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»Man könnte es schaffen.«

»Man müßte ein Heer durch die Reihen des Feindes führen, um die Stadt einzunehmen«, sagte er.

»Oder über den Feind hinweg.«

»Man müßte die Soldaten in die Stadt schmuggeln.«

Ich nickte.

»Unmöglich.«

»Mit ein paar vorher getroffenen Absprachen dürfte es möglich sein.«

»Du machst Witze.«

»Nein.«

»Das würden wir doch hören. Es gäbe laute Kämpfe.«

»Hier ist es still«, sagte ich. »Das heißt jedoch nicht, daß in einem anderen Stadtteil nicht gekämpft werden könnte, sogar in diesem Augenblick. Ein paar Häuserblocks entfernt könnten Männer sterben, ohne daß wir es bemerken. Auf den Straßen könnte Blut fließen.«

»Ich sehe keinen Rauch«, bemerkte Mincon. »Keine Anzeichen für irgendwelche Brände.«

»Das hat wenig zu sagen«, meinte ich. »Vielleicht will man die Stadt nicht zerstören, will die Mauern intakt halten, ihre Reichtümer bewahren.«

»Das wäre möglich.« Er lächelte.

Ich sah ihn überrascht an.

»Es gibt eine Möglichkeit, das herauszufinden«, sagte er.

»Wie denn?«

»Steig auf den Kutschbock.«

Ich tat es, und er schloß sich mir an. Dann wies er in Richtung der umliegenden Gebäude.

»Siehst du den Zylinder dort?«

Ich nickte.

»Das ist der Zentralzylinder Torcodinos«, erklärte Mincon. »Das Hauptquartier der Verwaltung, der obersten Exekutive, sei es die des Administrators oder des Ubar.«

»Und?«

»Sieh dir das Dach an«, sagte er. »Kennst du die Flagge Torcodinos?«

»Nein.«

»Es ist auch gleichgültig, da dort in den letzten Monaten nicht die Flagge Torcodinos, sondern die von Cos geweht hat.«

»Aber sie ist nicht da«, sagte ich. »Ich kenne die Flagge von Cos. Ich habe sie schon oft gesehen.«

»Ist das nicht erstaunlich?« fragte er.

»Du bist kein einfacher Kutscher«, stellte ich fest.

»Was siehst du dort?«

»Eine Fahne. Sieht aus wie eine Regimentsfahne.«

»Beschreib sie!«

»Sie ist silbern«, sagte ich. »Sie ist weit weg, ich kann sie nur schwer erkennen. Die Sonne spiegelt sich darauf.«

»Es ist die Regimentsfahne des Silbertarns«, sagte er. »Sie hängt an einem silbernen Flaggenstab. In der Nähe der Spitze befindet sich eine rechteckige Platte, die eine Inschrift trägt. Über der Platte ist ein silberner Tarn mit ausgestreckten Schwingen zu sehen, der sie in den Krallen hält.«

»Das kannst du auf diese Entfernung erkennen?«

»Nein«, antwortete er. »Aber ich kenne die Fahne. Ich habe sie schon früher gesehen.«

Ich sah ihn an.

»Du bist ein wirklich aufmerksamer Bursche«, sagte er. »Die Stadt ist in der Tat erobert worden. Und wenn ich mich nicht irre, dann weißt du auch, wie es geschehen ist.«

»Über die Aquädukte«, sagte ich.

»Ganz genau. Man hat sie mehr als hundert Pasang von hier entfernt betreten, einen Aquädukt am Issus, den anderen inmitten der Hügel von Eteocles. In Zweierreihen durchwateten Soldaten das Wasser, manchmal sogar dicht über den Köpfen der cosischen Armee.«

»Genial«, sagte ich.

»Die Wächter einer bestimmten Einheit wurden mit Gold bestochen. In der Stadt lebende Partisanen haben den Männern einer anderen Einheit die Kehlen durchgeschnitten.«

»Wem gehört die Fahne?« fragte ich.

»Es ist das Banner meines Hauptmanns«, sagte er. »Dietrich von Tarnburg.«

13

Das Weinen verwirrter, ängstlicher Kinder und das Wehklagen von Frauen erfüllten die Luft.

»Da entlang, geht da entlang!« sagte ein Soldat und versperrte den Weg.

Es herrschte ein unglaubliches Gedränge. Soldaten lenkten den Verkehr. Viele Menschen mit Bündeln auf dem Rücken bewegten sich auf das große Stadttor von Torcodino zu.

»Du da, paß auf!« rief eine Stimme.

Ich trat beiseite, um einen mit Habseligkeiten beladenen zweirädrigen Wagen vorbeizulassen, der von einem Mann gezogen wurde. Die Straßen waren mit Flüchtlingen überfüllt.

»Folgt mir«, hatte Mincon gesagt. »Euch wird nichts geschehen. Bleibt dicht zusammen.«

»Ich will meine Axt zurück«, verlangte Hurtha.

»Bleibt zusammen!« befahl ich. »Laßt euch nicht trennen.«

Wir waren an einer Anzahl von Gebäuden vorbeigekommen, die man mit Seilen abgesperrt hatte. Gelegentlich konnten wir durch offenstehende Türen oder Fenster einen Blick hineinwerfen. Schreie und Geräusche wie zerberstende Möbel ertönten. Soldaten plünderten die Häuser. Aus dem etwa zwölf Meter hohen, geöffneten Fenster eines anderen Gebäudes hing ein Mann mit dem Rücken zur stuckverzierten Wand.

»Was soll das?« fragte ich Mincon.

»Ich kann nicht lesen«, antwortete er. »An seinem Hals hängt ein Schild. Was steht da?«

»Plünderer!« las ich vor.

»Dann wird es das gewesen sein«, meinte Mincon.

»Hier wird viel geplündert«, bemerkte ich. »In mehr als einem Haus konnten wir dabei zusehen.«

»Es war ein Zivilist«, erklärte Mincon. »Es ist Zivilisten verboten zu plündern.«

»Ich verstehe«, sagte ich.

»In Torcodino muß Ordnung herrschen«, sagte Mincon.

»Natürlich.«

»Ich will meine Axt zurückhaben«, murrte Hurtha.

»Bleibt in der Nähe«, erwiderte ich.

Wir hatten unsere Waffen am Eingang des Wagenhofs abgegeben, den wir in Mincons Begleitung vor ein paar Ehn verlassen hatten. Man hatte in Torcodino eine strenge Waffenkontrolle eingeführt. Der Besitz einer nicht genehmigten Waffe stellte ein Kapitalverbrechen dar, das jeder Soldat auf der Stelle bestrafen konnte, wenn ihm der Sinn danach stand. Die Krallen des Silbertarns griffen fest zu. Dennoch hatte man sich bei dem Verbot streng an den Buchstaben des Gesetzes gehalten. In meinem Geldbeutel steckte ein Zettel mit einer Nummer, die mit der Nummer übereinstimmte, die bei meinen Waffen auf dem Tisch am Eingang des Hofs zurückgeblieben war.

Man rempelte uns an.

»Hier entlang«, gestikulierte ein Soldat, »hier entlang!«

Es roch nirgendwo nach Rauch. Unsere Augen brannten und tränten nicht. Man konnte mühelos atmen. Manchmal spürte man nach der Erstürmung einer Stadt die Hitze brennender Häuser noch Blocks weiter. Aber Torcodino brannte nicht.

»Hier entlang«, sagte ein anderer Soldat.

Wir eilten weiter.

Ein kniendes Sklavenmädchen war an einen Sklavenring gefesselt, der etwa einen halben Meter oberhalb des Straßenpflasters an einer festgeschraubten Platte in der Häuserwand befestigt war. Das Gesicht des Mädchens war tränenverschmiert. Es umklammerte verzweifelt die Halskette. Ich wußte nicht, ob ihr Herr sie dort festgemacht hatte mit der Absicht, zu ihr zurückzukehren, oder ob man sie ausgesetzt hatte. Sie war nackt. Da man sie angekettet hatte, würde sie dort bleiben müssen.

»Kommt schon!« drängte Mincon. Wir schoben uns weiter an den vielen Menschen vorbei. »Bleibt zusammen!« Das taten wir auch, so gut wie möglich. Ich hielt mich dicht hinter ihm, dann kamen Hurtha und Boabissia. Hinter der Alar gingen Feiqa und Tula, die an den Kragen befestigten Seile endeten in Hurthas Hand. Die Sklavinnen waren vor Angst wie erstarrt, als sie am Morgen erfahren hatten, daß die Stadt einen neuen Herrn hatte. Sie hatten sich voller Entsetzen angesehen. Doch strenggenommen hatten die Sklavinnen wenig zu fürchten. Wir hatten sie nicht etwa deshalb festgebunden, weil wir befürchteten, sie könnten in der Menschenmasse einen Fluchtversuch unternehmen, sondern um sicherzugehen, daß sie nicht von uns getrennt oder einfach entführt wurden. Ganz in der Nähe ertönte das Blöken von zwei domestizierten Verr. Eine Frau zerrte sie hinter sich her.

»Es geht nicht mehr richtig weiter«, sagte ich zu Mincon.

»Man hält die Flüchtlinge zurück«, sagte er. »Es gibt mehrere Straßensperren. Danach hat man voneinander getrennte Korridore eingerichtet, die zum Stadttor führen. Dort werden alle durchsucht, damit keine Wertsachen verschwinden.«

»Die Zivilbevölkerung wird aus der Stadt vertrieben.«