»Schrei nicht rum«, sagte Chris mit beinahe normaler Stimme. »Ich bin schon fast wieder in Ordnung. Die Wirkung geht vorbei.«
»Du hast es doch versprochen, und zu Tom hast du auch gesagt, dass du sie ins Meer geworfen hast!« Ich fühlte mich vor den Kopf gestoßen und konnte es mir nicht verkneifen, ihm Vorwürfe zu machen. »Warum hast du uns belogen?«
»Morgen werden wir sie gut brauchen können. Damit
»Weißt du überhaupt, was das für ein Zeug ist?«
»Nein, ich habe Tom nicht danach gefragt. Was weiß ich, Kokain oder Crack. Wenn man eine kleine Menge schnupft, bleibt man völlig bei Bewusstsein und kriegt auch keine Halluzinationen. Man fühlt sich einfach gut und hat keine Angst.« Chris schwieg für ein paar Sekunden, dann setzte er deprimiert hinzu: »Wir schlachten uns gegenseitig ab. Dabei müssten wir uns mal diese außerirdischen Herrschaften vorknöpfen und ein paar Takte mit ihnen plaudern. Leider bekommt man sie ja nie zu Gesicht, diese Feiglinge. Sie geben nur das Essen aus und holen die Abfälle ab, das war’s, das ist unser einziger Berührungspunkt mit ihnen.«
Es war finster, sonst hätte Chris sehen können, dass ich heftig mit dem Kopf nickte. Sich die Außerirdischen vorknöpfen? Hervorragender Gedanke! Schon vor langer Zeit hatte Inga davon gesprochen. Doch wie Chris sagte, war das Problem, dass sie sich nie zeigten - sie beseitigten nur die Abfälle, als sorgten sie sich um die Sauberkeit auf den Inseln.
Sie holen die Abfälle ab... Zu sich... Immer um Mitternacht. Wir sammeln den gesamten Müll und deponieren ihn auf den Regalen im Küchenschrank...
»Chris!«
Begeistert sprang ich auf. Es war eine verrückte Idee! Eine gewagte Idee! Wie wild schoss sie mir durch den Kopf und wollte hinaus. Wenn Chris mich nur verstehen würde! Wenn er mir nur glauben würde!
Wenn er das restliche Dynamit nur nicht für etwas anderes vorgesehen hatte!
10
SABOTAGE UM MITTERNACHT
Wir befanden uns zu dritt in der Küche: Chris, Timur und ich. Die Übrigen saßen im Thronsaal, Meloman und Tolik hielten vor der Tür Wache. Es war nicht ausgeschlossen, dass außer Maljok noch andere Spione unter uns waren. Wir durften kein Risiko eingehen, deshalb hatten wir es so organisiert, dass wir uns gegenseitig im Blick hatten.
»Die Fächer sind verdammt eng«, fluchte Timur, der den Schrank freiräumte. »Ob sie das absichtlich so gebaut haben? Sonst könnte ich reinkriechen und mich zu ihnen rüberbeamen lassen. Hmm … Oder wir reißen die Regalbretter heraus. Dann hätte ich genug Platz.«
»Und dann kommst du in sechs schmalen Stücken dort drüben an. Kommt nicht infrage, wir machen es mit dem Dynamit«, sagte Chris unnachgiebig.
Es war auch meine Meinung, dass zwanzig Kilo Dynamit mehr ausrichten würden, als Timur mit seinen zwei Schwertern, ich behielt sie jedoch für mich. Warum hätte ich unseren besten Kämpfer brüskieren sollen? Zum Teufel, aus mir würde noch ein richtiger Diplomat werden! Machte ich mir doch tatsächlich Gedanken darüber, wann ich etwas sagen konnte und wann ich mir lieber auf die Zunge biss.
»Los, Dima, gib mir eine!«, sagte Timur.
Behutsam, als handle es sich um ein rohes Ei, nahm ich eine der gelben Stangen aus der Kiste und reichte sie Timur, der sie vorsichtig in das untere Fach legte. Auf
»Es müsste für drei Fächer reichen«, mutmaßte Timur, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. »Aber ob das mit dem Zündmechanismus klappt?«
»Rita hat gesagt, dass die Schüsseln mit den Lebensmitteln fast immer umfallen und manchmal sogar zu Bruch gehen. Das heißt also, dass die Teleportation ganz schön ruppig abläuft. Es muss funktionieren.« Seinem Tonfall nach zu schließen, machte Chris sich ernsthafte Hoffnungen, dass unser Plan klappen würde. Sein Gesicht war allerdings im Dunkeln, denn die Kerzen standen in einem gehörigen Sicherheitsabstand von uns entfernt. Den Grund dafür hielt Chris in der Hand: Es war eine Konservendose, in die wir das restliche Schießpulver gefüllt hatten.
»Fertig«, sagte Timur und streckte, ohne sich umzusehen, die Hand nach hinten aus.
Chris drückte ihm die Blechdose in die Hand. Vorsichtig platzierte Timur sie zwischen den Dynamitstangen im oberen Schrankfach.
»Wie spät ist es?«, fragte er dann.
Chris blickte zunächst auf sein linkes, dann auf sein rechtes Handgelenk. Zur Sicherheit hatte er sich von Rita eine zweite Uhr ausgeliehen.
»Zehn vor zwölf.«
»Die Kerze«, forderte Timur knapp.
Nach kurzem Zögern huschte Chris zum Tisch und kam mit einer neuen, eben frisch angezündeten weißen Kerze zurück.
»Vielleicht sollte ich das machen?«, fragte er etwas verlegen. »Wenn du sie fallen lässt...«
»Die Kerze!«, wiederholte Timur unnachgiebig.
Chris schwieg und streckte Timur gehorsam den Wachskolben hin, dessen Flamme im Luftzug geräuschvoll flackerte. Mit angehaltenem Atem beobachteten wir Timurs bedächtige, flüssige Bewegungen.
Behutsam steckte er die Kerze ein Stück weit in den bräunlichen Pulverhaufen, der aus der Blechdose herausragte. Plötzlich begann die Flamme in seinem Atem zu flackern, züngelte nach unten und leckte nach den dunklen Körnchen. Timur erstarrte für einen Moment. Dann zog er die Kerze ein wenig höher.
Langsam richtete sich die Flamme wieder auf und begann, das obere Brett zu verrußen. Timur nahm vorsichtig die Finger von der Kerze, woraufhin sich diese sofort zur Seite neigte. Mit einem raschen Griff fing er sie ab und drückte sie wieder etwas tiefer ins Pulver.
Endlich konnte er loslassen. Die Kerze schien jetzt fest zu stecken. Durchsichtige, heiße Wachstropfen rannen an ihr herab, bildeten einen dünnen Wachsfilm auf dem Pulverhaufen.
»Eine halbe Stunde brennt die Kerze?«, fragte Timur mit stockendem Atem.
Chris nickte. »So wie sie jetzt drinsteckt, kann sie etwa fünfzehn Minuten brennen, ohne dass das Pulver hochgeht, das genügt.« Nach kurzem Schweigen fügte er gedämpft hinzu: »Wenn das mit der Telekinese nicht klappt, werde ich die Kerze jedenfalls nicht da rausholen, mir zittern jetzt schon die Hände wie einem Greis.« Erneut blickte er zur Uhr. »Noch fünf Minuten.«
Die Flamme brannte immer weiter herunter, und es sah bald so aus, als würde die Kerze im Pulver versinken. Das herablaufende und allmählich aushärtende Wachs
»Noch eine Minute«, hauchte Chris und sah mich Hilfe suchend an. »Vielleicht hätten wir besser draußen warten sollen?«
Unschlüssig zog ich die Schultern hoch. Falls die Teleportation nicht stattfand und der Sprengsatz in der Küche hochging, konnten wir das ohnehin nur außerhalb der Burg überleben. Doch es war keine Zeit mehr, um hinauszulaufen.
Zwölf Uhr. Mitternacht.
Die gelbe Flamme brannte nun ganz knapp über dem Pulver. Mir wurde plötzlich klar, dass es nun sogar zu spät war, die Hand zur Kerze auszustrecken, um sie mit den Fingern zu löschen. Durch den Luftzug hätte sie zu flackern begonnen und das Pulver sofort in Brand gesteckt. Wenn die Telekinese also scheiterte, würden wir noch schneller sterben, als die Außerirdischen das geplant hatten.
Das kleine Licht im Schrank verlosch. Im selben Moment sahen wir, dass die Dynamitstangen verschwunden waren. An ihrer Stelle lagen Brotlaibe, Eier, eine Packung Schokoriegel und eine Halbliterflasche, die eine gelbe, nach Speiseöl aussehende Flüssigkeit enthielt.
»Hurra!«, jubelte Timur erstaunt und triumphierend zugleich.
Chris trat an den Schrank heran, griff nach den Schokoriegeln und hielt sie uns hin.
»Langt zu. Die haben wir uns verdient, oder?«, rief er breit grinsend.
»Auf einer der fremdplanetarischen Müllkippen hat es jetzt ordentlich geknallt«, sagte Timur und wickelte seinen Riegel aus. »Opfer gibt es wohl keine, mal abgesehen von ein paar fremdplanetarischen Katzen.«
Ich kicherte. »Wir konnten ja schließlich nicht wissen, wo das Dynamit hochgeht.«