»Danke.«
Feiqa wimmerte.
»Bereite dich in Gedanken schon einmal auf deine Zukunft vor«, sagte ich.
»Herr?« fragte sie verblüfft.
»Soll die Frau gefesselt werden?« fragte einer der Krieger.
»Das ist nicht nötig«, sagte ich. »Bleib auf den Knien, Feiqa!«
»Ja, Herr.« Sie würde gehorchen.
Sorath spuckte in die Hände und ergriff den Schaft. Er ließ ihn ein paarmal durch die Luft pfeifen. Ich begab mich zu einer freien Stelle in der Nähe des Feuers.
»Hast du gesehen?« sagte einer der Krieger. »Er hat eine Stellung eingenommen, in der er das Feuer im Rücken hat.« Die anderen Männer nickten, es war ihnen durchaus nicht entgangen.
Nach Möglichkeit – es richtet sich natürlich nach den Gegebenheiten des Terrains – sorgt ein Krieger dafür, daß er Sonne und Wind stets im Rücken hat. Der Glanz der Sonne kann, selbst wenn er nicht blendet, den Feind ermüden, besonders wenn der Kampf eine Ahn lang dauert. Die Vorteile, die es mit sich bringt, den Wind im Rücken zu haben, sind offensichtlich. Die Reichweite eines abgeschossenen Pfeils vergrößert sich, jede vorwärtsgerichtete Bewegung wird verstärkt, jeglicher Staub, den der Wind möglicherweise mit sich trägt, behindert eher den Feind.
Sorath hieb wild mit dem Axtschaft auf mich ein, und ich blockte den Schlag ab. Es war ein einfacher, offensichtlicher Hieb gewesen, und wenn es nicht seine Absicht gewesen war, mir die Kraft zu rauben oder den Schaft zu zerbrechen, ergab er wenig Sinn. Er trat zurück und überdachte seine Taktik.
»Einen Alar hättest du auf diese Weise bestimmt nicht angegriffen«, sagte ich. Es konnte ihm nicht entgangen sein, daß ich seine offene Deckung nicht ausgenutzt und keinen Hieb nach seinem Hals geführt hatte, einen Hieb, der zumindest mit einer Torvaldslandaxt einem Mann den Kopf von den Schultern trennen kann.
»Das stimmt, Fremder«, sagte da eine Frauenstimme. Ich trat zurück, in dem sicheren Wissen, daß zwischen Sorath und mir in diesem Augenblick Waffenstillstand herrschte; trotzdem behielt ich ihn im Auge. Er konnte seinen Standpunkt nicht verändern, ohne daß es mir entging.
»Ich habe Tharlarion gesehen, die besser mit einem Axtschaft umgehen können«, sagte sie. Sorath errötete wütend. Allem Anschein nach war sie eine freie Frau der Alar, obwohl sie im Gegensatz zu den anderen Frauen keines der rauhen, schweren, bodenlangen Kleider trug. Sie trug Männerkleidung, Felle und Leder. In ihrem Gürtel steckte sogar ein Messer. Sie war von betörender Schönheit, obwohl sie nach ihrer Miene und ihrem Benehmen zu urteilen eine derartige Bemerkung nicht als Kompliment aufgefaßt hätte. Sie hatte etwa Feiqas Größe, war vielleicht ein wenig kleiner und hatte dunkles Haar und dunkle Augen.
Von ihrer Bemerkung aufgestachelt, machte Sorath einen wilden, unkontrollierten Ausfall. Ich blockte die Schläge ab, da ich seinen Leichtsinn nicht ausnutzen wollte. Ich versetzte ihm keinen Schlag. Wären es richtige Äxte mit scharfem Eisen gewesen, hätte ich ihn mehrfach töten können. Ich weiß nicht, ob ihm das bewußt war, aber einigen der Zuschauer blieb es nicht verborgen. Hurtha und Genserix zum Beispiel schienen sich da keinen Täuschungen herzugeben, wenn ich ihre besorgten Mienen richtig deutete. Gut, bei richtigen Äxten hätte Sorath vielleicht mit größerer Umsicht gekämpft.
Er wich keuchend zurück.
»Kämpf, Sorath!« verspottete ihn die Frau. »Er ist ein Außenseiter. Bist du kein Alar?«
»Schweig, Frau!« murrte Genserix.
»Ich bin eine freie Frau«, erwiderte sie. »Ich kann sagen, was ich will.«
»Halt dich aus Männerangelegenheiten heraus«, verlangte Genserix.
Sie betrachtete die Gruppe von ihrem Standpunkt auf der anderen Seite des Feuers aus. An den Füßen trug sie Fellstiefel. Ihre Arme waren aufsässig unter der Brust verschränkt. »Sind hier denn Männer?« fragte sie. »Das sollte mich doch wundern.«
Die versammelten Krieger stießen ein ärgerliches Gemurmel aus. Aber niemand unternahm etwas, um die Frau in die Schranken zu weisen. Natürlich war sie frei. Bei den Alar haben freie Frauen einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert.
»Hältst du dich für einen Mann?« fragte einer der Krieger.
»Ich bin eine Frau, aber ich unterscheide mich durch nichts von dir.«
Erneutes ärgerliches Gemurmel.
»Tatsächlich bin ich mehr Mann als jeder von euch.«
»Gebt ihr eine Axt!« befahl Genserix.
Man reichte der Frau eine typische Alar-Axt, mit langem Schaft und schwerer Eisenklinge. Sie nahm sie, konnte sie aber nur mit Mühe halten. Es war klar, daß die Waffe zu schwer für sie war. Sie konnte sie kaum hochheben, geschweige denn damit kämpfen.
»Du könntest diese Klinge nicht einmal fürs Holzhacken schwingen«, sagte Genserix.
»Wie ist dein Name?« fragte ich.
»Tenseric«, sagte sie.
»Das ist ein Männername.«
»Ich habe ihn selbst ausgesucht. Ich trage ihn mit Stolz.«
»Hat man dich schon immer so genannt?« wollte ich wissen.
»Man rief mich bis zum Zeitpunkt meiner Reife Boabissia. Dann habe ich mir selbst einen Namen ausgesucht.«
»Du bist noch immer Boabissia«, sagte einer der Krieger.
»Nein!« widersprach sie. »Ich bin Tenseric.«
»Du bist doch eine Frau, oder?« fragte ich.
»Sicher«, sagte sie ärgerlich. »Und?«
»Bedeutet das denn nichts?«
»Nein. Es bedeutet gar nichts.«
»Also gibt es keinen Unterschied zwischen dir und einem Mann?« fragte ich.
»Nein!«
Die Krieger am Feuer lachten.
»Es braucht mehr als Felle und Leder und einen großspurig im Gürtel getragenen Dolch, um ein Mann zu sein.«
Sie sah mich wütend an.
»Du bist eine Frau!« rief einer der Männer. »Benimm dich auch so!«
»Nein!« schrie sie.
»Zieh dir ein Kleid an!«
»Niemals! Ich will keine jener armseligen Kreaturen sein, die euch auf jede erdenkliche Weise bedienen müssen!«
»Bist du eine Alar?« fragte ich.
»Ja!«
»Nein«, sagte Genserix. »Sie ist keine Alar. Wir haben sie vor Jahren als Säugling am Straßenrand gefunden, zurückgelassen in einer Decke, inmitten der brennenden Reste einer überfallenen Karawane.«
»Waren es die Alar?« fragte ich.
»Nein«, sagte ein Krieger und kicherte.
»Ich wünschte, die Karawane wäre uns in die Hände gefallen«, sagte sein Nachbar. »Nach ihrer Größe zu urteilen, wäre es eine beträchtliche Beute gewesen.«
»Bei unserem Eintreffen war kaum noch etwas da.«
»Laß dich nicht in die Irre führen«, grinste Hurtha.
»Wir gehen nicht oft auf Raubzüge. Das stört die guten Beziehungen zu den Städtern.«
Das ergab einen Sinn. Die Alar und ähnliche Völker können bei der Suche nach Weidegründen angriffslustig und kriegerisch sein, aber wenn man sie gewähren läßt, veranstalten sie nur selten Raubzüge.
»Wir nahmen das Kind auf und zogen es groß«, erklärte Genserix. »Wir nannten es Boabissia, ein guter alarischer Name.«
»Dann gehörst du eigentlich gar nicht richtig zum Wagenvolk«, sagte ich zu dem Mädchen. »Aller Wahrscheinlichkeit nach bist du eine Frau aus der Stadt.«
»Nein! Ich bin eine Angehörige des Wagenvolks!« sagte sie. »Ich habe mein ganzes Leben bei ihnen verbracht.«
»Sie gehört nicht zum Wagenvolk, nicht durch das Blut«, sagte ein Mann.
Boabissia starrte ihn wütend an. »Bringt mir Gesichtsnarben bei!« rief sie.
»Wir zerschneiden die Gesichter unserer Frauen nicht«, erwiderte der Mann.
»Schneidet mich!« verlangte sie.
»Nein«, sagte Genserix.
»Dann werde ich es selbst tun!«
»Laß es!« verlangte Genserix mit strenger Stimme.
»Also gut«, sagte sie. »Ich werde tun, was mein Häuptling befiehlt.«
Mir war klar, daß sie sich in Wirklichkeit gar nicht nach Art der Krieger verstümmeln wollte. Bemerkenswert. Die Männer wollten es natürlich auch nicht. Zum einen gehörte sie nicht zu den Kriegern und hatte darum auch gar kein Anrecht auf dieses Standeszeichen; hätte sie es als Frau getragen, wäre es für Außenstehende ständiger Anlaß zum Spott gewesen und hätte die Alar in Verlegenheit gebracht. Es hätte die Bedeutung geschmälert und etwas Anstößiges daraus gemacht. Die Ehrenzeichen der Männer werden genau wie ihre Kleidung zu bedeutungslosen, verachtenswerten Dingen, wenn man sie Frauen zugesteht. So etwas führt schließlich zur Entmännlichung des männlichen Geschlechts und zur Entfraulichung des weiblichen Geschlechts, eine Widernatürlichkeit, der Goreaner grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen – ob dies nun der Wahrheit entspricht oder nicht, sei dahingestellt.