sie keinen Treibstoff mehr, und hier gibt es auch keine Startbahnen. Die Straßen? Suche die Straßen ab. Sie dürfen sich nicht über Funk mit dem Riesenschiff in Verbindung setzen.«
Radiowellen dehnten sich wie Lichtwellen aus, und die Ringweltatmosphäre hatte vermutlich eine Heaviside-Schicht.
Da war eine Straße in der Nähe der Burg, die sich kaum als Rollbahn eignete, weil sie mit Schlaglöchern übersät war. Da gab es auch flache Wiesen oder Felder in der Nähe. und es dauerte einige Minuten, ehe Chmeee sich beruhigt zurücklehnte. Alle Flugzeuge waren tote Ruinen.
»Der nächste Schritt«, sagte Louis. »Du kannst ja nicht alle männlichen Kzinti in der Burg umbringen. Hast du mir nicht erzählt, daß Kzinti-Weibchen nicht für sich selbst sorgen können?«
»Nein, das können. Louis, das ist ja das Eigenartige. Die Weibchen in der Burg sind weitaus intelligenter als die weiblichen Kzinti in unserem Patriarchat.«
»So intelligent wie du?«
»Nein! Aber sie verfügen wenigstens über einen gewissen Wortschatz.«
»Ist das möglich, daß deine Artgenossen auf den Welten des Patriarchats sich willenlose oder friedliche Weibchen herangezüchtet haben? Wäre es möglich, daß ihr euch ein paar hunderttausend Jahre lang weigertet, die intelligenten Weibchen zu decken? Schließlich züchtet ihr doch so gerne Sklaven.«
Chmeee bewegte sich unbehaglich. »Du magst recht haben. Auch die Männer sind hier anders. Ich versuchte, mit den Herrschern des Forschungsschiffes zu verhandeln. Ich zeigte ihnen meine Macht und wartete dann auf ein Verhandlungsangebot. Aber sie versuchten gar nicht erst zu verhandeln. Sie verhielten sich, als gäbe es nur zwei Möglichkeiten: jeder kämpft oder siegt, bis er tot umfällt. Ich mußte Chjarrl verspotten, seinen Ahnenstolz verletzen, ehe er mir etwas von der Geschichte dieser Welt erzählte.«