»Unsere Insel bietet euch ein Kriegsbündnis. Wir möchten eine Inselkonföderation mit euch bilden«, sagte ich so laut, dass auch die herbeilaufenden Mädchen es hören konnten.
Nachdem Achmet einige Sekunden über meine Worte nachgedacht hatte, bildeten sich zwei tiefe Furchen auf seiner Stirn. »Macht, dass ihr von hier verschwindet, verstanden! Wir haben nicht vor, die Regeln des Spiels zu brechen.«
»Die Regeln werden nicht gebrochen«, entgegnete ich. »Die erste Regel, wonach man sich nicht freiwillig ergeben darf, wird eingehalten, denn wir werden mit voller Kraft kämpfen, nur eben zusammen. Die Bedingung für
»Das ist nicht in Ordnung, das ist … ähm …« Achmet suchte vergeblich nach einem passenden Wort. »Da gibt es keine Diskussion.«
»Die gibt es doch«, warf unvermittelt das groß gewachsene Mädchen ein, das von hinten an Achmet herangetreten war und ihn nun resolut zur Seite schob. »Lora«, stellte sie sich vor und gab mir die Hand.
Ich warf einen Seitenblick auf Inga und bemerkte, dass sich ein triumphierendes Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete. Als wir gestern Abend die letzten Details besprochen hatten, hatte sie gesagt: »Wenn Genka noch nicht wieder auf den Beinen ist, ist sicher Achmet der Boss auf der Insel. Und der wird das tun, was Lora ihm sagt.«
5
FRIEDE UM DES KRIEGES WILLEN
Mitten in der Nacht wachte ich auf. Zum Fenster lugend, hoffte ich auf einen Hauch von Morgendämmerung, wurde jedoch enttäuscht. Draußen herrschte undurchdringliche Finsternis. Es schien eine ganz gewöhnliche, frostige Nacht zu sein: Der Wind blies heulend um die Burg, und durch das undichte Fenster sickerte feuchte Kälte herein. Die Vorstellung, jetzt aufzustehen und durch die kalten Gänge zu tapsen, war wenig einladend, aber dummerweise musste ich pinkeln. Noch einmal wälzte ich mich herum und versuchte, wieder einzuschlafen. Es war zwecklos.
Während ich in meine Jeans schlüpfte, überlegte ich, ob ich mich ins »offizielle« Pissoir im Erdgeschoss bemühen oder einfach ein Stück auf die Brücke hinausgehen sollte. Da Letzteres bequemer und vor allem nicht so weit war, entschied ich mich für die bei Jungen so beliebte archaische Lösung und kletterte zum Fenster hinaus.
Als ich nach wenigen Minuten von der Brücke zurückkam, war leider jeder Rest von Müdigkeit im kalten Wind verflogen. Da ich nicht die geringste Lust verspürte, mich wieder ins Bett zu legen, stieg ich die Treppe hinunter und begab mich zum Thronsaal, aus dessen halb geöffneter Tür leise Stimmen und das flackernde rötliche Licht des Kaminfeuers herausdrangen. Ich spähte in den Saal hinein und sah, dass Chris wie so oft in der letzten Woche
»Es ist ganz einfach. Wirklich total einfach!«, erklärte er mit vor Eifer glühenden Augen, in denen sich das lodernde Feuer zu spiegeln schien. Er sprach mit erregter Stimme und gestikulierte dabei heftig. »Die Regeln werden strikt eingehalten. Es kann natürlich sein, dass wir hier ein Schlupfloch ausnutzen, das ursprünglich so nicht vorgesehen war. Trotzdem hat niemand das Recht, uns dafür zu bestrafen.«
»Und wenn man uns doch bestraft?« Chris’ Gesprächspartner kannte ich nur flüchtig. Er war am vergangenen Abend über das Territorium der Insel Nr. 24 zu uns gekommen. Zwar war dieser hagere Kerl auf seiner Insel - wenn ich mich recht entsann, war es die Nr. 27 - nicht der Anführer, aber er war Russe, was ihn für die Verhandlungen mit uns prädestinierte. Denn die übrigen Bewohner seiner Insel waren allesamt Italiener und Schweden. Im Allgemeinen schienen die Außerirdischen bestrebt, die Inseln von der Nationalität her möglichst einheitlich zu besetzen; was sie in diesem Fall dazu veranlasst hatte, die temperamentvollen Bewohner der Apenninhalbinsel mit den kühlen Skandinaviern zusammenzupferchen, war mir völlig schleierhaft.
»Wenn sie uns bestrafen …« Chris hob missbilligend die Schultern. »… dann weiß ich auch nicht. Trotzdem müssen wir es riskieren. Zur Konföderation gehören jetzt schon drei Inseln, und bis jetzt hat uns niemand ein Haar gekrümmt. Eine Insel allein hat ohnehin keine Chance zu siegen.«
»Wie müssten wir uns in der Konföderation denn verhalten?«, fragte der Kämpfer.
»Nicht gegen die Inseln der Konföderation kämpfen«, erwiderte Chris lapidar.
»Und das ist alles?«
»Das ist alles. Natürlich können sich verbündete Inseln gegenseitig mit Kämpfern aushelfen und Informationen austauschen. Man kann einander besuchen.«
Unser Gast setzte plötzlich ein breites Lächeln auf, und seine Äuglein blitzten schelmisch.
»Das mit dem Besuchen finde ich schon mal sehr gut«, sagte er und deutete auf seinen leeren Teller. Lera hatte ihm bei seiner Ankunft strahlend vor Stolz eine riesige Portion russische Pelmeni vorgesetzt. Mit dem Hinweis, er habe sich seit Monaten ausschließlich von Spaghetti und Köttbullar ernähren müssen, hatte sich unser Gast gierig über die gefüllten Teigtaschen hergemacht.
Außer Chris und seinem Verhandlungspartner saßen noch Achmet und Timur im Thronsaal. Während der Kommandeur der Insel Nr. 24 dem Gespräch aufmerksam folgte, schien Timur etwas gelangweilt auf dem Sofa zu dösen. Am Tag war auch der Anführer der Insel Nr. 12 bei uns zu Besuch gewesen, jener gutmütige Salif, der sich während meiner ersten Brückenwache als Wilder ausgegeben hatte. Er hatte die Insel jedoch kurz vor Trennung der Brücken wieder verlassen, nachdem er mit Chris gemeinsame Operationen für den kommenden Tag abgesprochen hatte.
Nach Strategiegesprächen war mir nicht zumute, deshalb entfernte ich mich wieder von der Tür. Unschlüssig schlenderte ich durch den Gang und bemerkte, dass ich allmählich wieder schläfrig wurde. Überraschend für mich selbst schlug ich den Weg zum Wachturm ein. Obwohl sich der Turm vom Ufer aus gesehen direkt über den
In das Rauschen des Windes mischte sich plötzlich ein leises Wimmern, was in durchwachten Nächten auf der Insel gar nicht selten geschah. Jemand weinte, und es war nicht schwer zu erraten, wer. Die Kammer unter dem Wachturm diente wahlweise als Waffenlager oder, wie in den letzten Tagen, als Gefängnis.
Auf Zehenspitzen linste ich durch einen schmalen Schlitz, der sich in der Tür des mit einer schweren Eisenstange verriegelten Kerkers befand. Es war kaum etwas zu erkennen, da es draußen immer noch dunkel war und durch die dicken Gitterstäbe im Fenster nur wenig Licht drang. Das Wimmern kam aus der hintersten Ecke des Raumes, wo sich schemenhaft das Gestell einer niedrigen Pritsche abhob.
»Maljok!«,rief ich leise, um den kleinen Teufel nicht zu erschrecken.
Das Weinen hörte auf, die Pritsche ächzte, und Maljoks Silhouette setzte sich auf. In der ersten Nacht hatte er noch auf dem Boden geschlafen, am nächsten Tag hatten ihm Meloman und Ilja dann mit dem stillen Einverständnis der anderen eine Holzpritsche und Bettzeug gebracht.
»Dima, bist du’s?«, hauchte er mit bebender Stimme.
»Ja, hab keine Angst«, erwiderte ich mit einem Anflug von Mitleid.
»Ich habe überhaupt keine Angst«, sagte Maljok trotzig und schlappte zur Tür. Durch den Schlitz drang ein kaum spürbarer Lufthauch.
»Hasst du mich, Dima?«
»Ich weiß nicht«, entgegnete ich unschlüssig.
»Dann verachtest du mich?« In Maljoks Stimme schwang leise Hoffnung mit.
»Ja.« Diesmal war ich mir sicher.
Nach kurzem Schweigen raschelte etwas, und Maljoks Kopf näherte sich dem Türschlitz.
»Dima, wenn es dir nicht zuwider ist, nimm meine Hand.«
Irritiert legte ich meine Hand auf seine Finger, die er durch den Schlitz gesteckt hatte.
»Danke«, flüsterte er. »Hör zu, wenn jemand vorschlagen sollte, mich aus dem Turm zu befreien, oder wenn ich selbst darum bitten sollte, lass das auf keinen Fall zu.«