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»Was für Fremde denn?«

»Na, die Insel Nr. 36 ist doch russisch. Euer Kommandeur aber ist Chris, ein Amerikaner.«

»Engländer!«, verbesserte ich.

»Spielt doch keine Rolle … Und auf unserer Insel, wo fast alle Franzosen sind, wurde ich als Russe zum Präsidenten gewählt.«

»Und wieso?«

»Keine Ahnung. Deshalb sage ich ja: das kleine Geheimnis der Inseln.«

»Und worin besteht dann, bitte schön, das große Geheimnis?«

Sergej machte sich nicht lustig über mich. Es war einfach seine Art, sich zu unterhalten, dass er immer nur scheibchenweise mit dem herausrückte, was er sagen wollte, wie ein Lehrer in der Schulstunde, der seine Schüler auf diese Weise zum Mitdenken anregen möchte.

»Das große Geheimnis?« Sergej gab sich erstaunt über meine Frage. »Wozu sind sie da, die vierzig Inseln?«

Irgendwo in der Burg, hinter verschlungenen Korridoren und dicken Türen, in irgendwelchen Kammern, vielleicht in einem anderen Stockwerk, hörte man immer wieder leises Gelächter. Aus dem Trainingssaal drang kaum hörbar das dumpfe Klappern der Holzwaffen, wahrscheinlich demonstrierte Timur unseren Gastgebern gerade die Vorzüge des Kampfes mit zwei Schwertern gleichzeitig. Niemand in der Burg stellte sich irgendwelche dummen Fragen: wozu die Inseln gut waren, wie viele Sterne am Himmel stehen, oder wie viele Tage jeder von uns noch zu leben hatte. Nur ich musste mir mit dem phlegmatischen Präsidenten der Insel Nr. 4 den Kopf darüber zerbrechen. Was heißt musste? Theoretisch hätte ich auch zu Timur oder Tom oder sogar zu Inga gehen können.

»Sergej, wie denkst du darüber? Hältst du es für möglich, dass diese Außerirdischen uns erforschen?«, fragte ich.

»Natürlich nicht«, erwiderte er kopfschüttelnd. »Die Inseln existieren seit mindestens achtzig Jahren. Was sollte man so lange erforschen. Noch dazu unter vollkommen idiotischen Bedingungen.«

Sergej griff zum Wasserkocher und goss sich noch eine Tasse des löslichen Kaffees auf. Dabei machte er ein so zufriedenes Gesicht, als säße er, die Mathematikstunde schwänzend, mit seinem besten Schulfreund in einem Eiscafé.

»Um die menschliche Psychologie zu erforschen, müsste man eine ganze Gesellschaft erschaffen, und zwar eine sehr komplexe. Mindestens eine Stadt, besser

»Warum ist es unerwünscht?«, fragte ich, und ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Noch drei Jahre, und das sollte es dann schon gewesen sein?

»Weißt du«, sagte Sergej mit leuchtenden Augen, »ich glaube, es geht um die Liebe.«

Zum ersten Mal schwang Unsicherheit in Sergejs Stimme mit, und er sah mich irgendwie Rat suchend an.

»Das musst du doch bemerkt haben, Dima. Sobald sich ein Junge und ein Mädchen verlieben, stürzen sich sofort die Knochenbrecher von sämtlichen Nachbarinseln auf sie. Entweder haben diese Trottel von Außerirdischen Angst vor der Liebe, oder sie wissen nicht, was das ist.«

Mir fiel ein, was Maljok gesagt hatte, als ich mitten in der Nacht vor der Tür seines Kerkers stand.

»Sie wissen auch nicht, was Freundschaft ist«, sagte ich.

»Gut möglich. Unter den Bedingungen hier kann man nur einfachste menschliche Regungen untersuchen. Gut und Böse, Mut und Feigheit, Niedertracht und Edelmut, Egoismus und Selbstaufopferung. Andererseits ist das doch fundamental! Das lässt sich genauso gut an hundert, oder wenn es sein muss, sogar an nur zwei Jungen und

»Aber wozu?«

»Ich weiß es nicht, Dima.« Sergej stand auf und ging zum Fenster. »Ich habe das Gefühl, falls irgendjemand dahinterkommen würde, worum es in Wirklichkeit geht, dann hätten wir eine Chance zu siegen.«

»Und der Konföderation gibst du diese Chance nicht?«, fragte ich.

Sergej schwieg.

»Nun sag schon!«

Er wusste nicht viel über die Konföderation, nur das wenige, das ich ihm erzählt hatte. Sergej war auch nur ein ganz gewöhnlicher Junge, nicht besser als wir. Dennoch hatte ich plötzlich das Gefühl, dass seine Antwort die Wahrheit sein würde. Die einzige Wahrheit der Vierzig Inseln, eine Offenbarung, eine Prophezeiung.

»Das weiß ich nicht«, sagte Sergej betreten. »Wenn du wissen möchtest, ob unsere Insel sich der Konföderation anschließt - ja. Es ist wirklich eine Chance. Wir könnten versuchen, die Reihen der Konföderation von zwei Seiten her zu schließen.«

Auf einmal zog Sergej sein Schwert aus der Scheide, fasste es an der Klinge und streckte es mir hin.

»Siehst du«, sagte er leise, »es ist schon ein Spielzeugschwert geworden, reines Holz. Du bist für mich kein Feind mehr.«

Nachdenklich nahm ich das warme, blank gehobelte Holzschwert, ließ es durch meine Hand gleiten und gab es ihm wieder zurück.

»Wenn du aber wissen willst, ob ich an den Erfolg der Konföderation glaube …«, fuhr Sergej fort und schüttelte

Unvermittelt schmetterte Sergej sein Schwert mit voller Wucht gegen die Wand, von wo es krachend zu Boden fiel.

»Du hasst diese Burg«, sagte ich erschrocken, »und deine Insel.«

»Ja! Ja, Dima. Denn all das hat der Feind erschaffen. Und wir können, ja wir dürfen diese Außerirdischen nicht mit außerirdischen Waffen besiegen. Sie können besser damit umgehen als wir.«

In diesem Moment wirkte Sergej hilflos und schwach. Seltsam, je klüger ein Mensch ist, desto schwerer fällt es ihm, eine Entscheidung zu fällen. Einfach gestrickte Geister handeln dagegen intuitiv und ohne die geringsten Selbstzweifel.

»Was könnte man denn sonst tun?«, fragte ich.

Sergej schwieg. In der Burg war es still geworden. Timur und die anderen hatten sich offenbar schon ausgetobt, Tom war noch nicht vom Strand zurückgekehrt, und Inga und Janusch waren ohnehin von der stilleren Sorte.

»Dima, müsst ihr in der Konföderation häufig töten?«

»Ja.«

Plötzlich hatte ich den Jungen vor Augen, der sich selbst das Schwert in den Bauch gerammt hatte.

»Bemüht euch, mit friedlichen Mitteln ans Ziel zu kommen. Sonst würden wir ja versuchen, mit Gewalt etwas Gutes zu erreichen, und das kann nicht funktionieren.«

»Wir?«, fragte ich erstaunt.

»Ja, wir. Ich gebe dir mein Wort, den anderen wird eure Idee gefallen.«

Sergej streckte mir die offene Handfläche hin, und ich klatschte sie ab.

»Sehr gut!«, rief ich.

In meiner Seele dagegen sah es lange nicht so heiter aus, wie es von außen scheinen mochte.

Dritter Teil

Die Zerstörung

1

DER DESERTEUR

Am nächsten Morgen wurde ich von Janusch geweckt.

»Dima, aufstehen!«, rief er und rüttelte mich leicht an der Schulter. Seine Stimme fädelte gleichsam die bunten Fetzen meiner Träume einen nach dem anderen wie auf einer Schnur auf und zog mich daran allmählich aus dem Schlaf. »Dima, aufstehen!«

Blinzelnd setzte ich mich auf und betrachtete den Raum. Die Gastgeber hatten uns Jungen eine große Schlafkammer zur Verfügung gestellt, in der wir alle vier Platz fanden. Sie hatten das vermutlich deswegen getan, damit wir uns sicher fühlten und ruhig schlafen konnten. Die Franzosen von der Insel Nr. 4 gefielen mir immer besser.

»Schlafen die anderen noch?«, fragte ich.

»Ja«, sagte Janusch grinsend, »wie die Murmeltiere.«

Timur kauerte, in seine Decke gewickelt, dicht an der Wand und schnarchte leise in sein Kissen. Tom lag fast quer im Bett, einer seiner dünnen Arme hing auf den Boden herab. Von Zeit zu Zeit zuckten seine Finger von dem kalten Boden zurück, um sich dann langsam wieder zu strecken und erneut den Stein zu berühren.

»Aufstehen, ihr Faulpelze!«, krähte ich und schälte mich mit viel Überwindung aus der Decke.

Unsere Kammertür sah äußerst originell aus: In zwei dicken Stahlösen, die ursprünglich sicherlich für einen Riegel gedacht waren, steckte eines von Timurs Schwertern.