»Ja.«
»Dann können wir nicht aufwärts beschleunigen, nur abwärts.«
»Möchtest du es einmal versuchen?«
»Was verlangst du noch? Ich würde am liebsten dort wieder anfangen, wo du dich anschicktest, den Hyperdrive-Motor zu verbrennen.«
»Das hat doch keinen Sinn jetzt.«
».oder noch lieber dort, ehe ich beschloß, einen Menschen und einen Kzin zu entführen. Das war vermutlich mein größter Fehler.«
»Ich sagte doch, wir vergeuden kostbare Zeit.«
»Es gibt keine Möglichkeit, die überschüssige Wärme der Heißen Nadel abzustrahlen. Wenn wir die Schubdüsen einschalten, bringt uns das nur eine oder zwei Stunden näher an den Moment heran, wo wir in den Stasis-Zustand übergehen und die weiteren Entwicklungen abwarten müssen.«
»Dann halten wir uns mit dem Zünden der Düsen noch zurück. Was zeigen uns die Tiefenradar-Instrumente?«
»Noch glühendes Gestein in allen vier Richtungen, das beim Abkühlen Sprünge bekommt. Ich werde das Sichtfeld etwas weiter ausdehnen. Louis.? Der Scrith-Boden befindet sich ungefähr sechs Meilen unter uns, unter dem Dach der Heißen Nadel. Eine viel dünnere Scrith-Decke befindet sich vierzehn Meilen über uns.«
Louis wurde von Panikgefühlen ergriffen. »Chmeee, hörst du das alles mit?«
Die Antwort erfolgte auf unerwartete Weise.
Louis hörte einen Schrei, der unmenschliche Schmerzen und Wut verriet, als Chmeee auf der Transportscheibe materialisierte und quer durch die Kabinen lief, sich mit beiden Armen das Gesicht verdeckend. Harkabeeparolyn konnte mit knapper Not dem Kzin ausweichen. Er stieß mit den Knien gegen das Wasserbett, fiel um und rollte auf den Boden.
Louis war sofort zur Duschkabine gelaufen. Er stellte die Düse auf volle Kraft, sprang auf das Wasserbett, stemmte seine Schulter in die Achselgrube des Kzin und hob ihn hoch. Chmeees Fleisch fühlte sich unter dem Pelz sehr heiß an.
Der Kzin stand auf und streckte sich dem kalten Wasserstrahl entgegen. Er drehte sich, bis ihm das Wasser über die Achseln, den Rücken und die Brust rann. Dann, als das kalte Wasser ihn überall abgekühlt hatte, hielt er das Gesicht in den Wasserstrahl. Dann sagte er: »Woher wußtest du, was passiert ist?«
»Man konnte es riechen«, erwiderte Louis. »Versengtes Fell. Wie konnte das geschehen?«
»Plötzlich brannte ich. Ein Dutzend roter Lichter glühten auf der Instrumententafel. Ich machte einen Satz auf die Transportscheibe. Das Landungsboot ist auf Selbststeuerung geschaltet, wenn es inzwischen nicht zerstört wurde.«
»Das werden wir später herausfinden müssen. Die Heiße Nadel ist in heißer Lava eingeschlossen. Hinterster?« Louis wandte sich dem Kommmandodeck zu.
Der Puppetier war zu einer Kugel zusammengerollt und steckte seine Köpfe in den Bauchnabel.
Er hatte einen Schock zuviel erlitten. Ein Wunder war es nicht.
Ein Monitor auf dem Kommandodeck zeigte ihnen ein Gesicht, das ihnen nicht ganz unvertraut war.
Das gleiche Gesicht, nur vergrößert, füllte nun das Rechteck aus, das vorher noch eine Tiefenradar-Projektion gewesen war. Eine Maske von einem Gesicht, menschenähnlich, nur wie aus altem Leder gemacht. Das Gesicht war haarlos. Die Kiefer waren zu harten zahnlosen Schnabelenden geworden. Unter der weit vorspringenden Stirn blickten die Augen Louis Wu nachdenklich an.
30. Die Räder im Getriebe
»Mir scheint, du hast deinen Piloten verloren«, sagte der ledergesichtige Eindringling. Er schwebte vor dem Schiffsrumpf: der mißgestaltete Kopf mit den wie eine Melone geformten Schultern eines Protektors — ein Geist in dem schwarzen Gestein, das sie gefangen hielt.
Louis konnte nur nicken. Die Schocks waren zu rasch aufeinander gefolgt und kamen aus den falschen Richtungen. Er spürte, daß Chmeee tropfnaß neben ihm stand und schweigend einen möglichen Feind betrachtete. Die Städtebauer waren stumm. Wenn Louis ihren Gesichtsausdruck richtig deutete, überwog die Ehrfurcht ihre Angst.
Der Protektor sagte: »Damit seid ihr endgültig gefangen. Bald müßt ihr euch in den Zustand der Stasis begeben, und wir brauchen nicht darüber zu reden, was dann passiert. Ich bin erleichtert. Ich fragte mich schon, ob ich es fertigbrächte, euch selbst zu töten.«
Louis sagte: »Wir glaubten, ihr wäret alle tot.«
»Die Pak starben vor zweihundertfünfzigtausend Jahren aus.« Die zu einem Schnabel vereinigten und gehärteten Lippen und Gaumen verzerrten zwar die Konsonanten, aber er sprach ein verständliches Interworld. Warum ausgerechnet Interworld? »Eine Seuche raffte sie hinweg. Deine Annahme, daß alle Protektoren tot seinen, war richtig. Aber der Lebensbaum gedeiht immer noch unter der Weltkarte des Mars. Manchmal entdeckt jemand den Zugang zu dieser Wunderpflanze. Ich vermute, daß die Unsterblichkeitsdroge hier destilliert wurde, wenn ein Protektor irgendein Projekt finanzieren wollte.«
»Wo hast du Interworld gelernt?«
»Ich bin mit dieser Sprache aufgewachsen. Louis, erkennst du denn mich nicht wieder?«
Es war wie ein Dolchstoß in den Magen. »Teela! Wie konntest du dich so verwandeln?«
Ihr Gesicht war hart wie eine Maske. Wie hätten sich darauf Gefühle spiegeln können? Sie sagte: »Wissen ist Macht. Du kennst das Sprichwort? Sucher hielt Ausschau nach dem Fuß des Himmelsbogens. Ich breitete meine höhere Bildung vor ihm aus. Ich sagte ihm, daß der Himmelsbogen kein Fundament besitzt, sondern diese Welt ein Ring sei. Das war eine Weisheit, die ihn zutiefst erschütterte. Ich sagte ihm, wenn er nach dem Ort suche, von dem aus er die Welt regieren könnte, müßte er die Werkstatt suchen.«
»Das Reparaturzentrum«, sagte Louis. Ein Seitenblick auf das Flugdeck zeigte ihm den Hintersten als einen verlängerten Dreifuß, der mit roten und blauen Steinen geschmückt war.
»Selbstverständlich mußte aus der Werkstatt inzwischen ein Reparaturzentrum geworden sein. Auch eine Zentrale der Macht«, erwiderte der Protektor. »Sucher erinnerte sich wieder an die Märchen vom Großen Ozean. Der Große Ozean schien uns der richtige Ort für so eine Zentrale zu sein, weil er durch die natürlichen Hindernisse der Entfernung, der gewaltigen Stürme und einem Dutzend räuberische Ekologien geschützt wurde. Astronomen hatten den Großen Ozean von verschiedenen Standorten auf der Ringwelt aus vermessen und studiert.
Sucher war bei seinen Wanderungen mit ihnen zusammengetroffen und hatte dabei so viele Kenntnisse gesammelt, daß er uns Karten vom Großen Ozean anfertigen konnte.
Wir waren sechzehn' Jahre auf dem Großen Ozean unterwegs. Die Erlebnisse unserer Reise würden ausreichen für zahllose neue Legenden. Wußtest du, daß die Weltkarten des Ozeans mit Lebewesen bestückt sind? Die Kzinti haben die Weltkarte der Erde kolonisiert. Wir hätten die Seereise nie bewältigen können, wenn wir nicht ein Kolonialschiff der Kzinti erbeutet hätten. Es gibt Inseln im Großen Ozean, die riesige Lebensformen darstellen. Ihre Rücken sind bewachsen; aber diese Geschöpfe tauchen unter, wenn ein Seefahrer es am wenigsten erwartet.«
»Teela! Wie konntest du dich in so eine Gestalt verwandeln?«
»Ich ahnte vieles, wußte aber nicht alles, Louis. So kam ich nie darauf, wer die Ringwelt gebaut haben konnte, bis es zu spät war.«
»Aber du hattest doch immer Glück!«
Der Protektor nickte. »Ich war für das Glück herangezüchtet worden, von Pierson-Puppetiers, die die Fruchtbarkeitsgesetze der Erde manipulierten und die Geburtsrecht-Lotterien ins Leben riefen. Du warst davon überzeugt gewesen, daß diese Manipulation von Erfolg gekrönt war. Ich hielt das immer für einen Unsinn. Louis, willst du wirklich glauben, daß sechs Generationen von Geburtsrechts-Lotteriegewinnern ein menschliches Wesen zeugen mußten, — daß immer Glück hat?«