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»Genau. Laßt uns weitergehen. In einer Reihe.«

Wir bahnten uns langsam einen Weg durch die Menge.

»Wohin bringst du uns?« fragte ich Mincon.

»Zum Semnium.«

»Warum?«

»Ich will euch Passierscheine besorgen.«

»Das wüßte ich zu schätzen.«

Er drehte sich zu mir um. »Ihr müßt sie nicht nehmen, wenn ihr nicht wollt.«

»Warum sollten wir sie nicht wollen?«

»Die Entscheidung bleibt euch überlassen.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Folgt mir!« sagte er nur und schob sich weiter.

Schließlich kamen wir zu einer Straßensperre. Sie bestand aus mehreren Pfählen, die auf Dreibeinen ruhten, und blockierte die Hauptstraße. Hier mußten alle anhalten. Die Leute, die ganz vorn standen, stemmten sich gegen ihre Hintermänner, um nicht gegen die Sperre gedrückt zu werden.

»Halt!« rief der Soldat hinter der Sperre, der einen Speer quer vor den Körper hielt.

Mincon flüsterte ihm eine Parole zu. Die Sperre wurde geöffnet. Es war eine Erleichterung, wieder ungehindert gehen zu können. Etwa sechzig Meter weiter wartete eine Gruppe vor der nächsten Kontrolle. Ein paar Ehn später hatten wir auch dieses Hindernis überwunden; kurz darauf kamen wir zum dritten Kontrollpunkt.

Neben der zweiten Straßensperre türmten sich Gegenstände auf: Möbel, Kissen, Teppiche, Wandbehänge, Kleidung, Truhen, Kisten und Haushaltsgegenstände. Ein Soldat trat heran und leerte einen Kissenbezug aus. Der Inhalt, einige Becher, die scheppernd zu Boden prasselten, fiel in der Masse der angesammelten Gegenstände kaum auf. Der Berg erreichte eine Höhe von über drei Metern. Es war eher wertlose Beute, die vermutlich en gros an Händler verkauft würde, mit denen vorher Verträge abgeschlossen worden waren.

»Seht!« rief Boabissia und zeigte nach links, als wir hinter der dritten Kontrolle eine Kreuzung überquerten.

Vor der Ziegelwand eines öffentlichen Gebäudes – die Ziegel gehörten zu der flachen, schmalen Sorte, die üblicherweise in der goreanischen Architektur des Südens verbaut wurden – knieten etwa einhundert bis einhundertfünfzig Frauen. Alle waren nackt. Man hatte sie an den Hälsen zusammengekettet. Zwei mit Peitschen ausgerüstete Soldaten bewachten sie.

»Noch mehr Beute«, sagte Mincon.

»Sklavinnen!« zischte Boabissia verächtlich.

»Oder zukünftige Sklavinnen«, ergänzte Mincon.

»Oh«, murmelte Boabissia. Das machte ihr angst.

»Das sind doch bestimmt alles Sklavinnen«, meinte ich.

»Viele davon sind die Frauen und Töchter derjenigen, die in Torcodino Anhänger von Cos waren. Deshalb wurden sie gefangengenommen, um das Brandzeichen und den Kragen zu erhalten.«

»Ich verstehe«, sagte ich.

»Die Gefangenenlisten wurden schon vor Wochen vorbereitet.«

»Natürlich.« Eine Aktion, wie sie zur Zeit in Torcodino stattfand, bei der die Zivilbevölkerung einer wohlüberlegten Säuberung unterzogen wird, bedarf einiger Vorbereitungen, die Fingerspitzengefühl verlangen.

Wir näherten uns den Frauen.

Eine von ihnen stand auf, doch sofort traf sie die Peitsche, und sie sackte schluchzend zurück auf die Knie.

»Hände auf die Hüften!« rief der Soldat. »Den Rücken gerade, das Kinn hoch, die Beine gespreizt!« Er drückte ihr das Kinn mit dem Peitschenstiel hoch. Sie starrte geradeaus, während ihr die Tränen die Wangen hinunterliefen. Jetzt, da wir näher heran waren, sah ich, daß die Frauen alle an einer Kette hingen; man hatte sie ihnen als Schlinge um den Hals gelegt, die dann von einem stabilen Vorhängeschloß verschlossen wurde. Das ist eine einfache, praktische und billige Fesselung.

»Erwartet ihr, alle Frauen auf eurer Liste zu finden?« fragte ich den Soldaten.

»Die meisten schon«, antwortete er. »Einige werden uns zweifellos entkommen, zumindest für kurze Zeit.«

»Viele wird man an den Toren festnehmen«, vermutete Mincon. »Sie werden nicht wissen, daß sie auf einer Liste stehen. Dort werden sie dann ausgezogen, gefesselt, mit einer Nummer versehen und zu einem der Sammelpunkte gebracht.«

»Ab übermorgen dürfen sich keine Zivilisten ohne Erlaubnis in der Stadt aufhalten. Die Strafe für einen sich ungesetzlich hier aufhaltenden Mann ist die sofortige ehrenvolle Hinrichtung, eine Frau wird ebenfalls getötet oder – wenn sie ansehnlich genug ist – zur Sklavin gemacht«, erklärte der Soldat.

»Der Versuch, sich in der Stadt zu verbergen, ist ziemlich sinnlos«, sagte Mincon. »Alle Häuser werden durchsucht. Wenn Flüchtlinge hungrig genug sind, werden sie des Nachts hervorgekrochen kommen, um etwas zu essen zu suchen. Früher oder später wird man sie dann mit Hilfe von Jagdsleen erwischen.«

»Ich verstehe«, sagte ich.

»So, wie Torcodino nun einmal gebaut ist, mit der Stadtmauer und unseren Kontrollen, ist es höchst wahrscheinlich, daß wir schließlich aller auf der Liste befindlichen Frauen habhaft werden«, ergänzte der Offizier.

Ich nickte. Die aufgelisteten Frauen hatten kaum eine Möglichkeit zur Flucht. Sicher, noch waren sie keine Sklavinnen. Doch sobald eine goreanische Sklavin erst einmal Kragen und Brandzeichen trägt, ist jede Flucht unmöglich. Sollte sie dem einen Herrn entwischen – was schon unwahrscheinlich genug ist –, wird sie sich bald in den Ketten eines anderen wiederfinden. Nur daß der neue Herr weiß, daß sie eine entflohene Sklavin ist, und sie dementsprechend grob behandeln wird. Er wird dafür sorgen, daß die Sleen ihren Geruch kennen. Die Strafen für eine Flucht sind sehr schwerwiegend, beim zweiten Versuch wird man den Sleen zum Fraß vorgeworfen.

»Was geschieht dann mit den Frauen?« wollte ich wissen.

»Die meisten werden gruppenweise an Händler verkauft.«

»Wie die andere Beute auch?«

»Ja. Die Verträge, die die Regelung des Abtransports, Ertragsprognosen und ähnliches enthalten, wurden schon vor Wochen abgeschlossen.«

Ich musterte die Frauen. In den letzten Wochen waren sie ihrem Tagwerk nachgegangen, sorglos, ahnungslos, ohne zu wissen, daß sie in den Plänen ihrer neuen Herren eine Rolle als Ware spielten. Zweifellos hatten sie sich ihren täglichen Beschäftigungen, ihren Spielen, Eitelkeiten und Sorgen gewidmet. Die ganze Zeit über hatten sie nicht gewußt, daß ihre Namen bereits auf Gefangenenlisten standen und daß die unauslöschbare Tinte schon getrocknet war.

»Kommt«, sagte Mincon, »wir müssen ins Semnium!«

Wir gingen wieder los.

14

»Es sind neue Tote«, stellte ich fest.

»Natürlich«, erwiderte Mincon.

Wir standen am Fuß der niedrigen breiten Stufen, die zum Semnium hinaufführten, der Halle des Hohen Rates. Das Gebäude würde den neuen Herren Torcodinos vermutlich als Hauptquartier dienen. Die Treppe erstreckte sich über die ganze Länge des Säulenganges.

»Wer sind sie?«

Etwa zwei- bis dreihundert Gehängte baumelten jetzt an den geteerten Seilen entlang der Straße des Adminius in der Nähe des Semniums.

»Überläufer, Verräter, Angehörige der cosischen Partei, Verräter des Bündnisses mit Ar und dergleichen«, erklärte Mincon.

»So, wie die anderen Anhänger Ars waren?« hakte ich nach.

»Vielleicht«, antwortete Mincon ausweichend.

»Einige der Männer sind möglicherweise für die Hinrichtung derjenigen verantwortlich, die zuvor dort gehangen haben«, sagte ich und sah mir die bedrückenden Reihen der Gehängten an.

»Natürlich.«

»Der Wind in Torcodino hat sich gewendet«, meinte ich.

»Ja«, sagte Mincon.

»Also steht dein Hauptmann im Sold von Ar.«

»Darüber mußt du dir selbst ein Urteil bilden. Bald.«

»Ich?«

»Ja.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Folgt mir!« schlug er einfach vor. Unsere kleine Gruppe folgte ihm die Stufen zum Semnium hinauf. Ich blieb einmal kurz stehen und sah zu den gefangenen Frauen zurück. Viele von ihnen waren einflußreiche Persönlichkeiten gewesen. Die Frau, die der Soldat geschlagen hatte, war beispielsweise siegelberechtigte Schatzmeisterin des Gewürzrates von Torcodino gewesen. Wie ich es verstanden hatte, hatte sie den Einfluß ihrer Position dazu ausgenutzt, Cos zu unterstützen. Solche Neigungen findet man häufig bei Leuten, die ihr Vermögen mit Im- und Export gemacht haben, die die Ausbeutung fremder Märkte betreiben, die allgemein mit dem Überseehandel auf dem Thassa zu tun haben. Das ist verständlich. Die Seestreitkräfte von Tyros und Cos beherrschen die grünen Wellen des funkelnden Thassa. Sie kontrollieren die meisten der bevorzugten ozeanischen Handelskorridore. Nur wenige Küsten können sich ihren Patrouillen entziehen, nur wenige Hafenstädte ihren Blockaden widerstehen. Die Frau war eine Bürgerin Torcodinos gewesen, und Torcodino hatte Ar den Treueid geleistet. Sie hatte – aus welchem Grund auch immer, vermutlich Opportunismus oder Habgier – ihr Gelübde an ihren Heimstein gebrochen. Bei einem Mann kann das ein Kapitalverbrechen sein. Nur weil sie eine Frau war, war sie nicht auf der Verräterliste gelandet, sondern nur auf der Gefangenenliste. Ihr Geschlecht hatte sie gerettet. Wäre sie ein Mann gewesen, hätte man sie gehängt.