Louis antwortete nicht darauf.
»Nur ein einziges Wesen dieser Art?« Sie schien ihn auszulachen. »Denke doch an das Glück aller Nachkommen aller Menschen, die die Geburtsrecht-Lotterie gewonnen haben. In zwanzigtausend Jahren sind diese Glücklichen bestimmt schon längst auf der Flucht vor der Explosion des galaktischen Kerns. Warum nicht an Bord der Ringwelt? Sie bietet drei Millionen mal soviel Wohnfläche wie die Erde, und die Ringwelt kann bewegt werden, Louis. Die Ringwelt ist ein Glückstreffer für alle jene noch ungeborenen Nachkommen der Leute, die für das Glück herangezüchtet wurden. Wenn ich die Ringwelt retten kann, dann ist es für diese Nachkommenschaft ein Glück, daß ich vor dreiundzwanzig Jahren hierher gekommen bin, und es war für sie auch ein Glück, daß Sucher und ich den Eingang der Ringwelt-Zentrale im Mons Olympus fanden. Es war deren Glück, aber nicht meines!«
»Hat auch er sich verwandelt?«
»Sucher starb natürlich. Wir beide wurden fast wahnsinnig vor Hunger nach der Lebensbaum-Wurzel. Aber Sucher war tausend Jahre zu alt dafür. Der Lebensbaum tötete ihn.«
»Ich hätte dich niemals hier zurücklassen dürfen«, sagte Louis.
»Ich ließ dir gar keine Wahl. Ich hatte selbst keine — wenn du an das Glück glaubst. Auch jetzt habe ich kaum eine Alternative. Die Instinkte sind sehr stark in einem Protektor.«
»Glaubst du an das Glück?«
Sie sagte: »Nein. Ich wünschte, ich könnte daran glauben.«
Louis bewegte die Arme — eine Geste der Hilflosigkeit — und wandte sich ab. Hatte er nicht längst gewußt, daß er Teela Brown wiedertreffen würde? Aber nicht in dieser Gestalt! Er stellte das Schlaffeld an und schwebte im freien Fall.
Der Hinterste hatte den richtigen Einfall gehabt. Man mußte sich in seinen eigenen Bauchnabel verkriechen.
Aber die Menschen können leider nicht ihre Ohren verschließen. Louis schwebte halb zusammengerollt nach oben, die Arme vor dem Gesicht. Aber er hörte:
»Dolmetscher, ich beglückwünsche dich dazu, daß du deine Jugend zurückgewonnen hast.«
»Mein Name ist Chmeee.«
»Ich bitte um Entschuldigung«, erwiderte der Protektor. »Chmeee, wie bist du hierher gekommen?«
Der Kzin erwiderte: »Ich bin ein dreifach gefangenes Wesen. Zuerst wurde ich von dem Hintersten entführt, dann von Louis daran gehindert, der Ringwelt zu entrinnen, und jetzt werde ich noch von Teela Brown unter dem Mars festgehalten. Das ist eine Unglückskette, die ich durchbrechen muß. Willst du mit kämpfen, Teela?«
»Nicht eher, bist du mich erreichen kannst, Chmeee.«
Der Kzin wandte sich ebenfalls von ihr ab.
»Was verlangst du von uns?« Das war Kawaresksenjajok, der sich schüchtern in der Sprache der Städtebauer meldete. Seine Frage kam als Interworld-Echo aus dem Übersetzer.
»Nichts«, gab Teela in der Sprache der Städtebauer zurück.
»Weshalb sind wir dann hier?« »Um nichts zu tun. Ich habe dafür gesorgt, daß ihr nichts unternehmen könnt.«
»Das verstehe ich nicht.« Der Junge war den Tränen nahe. »Warum willst du uns hier lebendig begraben?«
»Kind, ich tue, was ich tun muß. Ich muß eins Komma fünf mal zehn hoch zwölf Mordfälle verhindern.«
Louis öffnete jetzt wieder die Augen.
Harkabeeparolyn widersprach mit leidenschaftlicher Stimme: »Aber wir sind doch hierhergekommen, um den Tod so vieler Wesen zu verhindern! Weißt du denn nicht, daß die Welt aus den Fugen geraten ist und in ihre Sonne hineinrutscht?«
»Das weiß ich. Ich stellte den Reparaturtrupp zusammen, der die Steuerdüsen wieder in ihre Halterungen an der Mauerkrone der Ringwelt befestigte, aus denen deine Vorfahren sie gestohlen haben, um den Schaden, den ihr angerichtet habt, wieder auszubessern.«
»Luweewu behauptet, die Steuerdüsen reichten nicht aus!«
»Das ist richtig.«
Louis Wu hörte ihnen jetzt gespannt zu.
Die Bibliothekarin schüttelte den Kopf. »Dann verstehe ich dich nicht.«
»Mit den wenigen Steuerdüsen, die jetzt wieder arbeiten, können wir die Lebensspanne der Ringwelt um ein Jahr verlängern. Ein zusätzliches Lebensjahr für drei mal zehn hoch dreizehn intelligente Wesen entspricht zusätzlich tausend Lebensjahren für jeden Bewohner der Erde. Die Tat lohnte sich also. Meine Mitarbeiter stimmten mir zu, sogar jene, die nicht zu den Protektoren gehören.«
Louis konnte die Linien von Teela Browns Gesicht in der Ledermaske des Protektoren wiedererkennen. Die Gelenke an den Scharnieren der Kiefer waren verdeckt, der Schädel angeschwollen, um das größere Gehirn aufnehmen zu können. aber er erkannte Teela wieder, und das schmerzte ihn tief. Warum geht sie nicht fort?
Eingefahrene Gewohnheiten lassen sich nicht so rasch ausmerzen, und Louis hatte einen analytischen Verstand. Er dachte: Warum geht sie nicht fort? Ein sterbender Protektor auf einer zum Untergang verurteilten Kunstwelt! Sie hat doch keine Minute zu vergeuden, um mit einer Gruppe von zeugungsfähigen Wesen zu sprechen, die in einer Falle sitzen. Was denkt sie sich dabei?
Er wandte sich ihr wieder zu: »Du hast also den Reparaturtrupp zusammengestellt. Woraus besteht er?«
»Die meisten hominiden Wesen hören mir wenigstens zu. Mein Aussehen half mir. Ich stellte einen Trupp von mehreren hunderttausend Mitgliedern der verschiedensten Rassen zusammen. Drei von ihnen brachte ich hierher, damit sie sich in Protektoren verwandelten: einen Vertreter des Schüttberg-Volkes, des Nacht-Volkes und der Vampire. Ich hoffte, daß sie vielleicht einen Ausweg fänden, der mir verborgen geblieben ist. Sie entstammten verschiedenartig mutierten Rassen, und deshalb mußten sie auch einen anderen Standpunkt einnehmen als ich. Der Vampir war vor seiner Verwandlung noch ein nur halb intelligentes Wesen.
Aber sie enttäuschten mich«, fuhr Teela fort. Sie verhielt sich wahrhaftig so, als hättte sie Zeit. Zeit, um sich mit gefangenen fremden Wesen und fortpflanzungsfähigen Hominiden zu unterhalten, bis die Ringwelt mit den
Sonnenblenden zusammenstieß! »Sie fanden keine bessere Lösung. Und deshalb hängten wir die noch vorhandenen Bussard-Rammdüsen an die Mauer der Ringwelt. Wir haben sie inzwischen bis auf eine wieder in Betrieb gesetzt. Unter der Leitung des letzten noch lebenden Protektors wird meine Reparaturmannschaft das letzte noch intakte Raumschiff wieder in Dienst stellen und damit zu einem benachbarten Stern fliegen. Ein paar Bewohner der Ringwelt werden die Katastrophe überleben.«
»Kehren wir zu der Frage zurück, die ich anfangs stellte«, sagte Louis. »Deine Mannschaft ist fieberhaft bei der Arbeit, ein Raumschiff für die Flucht vorzubereiten. Aber du bist hier. Weshalb?« Ich habe recht! Sie will uns etwas mitteilen!
»Ich kam hierher, um den Mord an fünfzehnhunderttausend Millionen intelligenten menschlichen Wesen zu verhindern. Ich ortete die Neutrino-Auspuffgase aus Schubdüsen, die nur im menschlichen Universum gebaut werden, und daher eilte ich zu der Stelle zurück, die allein als Tatort in Frage kommt. Ich wartete. Und jetzt seid ihr hier.«
»Wir sind hier«, gab Louis zu. »Aber du weißt verdammt genau, daß wir nicht herkamen, um einen Massenmord zu begehen.«
»Du wärst auch zum Massenmörder geworden.«
»Wieso?«
»Das kann ich dir nicht sagen.«
Sie zeigte auch keine Neigung, das Gespräch zu beenden. Das war schon ein einzigartiges Spiel, das Teela mit ihnen trieb. Sie mußten die Spielregeln selbst erraten. Louis fragte: »Nehmen wir an, du könntest die Ringwelt retten, indem du eineinhalb Billiarden Bewohner der Ringwelt in den Tod schickst. Anderthalb Billiarden von dreißig Billiarden, die diesen Planeten bewohnen. Einem Protektor würde diese Entscheidung doch nicht schwerfallen, nicht wahr? Fünf Prozent zu opfern, um fünfundneunzig Prozent zu retten. Es scheint mir ein. ein gutes Ergebnis zu sein.«