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»Also … hört mal«, begann sie, noch bevor wir sie begrüßt hatten. »Wir haben eine hervorragende Idee, wie wir die Konföderation hier auf der Insel festigen könnten.« Ihre Stimme klang flach und nicht sehr überzeugend. »Wir sollten einen … ähm … Botschafter auf der Insel zurücklassen.«

Einen kurzen Moment dachte ich über Ingas Worte nach, dann nickte ich und sagte: »Soso, und dieser Botschafter ist natürlich Janusch, nicht wahr?«

Timur, der auch sofort begriffen hatte, worum es eigentlich ging, zog ein grimmiges Gesicht.

»Die Sache gefällt mir nicht, Janusch«, sagte er, einen Blick auf Marek werfend. »Das riecht gewaltig nach Fahnenflucht.«

»Hört zu … ähm …« stammelte der Botschafterkandidat.

»Ich höre dir zu«, unterbrach ihn Timur friedfertig, »aber denk dran, ich bin nicht Inga, auf die Mitleidstour brauchst du mir nicht zu kommen.«

Janusch brachte kein Wort mehr heraus. Stattdessen setzte er sich auf den Boden und stützte den Kopf auf die Knie. Dabei rutschte sein zigfach geflicktes T-Shirt aus der Jeans und entblößte sein braun gebranntes Kreuz, auf dem direkt über der Wirbelsäule eine lange Narbe verlief.

»Mit Gewalt werden wir dich nicht mitschleifen«, sagte ich ruhig, »davon hätte niemand etwas. Du musst dich selbst entscheiden.«

»Bitte, lasst mich hier bleiben«, presste Janusch hervor.

»Dass du mit deinem Landsmann zusammenbleiben willst, verstehe ich ja. Kann gut sein, dass es auf dem ganzen Archipel nur zwei Polen gibt«, sagte Timur. Dann deutete er mit einem Seitenblick auf Marek und fügte mit eisiger Stimme hinzu: »Aber warum kommt er nicht mit uns?«

»Er kann nicht«, erwiderte Janusch leise.

»Er kann nicht«, echote Inga. »Das seht ihr doch selbst, Timur, er kann wirklich nicht.«

Marek, der angespannt zu uns herüberblickte, war ein gut aussehender, kräftiger Junge und genauso alt wie Chris. Das war es also …

»Dann ernennen wir Janusch eben zum Botschafter«,

Der Hüne mit den zwei Schwertern warf uns einen verächtlichen Blick zu, drehte sich um und stapfte zum Boot davon.

Die Szene ließ mich ratlos zurück. Wieder einmal prallten hier zwei Wahrheiten aufeinander. Einerseits hatte Timur völlig recht: Der Verlust eines erfahrenen Kämpfers würde unsere Insel zweifellos schwächen. Andererseits konnte man aber auch Janusch verstehen, der sich endlich wieder in seiner Muttersprache unterhalten konnte.

Jemand tippte mir auf die Schulter, und ich drehte mich um. Sergej und Tom waren zu uns getreten. Unser Kapitän hielt die zu einem Rohr zusammengerollte Karte des Archipels in der Hand.

»Ich habe noch einige Ergänzungen vorgenommen«, verkündete Sergej strahlend. »Natürlich nur Dinge, die ich sicher weiß. Und zu jeder mir bekannten Insel habe ich euch so eine Art Steckbrief dazugeschrieben.«

»Danke, Sergej«, sagte ich, um dann mit sorgenvoller Miene hinzuzufügen: »Sergej, da ist noch eine Sache, die ich mit dir besprechen muss. Janusch möchte auf eurer Insel bleiben. Wärt ihr damit einverstanden?«

»Aber sicher doch«, erwiderte Sergej, der sich nicht besonders zu wundern schien. »Er ist uns willkommen. Es ist wegen Marek, oder?«

»Natürlich«, bestätigte ich und senkte unwillkürlich den Blick, denn in gewisser Weise empfand auch ich es als verletzend, dass Janusch uns verließ. »Gibt es viele Polen auf den Inseln?«

»Nein, nicht viele«, entgegnete Sergej. »Die Auswahlkriterien

Ein merkwürdiges System, dachte ich, und mir kam ein flüchtiger, nicht ganz ausgereifter Gedanke, den ich jedoch nicht weiter verfolgte.

»Komm, steh auf«, sagte ich aufmunternd zu Janusch. »Uns erwartet ein Festessen zu Ehren des ersten Botschafters auf den Vierzig Inseln.«

Die Wachhabenden der Insel Nr. 4 kehrten zum Mittagessen in die Burg zurück. So konnten wir uns von jedem Einzelnen in aller Form verabschieden. Die französischen Jungen küssten Inga einer nach dem anderen schmatzend die Hand. Dabei verbeugten sie sich so tief, dass ich mir nicht sicher war, ob sie diese Geste ernst meinten oder einen übermütigen Scherz mit ihr trieben. Inga jedenfalls schien diese Form der Verabschiedung als völlig angemessen zu empfinden, denn sie ließ die Zeremonie mit würdevoller Miene und stoisch-herablassendem Augenklimpern über sich ergehen.

Von Janusch verabschiedeten wir uns jeder auf seine Weise. Tom, der für seine Entscheidung, auf der Insel zu bleiben, vollstes Verständnis hatte, flüsterte ihm gut gelaunt etwas zu. Inga winkte ihm flüchtig mit der Hand und kletterte auf den Bug unseres Schiffs. Timur ging wortlos an ihm vorbei, als würde er gar nicht existieren.

Als die Reihe an mir war, drückte ich ihm die Hand. »Na gut, Jan«, sagte ich etwas verlegen und versuchte

Janusch nickte eifrig, und für einen Moment hatte ich das Gefühl, dass er im nächsten Moment ins Boot springen würde. Mein Gefühl jedoch trog.

Die Franzosen halfen uns, die Aliens Nightmare aus dem Sand ins Wasser zu ziehen. Zuletzt kletterten Timur und ich, nass bis zum Gürtel, an Bord des in den Wellen schaukelnden Schiffs und setzten sofort das Segel. Da wir noch im Windschatten des Hochufers der Insel lagen, nahmen wir nur langsam Fahrt auf.

»Auf Wiedersehen«, rief Sergej uns hinterher. »Lasst euch nicht unterkriegen!«

Janusch schaute uns schweigend nach. Neben ihm stand Marek und hielt eines der dänischen Mädchen an der Hand. Es muss Helga gewesen sein.

»Ich will nach Hause«, seufzte Timur plötzlich laut auf. »Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie mir das alles hier zum Hals heraushängt.«

Inga hatte sich zu uns aufs Achterdeck gesellt, saß im Schneidersitz neben mir und Timur und sah uns traurig an.

»Bis nach Hause ist es noch ein weiter Weg, Tim«, sagte sie. »Wir müssen zuerst die Außerirdischen besiegen.«

Timur wandte sich ab und starrte mit bedrückter Miene aufs Meer hinaus. »Ich habe nicht das Zuhause auf der Erde gemeint, Inga, sondern unsere Insel.«

2

TOD AUF DER INSEL DER TAUSEND STEINE

Die Flaute ereilte uns etwa in der Mitte des Archipels, als bereits die Nacht hereinbrach und die Inseln in der Umgebung nur mehr schemenhaft zu erkennen waren. In den Fenstern einer Burg in der Ferne flackerten schummrige Lichter wie vom Himmel gefallene, verlöschende Sterne. Stille und Wärme umgaben unser Schiff, als plötzlich eine dünne Melodie über das Wasser tänzelte. Irgendwo auf einer Insel spielte jemand Gitarre.

»Wie lange würde es wohl dauern, bis zu unserer Insel zu rudern?«, fragte Inga und setzte geschäftig hinzu: »Natürlich würde ich auch mithelfen.«

»Bis zum Morgen könnten wir es schaffen«, sagte ich mit einem sorgenvollen Blick auf unsere selbst geschnitzten Ruder, die wie überdimensionale Kochlöffel aussahen. »Aber ich glaube, es ist vernünftiger, die Nacht in der Kajüte zu verbringen, so wie vorletzte Nacht. Vielleicht lebt der Wind morgen wieder auf.«

Mein Vorschlag fand einhellige Zustimmung, denn die Aussicht, eine ganze Nacht lang durch die Finsternis zu rudern, war auch für die anderen wenig verlockend. Nachdem unser Versuch, den Anker zu setzen, am zu kurzen Tau gescheitert war, krochen wir alle vier in die Kajüte. Das war nicht sonderlich bequem, aber halbwegs gemütlich. Tom kletterte in seine Hängematte, während wir anderen uns auf dem Boden niederließen. Mit flinken Handgriffen fabrizierte Inga aus unseren Vorräten

»Janusch ist ein Deserteur«, murmelte Timur plötzlich und zog ein grimmiges Gesicht. »Du hättest ihn nicht unterstützen dürfen, Inga.«

»Ich hatte eben Mitleid mit ihm«, beharrte Inga, »weil er sich bei uns nie richtig wohlgefühlt hat. Alle haben sich über ihn lustig gemacht.« Sie versetzte mir einen bissigen Blick. »Das gilt auch für dich, Dima.«