Выбрать главу

Angetrieben von einem sanften, gleichmäßigen Wind, glitt die Aliens Nightmare behäbig durch den nahezu glatten Ozean, dessen Wasseroberfläche sich nur dezent kräuselte und smaragdgrün in der Sonne schimmerte. Das Wetter war perfekt - ein bisschen zu perfekt, wie eine innere Stimme mir sagte.

Gedankenverloren stand ich auf und betrachtete die Burg, an der wir gerade ziemlich dicht vorbeisegelten. Düster, eckig und grau ragte sie empor, fügte sich also nahtlos ins trübe Bild meiner besorgten Stimmung. Auch die Insel selbst, die nur aus Felsen zu bestehen schien und keine Spur von Pflanzenbewuchs aufwies, machte einen kalten, abweisenden Eindruck. Lediglich die rosafarbenen Brücken sahen einigermaßen hübsch aus. In den Fenstern der Burg war niemand zu sehen, und von der Brücke, unter der wir gleich hindurchsegeln würden, drang kein Laut herab.

»Sollen wir dort mal an Land gehen?« Ich deutete mit dem Arm auf das unwirtliche Eiland.

Tom zog unwillig die Schultern hoch und setzte ein gekünsteltes Lächeln auf. Er hatte offensichtlich nicht die geringste Lust, an dieser Küste an Land zu gehen.

»Our island - next«, schlug ich vor.

Tom nickte und streckte sich wieder aus. In diesem Augenblick hörte ich plötzlich ein Pfeifen, das allmählich lauter wurde und sich wie eine feine Nadel ins Ohr bohrte. Das Pfeifen erinnerte an das Geräusch einer herabfallenden Bombe, obwohl es viel leiser und dünner klang. Auch endete es nicht mit einer Explosion, sondern mit einem kurz aufeinanderfolgenden Ratsch … Ratsch … Tschock!

Nachdem es unser Segel aufgeschlitzt und eines der vielen Taue, deren Namen ich mir nicht merken konnte, durchtrennt hatte, bohrte sich ein langes, schmales Schwert in die Holzbohlen unseres Decks.

Wie von der Tarantel gestochen, sprangen Timur und Janusch vom Kajütendach herunter. Tom stürzte zum Mast und machte sich an den heil gebliebenen Tauen zu schaffen. Timur griff sich eine Armbrust, legte sie an der Schulter an und zielte auf die Brücke hinauf, unter der wir soeben hindurchgesegelt waren.

Auf der Brücke war niemand zu sehen. Die Übeltäter hatten sich offenbar flach auf den Brückenboden gelegt.

»Feige Schweine«, schrie ich, lief zu dem Schwert und zog es aus dem Holzboden. Noch immer funkelte es stählern und feindlich. Mit welchem Hass musste es wohl geschleudert worden sein, dass es sich den fremden Händen so lange widersetzte!

Das Segel war mit einem Ruck in zwei Hälften geschnitten worden und hing schlaff und wirkungslos von der Rahe. Die Aliens Nightmare dümpelte antriebslos in unmittelbarer Nähe der Brücke. Hektisch packte Tom das Ersatzsegel aus.

»Los! Speed!«, kommandierte er aufgeregt.

So schnell wir konnten, holten wir das kaputte Segel ein. Inga schleifte es auf das Achterdeck, während wir das Ersatzsegel, das Rita mühevoll aus diversen Fetzen zusammengenäht hatte, befestigten. Ohne seine Armbrust aus der Hand zu legen, zog Timur die Knoten an den Fallen fest.

Es erfolgte jedoch kein weiterer Angriff. Entweder hatten die Feinde keine Armbrüste und Bogen zur Verfügung, oder sie hatten Angst, selbst einen Pfeil abzubekommen. Auf uns herabfallende Schwerter brauchten wir nun nicht mehr zu befürchten, da uns die Strömung bereits ein Stück weit abgetrieben hatte.

Nachdenklich begutachtete ich die feindliche Klinge, die endlich ihren stählernen Glanz verloren hatte. Als unser Schiff wieder Fahrt aufgenommen hatte und sich in sicherer Entfernung von der Brücke befand, entspannte sich auch Timur, legte die Armbrust beiseite und kam zu mir herüber.

»Kein schlechtes Schwert«, brummte er anerkennend.

»Wohl wahr«, pflichtete ich ihm bei und fuhr mit dem Finger die fein geschliffene Schneide entlang. »Allerdings habe ich nicht die geringste Lust, mit seinem Besitzer Bekanntschaft zu schließen.«

Timur zwinkerte mir zu. »Der Archipel endet hier. Wenn wir an der nächsten Insel auch noch vorbeifahren, schippern wir ins offene Meer hinaus.«

»Wir sollten bei nächster Gelegenheit anlegen«, sagte ich, seine Gedanken erratend.

»Guter Plan«, erwiderte er und fügte, sich genüsslich streckend, hinzu: »Man kommt ja sonst auch ganz außer Form.«

Die Aliens Nightmare hielt direkt auf die nächste Insel zu, die zu den kleineren auf dem Archipel gehörte und auf den ersten Blick einen recht sympathischen Eindruck machte. Aus einem dichten Grüngürtel ragten die weißen Wände der Burg empor. Und an der Küste befand sich ein schmaler Sandstrand, auf dem sich eine kleine Schar Jungen versammelt hatte und uns entgegenstarrte.

Die warten schon auf uns, dachte ich.

8

SERGEJ VON DER INSEL NR. 4

Etwa dreißig Meter vor dem Strand der Insel wies Tom Janusch an, das Segel zu fieren, und kurbelte selbst am Steuerrad. Die Aliens Nightmare drehte sanft bei. So waren wir weit genug entfernt, um notfalls schnell wieder Fahrt aufzunehmen und zu flüchten, falls die Jungen sich ins Wasser stürzen und versuchen sollten, unser Schiff zu entern. Gleichzeitig waren wir nahe genug am Ufer, um uns mit den Bewohnern der Insel durch Zurufen verständigen zu können.

Tom machte den Anfang. Er stellte sich auf das Achterdeck und rief das unvermeidliche »Do you speak English?« zum Strand hinüber.

Nach einer kurzen Pause erfolgte die Antwort: »Je parle un peu anglais. Parlez-vous français?«

Eine Übersetzung erübrigte sich.

Tom wollte dem »ein wenig Englisch verstehenden« Franzosen gerade etwas zurufen, als Timur ihm zuvorkam: »Hey, kann denn keiner von euch ein bisschen Russisch?«

Ein dunkelhaariger, stämmiger Junge trat aus der Schar heraus nach vorn.

»Was heißt ein bisschen, ich bin Russe«, rief er.

»Der einzige?«, fragte Timur.

»Ja. Woher seid ihr?«

»Von der Insel Nr. 36.«

»Oho! Legt an.«

»Wir haben kein Anlegetau dabei«, log Timur grinsend. »Wir schlagen einen Austausch von Parlamentären vor. Einer von euch schwimmt zu uns rüber und einer von uns zu euch auf die Insel.«

Die Jungen am Strand berieten sich kurz.

»Einverstanden. Aber ohne Waffen.«

»Okay.«

Timur sah mich an. »Sollen wir Streichhölzer ziehen?«

»Was soll der Unsinn, Tim«, erwiderte ich. »Schließlich bist du uns hier mit Waffen viel nützlicher als ich.«

Inga, die hinter Timur stand, warf mir einen vernichtenden Blick zu, mischte sich aber nicht ein.

»Wo er recht hat, hat er recht«, sagte Janusch eifrig nickend.

Rasch zog ich mich bis auf die Badehose aus und sah zum Ufer hinüber. Dort hatten sie ebenfalls einen Unterhändler ausgewählt; es war der Junge, der Tom geantwortet hatte, dass er ein wenig Englisch verstünde.

Wir sprangen gleichzeitig ins Meer. Als ich unter Wasser die Augen öffnete, sah ich das schaukelnde Oval unseres Bootes, Stränge grünen Seetangs, die sich auf dem steinigen Grund in der Strömung schlängelten, und einen Schwarm winziger silbriger Fischchen. Die Sonne schien bis auf den Grund durchs klare Wasser. Vor mir konnte ich sogar das näher rückende Ufer sehen und Girlanden von Luftblasen an der Stelle, wo der französische Parlamentär ins Wasser gesprungen war.

Etwa auf halber Strecke zwischen unserem Boot und dem Strand tauchte ich auf, wenige Meter vor dem mir langsam entgegenschwimmenden Jungen. Auf gleicher Höhe angekommen, blieben wir, mit Armen und Beinen rudernd, für einen Moment im Wasser stehen. Der

Als ich am Ufer aus dem Wasser stieg, begrüßte mich der dunkelhaarige Junge mit Handschlag. »Sergej«, sagte er lächelnd. »Für die anderen Serge, aber das gilt natürlich nicht für dich.«