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Für einen kurzen Moment leuchtete der bläuliche Saum noch einmal auf, bevor er am Horizont verschwand.

Es waren vielleicht zwei Kilometer bis zum Rand der Kuppel. Dort ragten dicke Säulen aus dem Meer, zwischen denen die silbergrauen Platten aus Stahlgitter montiert waren. Unser neuer »Himmel« war von kleinen und großen Luken übersät. Entweder hatten die Platten nicht gereicht, um die Verkleidung komplett zu schließen, oder es verbargen sich irgendwelche Geräte hinter diesen Löchern. Eher Letzteres, denn in einigen der Öffnungen verschwanden nun Fetzen der blauen Hülle, die einmal unser Himmel gewesen war.

»Eine Kuppel«, flüsterte Chris und sah sich mit weit aufgerissenen Augen um. »Die ganze Zeit über haben wir unter einer Käseglocke gelebt! Der ganze Archipel liegt unter einer riesigen Käseglocke!«

Olja hatte sich in den Schnee sinken lassen und verhüllte mit den Händen ihr Gesicht. Sie konnte den Anblick dieses perfiden Betrugs nicht ertragen. Maljok zupfte Timur am Arm und bestürmte ihn mit Fragen, doch Timur, der versteinert auf das Stahlgewölbe starrte, nahm ihn überhaupt nicht wahr. Tom drehte sich auf der Stelle im Kreis herum, um alles genau zu betrachten, in seinem Gesicht stand eher Erstaunen als Furcht.

Die Scheinwerfer, die ohne erkennbare Ordnung im grauen Gewölbe verteilt waren, begannen nun zu leuchten und tauchten die Inseln in ein mildes, orangefarbenes Licht, das vom nassen Firn funkelnd reflektiert wurde. Jegliche Schatten verschwanden, denn das Licht flutete von allen Seiten auf den Archipel herab.

Langsam ließ ich den Blick über die Gesichter meiner

Chris brach als Erster das Schweigen.

»Der Rand der Kuppel ist ganz nah. Wenn man läuft, erreicht man ihn in fünfzehn Minuten«, sagte er und blickte zum »Horizont«, auf das Geflecht von Stahlträgern und Luken, in die einzudringen uns von hier aus so leicht erschien. »Eine halbe Stunde. Wenn wir eine halbe Stunde Zeit hätten...«

»Es gibt dort bestimmt irgendwelche Schutzmechanismen, die ungebetene Gäste zurückwerfen«, wandte Timur ein. »Andernfalls hätten wir mit der Aliens Nightmare mindestens fünfmal das Ende der Welt gerammt.«

»Das bestreite ich gar nicht«, entgegnete Chris. »Aber im Moment funktioniert ihre Technik nicht richtig, und vielleicht versagen auch diese Schutzvorrichtungen.«

»Wir müssen es riskieren!«, warf Meloman ohne jeden Zweifel in der Stimme ein. Vorsichtig nahm er seinen Disc-Man vom Gürtel und legte ihn in den Schnee. »Und ich habe mich schon die ganze Zeit darüber gewundert, warum er sich nicht richtig auflädt in der Sonne, als wäre sie eine elektrische Lampe«, fügte er kopfschüttelnd hinzu. »Am Ende habe ich sogar geglaubt, dass der Akku den Geist aufgibt.«

»Sind alle einverstanden?«, fragte Chris schroff.

»Dumme Frage, nichts wie hin!«, rief Timur energisch und rückte mit geübtem Griff die Schwerter hinter seinem Rücken zurecht.

»Es kann nicht schaden, kurz mal darüber nachzudenken. Das heißt natürlich nur, wenn man dazu in der Lage

»Wir kommen mit euch!« Inga explodierte förmlich. Rita, die den Arm um die immer noch völlig verstörte Olja gelegt hatte, sagte nichts dazu, sah Chris jedoch ziemlich vorwurfsvoll an.

»Wenn ihr mit uns kommt, haben wir keine Chance«, erläuterte Chris nüchtern. »Wir brauchen die Hilfe unserer Nachbarn. Die Kämpfer der anderen Inseln müssen mitmachen, sonst schaffen wir es nicht. Und es wird eure Aufgabe sein, sie zu mobilisieren.«

»Aber es sind doch unsere Feinde, sie würden uns niemals helfen«, widersprach Rita wütend.

»Beruhige dich«, sagte Chris, ging zu Rita und fasste sie an den Schultern. »Ihr müsst es ihnen erklären. Schließlich sind sie ja nicht blind. Der Feind sitzt hinter dieser Kuppel, entweder hinterm Horizont oder über dem Himmel!« Chris suchte Blickkontakt zu Inga und nickte ihr zu. »Ihr müsst sie überzeugen und zu Hilfe holen.«

Die Mädchen schwiegen, und Chris, der den Disput damit für beendet hielt, wandte sich wieder uns Jungen zu.

»Habt ihr alle eure Schwerter dabei?«

2

STURM AUF DAS ENDE DER WELT

Wider Erwarten war der Schnee auf unserem Weg zum Horizont das geringste Hindernis. Der steife Wind hatte ihn auf der weiten zugefrorenen Fläche des offenen »Meeres« bis auf eine dünne Schicht weggeblasen. Als unerwartet schwierig erwies es sich hingegen, zwischen den Bergen von Packeis hindurchzulavieren, die sich an den Bruchstellen in der Eisdecke meterhoch auftürmten. Diese zahlreichen Verwerfungen in der gefrorenen Oberfläche nötigten uns ein ums andere Mal zu halsbrecherischen Rutschpartien. Spektakuläre Stürze blieben nicht aus, endeten aber glimpflich. Unbeirrbar kämpfte sich unser kleines Grüppchen voran.

Als wir die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, erhob sich die stählerne Wölbung nur noch etwa zweihundert Meter hoch über unseren Köpfen. Nun konnte man auch die gigantischen Scheinwerfer genauer betrachten: Es waren an Metallgestängen aufgehängte kugelförmige Leuchten, die in einer Art Gitter aus breiten Zellen angeordnet waren. Einige Zellen waren dunkel und hohl, aus anderen strömte das orangefarbene Licht, und aus den übrigen ragten skurrile Antennen und fühlerartige Gebilde heraus.

Im Laufschritt strebten wir dem Rand der Kuppel entgegen. Inzwischen war ich schon zum fünften oder sechsten Mal hingefallen, und jedes Mal aufs Neue stolperte einer der anderen über mich hinweg. Instinktiv die Nähe

Durch sämtliche Ritzen meiner Kleidung war inzwischen Schnee eingedrungen, in die Schuhe, in die Jeans, unter die Jacke. Zu eisigen Rinnsalen schmelzend, durchnässte er mich bis auf die Haut, was nicht weiter tragisch war, da die körperliche Anstrengung mich warm hielt.

Um uns herum spritzten orangefarbene Funkenwolken auf - der von uns aufgewirbelte Pulverschnee, auf den das Licht der Scheinwerfer fiel.

Jetzt waren es noch fünfzig Meter bis zu der Wand, die sich senkrecht vor uns aus dem Eis erhob, ehe sie in einiger Höhe allmählich in eine Wölbung überging. Am äußersten Rand der Kuppel türmten sich meterhohe Schneewehen, die wir noch überwinden mussten, bevor wir endlich unser Ziel erreichen würden.

Der flinke Läufer Tolik erklomm als Erster den Rücken des Schneehügels und stürmte dann in vollem Lauf bergab auf die Wand zu, die aus einem Stahlgitter bestand. Kurz bevor er sie erreichte, schossen mir einige unangenehme Gedanken durch den Kopf: dass auch diese Wand sich als Fata Morgana erweisen könnte, durch die Tolik nun einfach hindurchlaufen, hinter der sich die schneebedeckte Ebene fortsetzen würde; oder dass die zentimeterdicken Stahlstäbe, aus denen das Wandgitter geflochten war, unter Strom stehen könnten und Tolik mit einem todbringenden Funkenwirbel in Empfang nehmen würden.

Nichts dergleichen geschah. Zwar versuchte Tolik, seinen Lauf abzubremsen, doch er hatte zu viel Schwung, rutschte aus und konnte gerade noch die Arme hochreißen,

Völlig außer Atem und mit zittrigen Beinen erreichte ich ihn. In seinem von Platzwunden übersäten, blutverschmierten Gesicht stand ein glückliches Grinsen.

»Geschafft!«, triumphierte er. »Dabei heißt es doch immer, der Horizont sei unerreichbar. Von wegen!«

Die Wand wirkte nicht wie von Menschenhand gemacht, sondern strahlte die Erhabenheit einer gewaltigen Naturerscheinung aus, wie ein Gletscherabbruch im Polarmeer oder ein steil aufragender Tafelberg. Ihre gigantischen Ausmaße waren erdrückend, und wir wandten unwillkürlich den Blick ab.

Chris sah uns mit besorgter Miene an. Obwohl er ein vernunftgesteuerter Mensch war, der sich jeden Schritt, den er unternahm, genau überlegte, war ihm klar, dass wir in unserer jetzigen Lage keine Sekunde mit Nachdenken verlieren durften. Wir mussten handeln, solange in uns noch Reste jenes Wagemuts vorhanden waren, mit dem wir unseren tollkühnen Angriff begonnen hatten, handeln, ehe uns dieses kolossale Bauwerk endgültig demoralisierte.