Louis schwebte zwischen den Schlafplatten wie ein Embryo im Mutterleib — mit geschlossenen Augen und angezogenen Knien. Aber seine Erinnerungen stürmten jetzt wieder auf ihn ein. »Das Landefahrzeug scheint mir in stilistischer Hinsicht eher ein Erzeugnis der Jirodaner zu sein. In Lizenz gebaut, aber trotzdem auf Jinx. Und wie steht es mit deinem Bett? Ein Kzin-Bett?«
»Ein künstliches Bett. Es sieht nur so aus, als wäre es die echte Haut eines Kzin. Zweifellos wurde dieses Machwerk heimlich in die irdischen Welten transportiert, als ein Zeichen von schwarzem Humor. Ich hätte den Herstellern mit Vergnügen selbst die Haut abgezogen.«
Louis schaltete das Kondensatoren-Feld ab. Das beendete seinen Schwebezustand: Er wurde so sanft wie in einem Fahrstuhl hinuntergetragen.
Draußen war es Nacht: Die scharfen Kontoren weißer Sterne waren über ihm, und um ihn herum breitete sich eine Landschaft aus schwarzem Samt aus. Auch wenn er sich einen Raumanzug beschaffen konnte, hätte er vielleicht den halben Planeten durchqueren müssen, ehe er wieder auf den Canyon stieß. Oder befand er sich gleich hinter diesem schwarzen Riff, das wie ein Messer in das Sternenlicht hinaufragte? Er wußte es nicht.
Der Nahrungsaufbereiter hatte zwei Tasten, die eine mit einer Interworld-Inschrift, die andere mit den Symbolen der Heldensprache. Es gab auch getrennte Toiletten, die seitlich an den Wänden der Kabine angeordnet waren. Louis hätte eine nicht so deutliche Trennung zwischen ihren verschiedenen Rassen bevorzugt. Er wählte auf der Scheibe des Küchengerätes ein Frühstück. Hoffentlich war wenigstens der Speisenzettel reichhaltig.
Der Kzin fauchte: »Hast du außer deinem leiblichen Wohl auch noch andere Interessen?«
»Sicher. Du brauchst nur auf den Boden der Kabine zu blicken.«
Der Kzin ließ sich auf die Knie fallen. »Hmmm. ja. Die Puppetiers haben diesen Hyperdrive-Shunt-Motor gebaut. Das muß das Schiff sein, in dem der Hinterste von der Planetenflotte der Puppetiers flüchtete.«
»Du hast die Transportscheiben vergessen. Die Puppetiers verwenden dieses Transportmittel nur auf ihrem eigenen Planeten. Bisher wenigstens. Doch dann tauchen plötzlich zwei menschliche Agenten auf dieser Scheibe in meinem alarmgesicherten Appartement auf.«
»Dann muß der Hinterste sie gestohlen haben. Vermutlich auch das Schiff und die übrigen Geräte. Vielleicht waren ihm die General-Products-Hersteller verpflichtet und halfen ihm aus der Patsche. Louis, ich glaube nicht, daß der Hinterste die Unterstützung einer politischen Partei hinter sich hat. Wir sollten lieber versuchen, die Flotte der Puppetiers zu erreichen.«
»Chmeee, wir müssen damit rechnen, daß hier Wanzen eingebaut sind.«
»Sollte ich wegen einem Pflanzenfresser meine Gedanken verleugnen?«
»Also gut. Betrachten wir die Sache nüchtern.« Die Depression, die ihn wieder überkommen hatte, äußerte sich als bitterer Sarkasmus. Und weshalb auch nicht? Chmeee hatte jetzt seinen Wonnestecker. »Ein Puppetier hatte sich erlaubt, Kzinti und Menschen zu kidnappen. Selbstverständlich werden die ehrenwerten Puppetiers seines Heimatplaneten darüber entsetzt sein. Würden sie uns dann gestatten, wieder auf die Erde oder in das Patriarchat zurückzukehren, damit wir unseren Artgenossen von dieser verbrecherischen Tat berichten? Zweifellos hat inzwischen das Patriarchat nicht geschlafen und sich mächtig angestrengt, noch mehr Raumschiffe von der Long-Shot-Serie zu bauen. Die Flotte dieser Schiffe könnte die Puppetier-Planeten in etwa vier Stunden wieder einholen. Selbstverständlich kostet es seine Zeit, bis man die Geschwindigkeit der beiden Flotten wieder angeglichen hat. Das bedeutet, man muß drei Monate hinzurechnen bei einer Schwerkraft von drei g.«
»Es reicht, Louis!«
»Tanj, wenn du einen Krieg vom Zaun brechen willst, hättest du hier eine Chance! Hast du vergessen, was Nessus uns berichtete? Die Puppetiers manipulierten den Ersten Menschheits-Kzin-Krieg. Zu unseren Gunsten. Nun sag bloß, du hättest dieses Geheimnis für dich behalten.«
»Sprich nicht weiter davon!«
»Sicher. Nur ist mir gerade eingefallen.« Louis sprach besonders deutlich, weil er überzeugt war, daß ihr Gespräch aufgezeichnet wurde — »,daß du, der Hinterste und ich die einzigen Personen im bekannten Universum sind, die von dieser Schandtat der Puppetiers wissen. Dazu kommen noch die Leute, denen wir das im Vertrauen mitgeteilt haben.«
»Das bedeutet, der Hinterste wäre nicht todunglücklich, falls wir auf der Ringwelt verlorengingen. Jetzt verstehe ich deinen Einwand. Aber der Hinterste weiß vielleicht gar nichts von der Indiskretion seines Geschlechtspartners.«
Er wird es spätestens erfahren, wenn er das Band zurückspult, dachte Louis. Er fiel mit vorgetäuschtem Heißhunger über sein Frühstück her. Er hatte es nach Gesichtspunkten der Einfachheit, aber auch Reichhaltigkeit zusammengestellt: eine halbe Grapefruit, ein Schokoladen-Souffle, gekochte Moa-Brüstchen, Jamaika-Kaffee (aus blauen Bergbohnen) mit einem Schuß Schlagsahne obenauf. Das meiste davon war recht gut gelungen. Nur die Schlagsahne war nicht zufriedenstellend. Aber was sollte er zu den Moa-Brüstchen sagen? Ein Genetiker des vierundzwanzigsten Jahrhunderts hatte den Moa rückgezüchtet, wie er behauptete, und der Nahrungsspender hatte eine Imitation des rückgezüchteten Moas geliefert. Das Fleisch sah gut aus. Es schmeckte wie ein saftiger Fasan.
Aber das Frühstück war nichts im Vergleich zu seinen Wonnestrom-Sitzungen.
Er hatte sich inzwischen daran gewöhnt, den halben Tag mit Depressionen zu verbringen. Vermutlich war die Depression nur ein Kontrast zu den Wonneperioden. Louis vermutete, daß die Depression der Normalzustand der Menschheit war. Daß er zudem noch von einem verrückten Fremdwesen gefangen gehalten wurde, machte seine Depression nicht viel schlimmer.
Als er mit seinem Frühstück fertig war, warf er das schmutzige Geschirr in die Toilette. »Was verlangst du von mir, damit du mir den Wonnestecker wieder zurückgibst?« fragte er.
Chmeee fauchte: »Was hast du denn anzubieten?«
»Versprechen, die ich mit einem Ehrenwort abgebe. Und ein paar Pyjamas.«
Chmeees Schwanz schnitt durch die Luft. »Früher warst du mal ein recht zuverlässiger Kamerad. Und was wirst du jetzt sein, wenn ich dir den Wonnestecker zurückgebe? Eine vertrottelte Bestie. Ich behalte den Stecker.«
Louis begann mit seinen Freiübungen.
Einhändige Liegestütze waren bei einer halben Schwerkraft kein Problem. Aber einhundert Liegestütze auf jeder Hand waren bereits eine Leistung. Die Kajüte eignete sich nicht für gewisse Übungen. Zum Beispiel konnte er keine Weitsprünge machen, wobei er die Zehen mit den Fingerspitzen berühren mußte.
Chmeee beobachtete ihn neugierig. »Wie kann es dazu gekommen sein, daß der Hinterste seine Bürgerrechte verlor?«
Louis antwortete ihm nicht. Er hatte die Zehen unter die untere Schlafplatte geklemmt und ein Brett unter seine Waden. Er übt das Aufsitzen in Zeitlupe.
»Und was hofft er eigentlich auf der Raumschiffseite der Ringwelt zu finden? Was fanden wir bei der ersten Expedition? Die Verzögerungsringe sind viel zu schwer. Wir können sie weder abmontieren, noch mit dem Raumschiff fortbringen. Hat er vielleicht irgendein Instrument in den Raumschiffen der Ringwelt im Auge?«
Louis wählte zwei Moa-Schenkel. Er wischte das Fett ab und begann dann, mit ihnen zu jonglieren. Sie waren so groß wie Holzkeulen. Der Schweiß lief ihm über Gesicht und die Arme.
Chmeees Schwanz zuckte über den Boden. Er legte seine großen rosenfarbenen Ohren zurück. Chmeee ärgerte sich. Aber das war sein Problem.
Im gleichen Moment materialisierte der Puppetier hinter einer undurchdringlichen, durchsichtigen Wand. Er hatte inzwischen seine Mähnentracht verändert, die Opale gegen Glitzersteine ausgetauscht. Er betrachtete einen Moment seine beiden Gefangenen und sagte dann: »Sie werden jetzt Ihren Stecker brauchen. Louis.«