Auf unserer Höhe angekommen, blieb einer der Jungen
»Hast du mal Feuer?«, fragte er mich.
»Tut mir leid, ich rauche nicht«, erwiderte ich und musste unwillkürlich grinsen.
Als sei er zutiefst erstaunt, verzog der Junge das Gesicht. »Was hat er gesagt?«, fragte er einen seiner Kumpel.
»Er hat gesagt, dass er nicht raucht, Waljok«, wiederholte jener dienstfertig.
Der Junge, der Waljok hieß, tat noch überraschter. »Und wozu brauchst du dann so ein Kälbchen, wenn du nicht rauchst?«
Alle brüllten vor Lachen. Ich würgte an einem dicken Kloß im Hals. Musste das jetzt wirklich sein?
»Pfoten weg!«, fauchte Inga.
Ich fuhr herum und spürte, wie sich jemand von hinten in meinen Nacken krallte.
»Pfoten weg!«, wiederholte Inga.
Der Junge neben ihr grinste nur frech und ließ seine Hand ungerührt auf ihrem Knie liegen. Wenige Augenblicke später beförderte ihn Inga mit einem kräftigen Ellenbogencheck von der Bank. Völlig verwundert fand er sich auf dem Boden wieder.
»Die Kleine ist wohl nichts für dich«, stellte Waljok zufrieden fest. »Hau ab, jetzt werden wir uns mal um sie kümmern.«
»Ihr solltet lieber selber abhauen, ihr Milchbubis«, entgegnete ich.
Die Umstehenden schienen einigermaßen überrascht von meinem Konter. Selbst die beiden, die mich von hinten festhielten, lockerten für einen Moment ihren Griff.
»Wie hast du uns genannt?«, fragte Waljok jedes Wort einzeln betonend und hielt sich die Hand ans Ohr, als hätte er mich nicht verstanden. Diesmal wiederholte keiner meine Worte. Alle glotzten mich nur an.
»Ich hab deinen Joke wirklich nicht verstanden«, sagte Waljok und kam auf mich zu. »Könnte sein, dass dir das noch leidtut.«
»Dem ist alles egal«, stichelte einer der beiden hinter meinem Rücken. »Er hält sich für einen Ninja, schleppt ein Schwert mit sich herum. Dummerweise ist es aus Holz, er hat wohl Angst vor den Bullen.«
Jemand zerrte an meinem Schwert. Ein dumpfes Pochen ertönte, als die Jungen hinter mir mit dem Fingerknöchel daraufklopften. Waljok kramte unterdessen in seiner Hosentasche. Als er seine Hand wieder hervorzog, war sie mit einer Eisenkette umwickelt.
»Jetzt musst du dich leider entschuldigen, du armer Irrer«, sagte er mit gespielter Freundlichkeit. »Aber vielleicht gehst du ja von selbst auf die Knie?«
»Verzieht euch«, sagte ich trocken, »Lasst uns in Ruhe.«
Zwei von ihnen hatten sich jetzt von vorn Inga genähert. Mehrere standen in unserem Rücken, ihr Anführer direkt vor mir.
»Dann wollen wir mal«, sagte Waljok und wickelte genüsslich einen halben Meter seiner Kette ab.
»Inga, hinter dir!«, rief ich, während ich aufsprang und
Waljok blieb unbeeindruckt, er fletschte nur die Zähne und schwang seine monströse Kette, die direkt vor meinem Kopf im Kreis wirbelte. Als er zuschlug, duckte ich mich im letzten Moment weg, und die Kettenglieder sausten zischend ins Leere.
»Dima, drei von hinten!«
Für einen Augenblick wandte ich mich um. Inga hatte den ersten bereits in die Flucht geschlagen und nahm sich gerade den zweiten vor. Mit einem Faustschlag erledigte ich den dritten.
»Habt ihr genug?«, fragte ich, nachdem ich mich wieder Waljok zugewandt hatte.
Er spuckte aus, fluchte und stürzte sich auf mich.
Plötzlich spukten wieder Phrasen aus der Welt der Vierzig Inseln durch meinen Kopf.
Auf der Südbrücke!
Kostja in der Burg... an einer Wunde.
Werft die Waffen weg!
Ich erledige das selbst, ich will nach Hause.
Die Kette sauste auf mich herab, einmal, zweimal. Nur mit Mühe konnte ich den Schlägen ausweichen. Dreimal, viermal.
Wir hätten euch beide kaltmachen sollen.
Wir nehmen keine Gefangenen.
Immer. Zu allen Zeiten.
Als ich die Hand um den Schwertgriff legte, spürte ich den kalten Stahl auf meiner schwitzenden Haut. Mit einem Ruck riss ich das Schwert aus der Lederschlaufe.
Die funkelnde Klinge durchschlug die Eisenkette wie
Mit der gewohnten Bewegung, die mir auf den Inseln in Fleisch und Blut übergegangen war, holte ich mit dem Schwert aus. Waljok ging in die Hocke, um dem Schlag auszuweichen, und bekam schon im nächsten Moment mein Knie ins Gesicht. Hingestreckt auf den Asphalt, versuchte er, seinen Körper mit den Armen zu schützen.
Das Schwert mit beiden Händen fassend und über den Kopf schwingend, stand ich über ihn gebeugt und holte zum letzten Schlag aus.
Waljok quiekte hysterisch, doch sein Gewinsel wurde von Ingas Schrei übertönt.
»Nicht, Dima!«
Das blaue Licht der Laternen tanzte über die Klinge. Vor mir rappelte sich ein zusammengekrümmter Schatten auf und machte sich davon.
»Scheißding«, presste ich stimmlos hervor und starrte auf den blitzblank polierten Stahl. »Hier also auch... Scheißding!«
Mit der Rechten den Griff, mit der Linken die Klinge umfassend, wuchtete ich das Schwert in blinder Wut und Verzweiflung solange gegen mein Knie, bis es zersplitterte. Den Schmerz in meiner Hand spürte ich nicht.
»Willst du mich für immer verfolgen, du Drecksteil?«
Ich schmetterte die Bruchstücke auf den Boden und trampelte sinnlos darauf herum, bevor ich sie schließlich mit den Füßen ins nächste Gebüsch beförderte. Vor Tränen blind, taumelte ich zur Seite, stieß gegen die Bank, auf der wir zuvor gesessen hatten, und sank kraftlos darauf
»Weine nicht, Dima. Du bist doch stark. Du hast doch nicht einmal auf den Inseln geweint.«
Mit einem leisen Schluchzen hatte Inga den Arm um mich gelegt und sich dicht an mich geschmiegt.
»Es geht alles vorbei, Dima, glaub mir. Beruhige dich.«
Langsam richtete ich mich auf und vergrub den Kopf in Ingas Haaren. Dann plötzlich begann ich dünn und krampfhaft zu lachen.
»Es ist so lächerlich, Inga... Ich kann dich nicht umarmen. Meine Hände sind zerschnitten.«
Dank
Der Autor bedankt sich bei Inga, Dima, Timur, Ilja und Sershan, die mit ihren Ratschlägen und allein durch ihre bloße Existenz beim Schreiben dieses Buches mitgeholfen haben.
Er glaubt fest daran, dass es in der Kindheit, wo jeder Innenhof eine Insel und jede Straße eine Brücke ins Unbekannte ist, eines Tages keinen Platz mehr geben wird für Spiele, in denen getötet wird.
Ich danke allen, die dieses Buch verstanden haben.
Die Originalausgabe erscheint unter dem Titel
PbIЦAPИ COPOKA OCTPOBOB
bei AST, Moskau.
Copyright © 1992/1997 by Sergej W. Lukianenko Copyright © 2009 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung
by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Redaktion: Maria Peek
Lektorat: Sascha Mamczak
Layout und Herstellung: Helga Schörnig
eISBN : 978-3-641-03254-8
www.randomhouse.de